Warschau/Hamburg. Die geflüchteten und vertriebenen Spitzenmusiker sind auf Europatournee. Am 13. August treten sie in der Elbphilharmonie auf.

Nicht lange nach der Flucht ging Marko Komonko (46) mit seinen drei Söhnen im Alter von sechs, neun und elf Jahren in seiner neuen Heimat Stockholm am Wasser spazieren. Die Jungs marschierten voraus, der Vater hinterher, als seine Söhne unvermittelt anfingen über ihre aktuelle Situation zu sprechen. Ein vertrauliches Gespräch unter Kindern, sie wollten nicht, dass ihr Vater mithört – aber er konnte sie hören.

Komonkos Kinder redeten über den Krieg, die Flucht und ihre Ängste, Putin und die neue Heimat. Sie waren emotional aufgewühlt, aber sie hatten, obwohl viel zu jung, ihre Situation vollständig begriffen, so erzählt es ihr Vater heute. „Sie hatten verstanden, ihr Leben würde nie wieder so werden wie es einmal war“, sagt Marko Komonko im Gespräch. Nichts habe ihn mehr berührt als dieser eine Moment, auch, weil er seine Söhne nicht davor bewahren konnte.

Ukrainian Freedom Orchestra: Komonko flüchtete

Am 13. August tritt Komonko in der Elbphilharmonie als einer von 75 geflüchteten, vertriebenen Spitzenmusikerinnen und -musikern aus der Ukraine auf. Er ist erster Geiger und Konzertmeister des Ukrainian Freedom Orchestras, das sich gerade erst, in den Wirren des Krieges, gebildet hat und sich jetzt auf großer Deutschland- und Europatournee befindet. Die Beteiligten wollen Wladimir Putin Lügen strafen, der immer wieder behauptet, die Ukraine habe gar keine eigene Kultur, das alles sei russisch. Putin hat es ihnen damit einfach gemacht, eine gemeinsame Haltung, einen Gleichklang zu finden, der das Musikalische mit dem Politischen verbindet.

Die Parallelen zu einem Orchester wie Barenboims West-Eastern Divan sind offenkundig. Als zentrales Werk steht die siebte Sinfonie von Valentin Silvestrov auf dem Programm, ein dramatisches Orchesterstück über Gewalt, Tod, Trauer und Sehnsucht, das die Gefühlswelt der Ukrainerinnen und Ukrainer nicht treffender spiegeln könnte. Silvestrov ist mit Kriegsbeginn mit 84 Jahren von Kiew nach Berlin emigriert. Auch er ein Flüchtender.

Marko Komonko flüchtete mit seiner Familie

Marko Komonko verließ Lwiw mit seiner Frau und seinen drei Söhnen am 12. März. Er weiß das deshalb so genau, weil seine koreanische Ehefrau in den Tagen zuvor einen Anruf ihrer Botschaft bekam, sie solle umgehend das Land verlassen. Sollte sie sich weigern, würde sie eine Geldstrafe bezahlen müssen oder ins Gefängnis kommen. So drastisch reagierte Südkorea auf den Ukrainekrieg. Am 13. März wurde Lwiw das erste Mal mit Raketen beschossen. Marko Komonko, der noch immer festangestellter Konzertmeister des National Lwiw Philharmonic Orchestras ist und vorübergehend an der Königlichen Oper in Stockholm angeheuert hat, erzählt, dass er sein Land gar nicht verlassen wollte, zumindest solange seine Söhne in Sicherheit wären. Eine Illusion.

Das Erste, was er einpackte, waren die vier Geigen für sich und seine Söhne, die ebenfalls musizieren, und nur so viele Koffer, wie noch ins Auto passten. Dann fuhren sie los Richtung Polen und kehrten nicht mehr zurück. In dem Augenblick, als der Krieg ausbrach, konnte er seine Geige nicht mehr in die Hand nehmen, erzählt Komonko im Gespräch. „Musiker spielen von innen heraus“, sagt er, „aber innen, da war nur Sorge und Angst.“ Das sei wie bei Eltern, die sich um ihr krankes Kind sorgen, so der Geigenvirtuose, der schon in der ganzen Welt konzertiert hat, da bleibe kein Gefühl und keine Energie mehr übrig für irgendwas anderes.

"Russisches Volk muss radikaler werden"

Sein Kollege, der Oboist Yurij Khvostov (33) sitzt während einer Probenpause in der Sonne vor der Warschauer Oper, wo sich das ukrainische Freiheitsorchester in der Vorbereitung der Tournee zwei Wochen lang eingespielt hat, und erzählt in beinahe akzentfreiem Deutsch, dass er, wie viele Musiker und Künstler mit festem Engagement, für ein halbes Jahr vom Armeedienst freigestellt wurde. Was danach komme, wisse er nicht. Khvostov hat in Köln und Leipzig studiert und war zuletzt am Opernhausorchester in Lwiw.

Er sagt, sein Instrument sei seine Sprache und er lasse sich ungern den Mund verbieten. Das sei vielleicht der größte Unterschied zwischen Ukrainern und Russen, so Khvostov. „Wir sind als Volk am Maidan auf die Straße gegangen gegen die russische Besatzung, dazu ist das russische Volk gegen Putin bis heute nicht bereit. Es müsste viel radikaler werden, sonst wird es keine Demokratie bekommen.“ Das gewandelte Verhältnis zu seinen russischen Musikerfreunden in den vergangenen Wochen ist ihm dafür Beleg genug.

"Werden auch eure Kinder mit Raketen beschossen?“

Nach der Invasion hätten ihn einige angerufen und wollten wissen, ob er wohlauf sei. Im Gespräch stellte sich heraus, dass sie nicht Putin, sondern „die Amerikaner“ für den Krieg verantwortlich machten, und dann beklagten sie, dass es ihnen selbst auch nicht gut ginge. Khvostov, der seine kleine Tochter bei der Mutter in Lwiw zurückgelassen hat, fragte zurück: „Wie? Werden auch eure Kinder mit Raketen beschossen?“

Marko Komonko hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Der russische Pianist Denis Mazujew, einer seiner besten Freunde aus dem Musikstudium in Moskau ist zugleich ein enger Vertrauter Putins, daran hat der Krieg nichts geändert. Mazujew verbitte sich im persönlichen Gespräch jegliche Kritik an Putin, so Komonko. Yurij Khvostov und Marko Komonko haben aufgehört mit ihren russischen Freunden zu telefonieren, die womöglich gar keine Freunde mehr sind.

Inna Vorobets begann Konzert mit Schweigeminute

Inna Vorobets (30) dagegen hat völlig unerwartet neue Freunde gefunden. Polnische Musikerkolleginnen und -kollegen, die sie bei sich schlafen ließen, ihr Konzertkleidung und schließlich eine dauerhafte Unterkunft besorgten. Die Flötistin vom Kiew Symphony Orchestra hatte lange vor dem Krieg in Polen ein Stipendium erhalten und sollte als eine der Finalistinnen am 25. Februar ein Konzert geben – keine 24 Stunden nach Beginn der Invasion. Wenige Tage zuvor war sie mit einem der letzten regulären Flüge nach Warschau geflogen, nur mit Handgepäck.

Sie begann das Konzert mit einer Schweigeminute, dann spielte sie mit ihrer Flöte die ukrainische Nationalhymne. Die Stille danach, eine Totenruhe. Vorobets hat beim Philharmonic Orchestra in Posen einen Vertrag unterschrieben, ihr Bruder wurde gerade in die Armee eingezogen. „Wir sind Soldatinnen und Soldaten der Musik“, sagt Inna Vorobets und ist überzeugt davon, dass das Ukrainian Freedom Orchestra seine Wirkung entfalten wird.

Ukrainian Freedom Orchestra will kulturelles Erbe zeigen

„Wir werden ukrainische Musik spielen, wir wollen der Welt zeigen, dass wir ein eigenes kulturelles Erbe haben, das großartig und vielfältig ist.“ Ein Erbe, das der russische Präsident ihnen grundsätzlich abspricht. „Wir haben alle russische Wurzeln, das wissen wir doch“, entgegnet Oboist Khvostov, „aber Putins Geschichtserzählung ist ein Fake.“

Ukrainian Freedom Orchestra Sa 13.8., 20.00, Elbphilharmonie, ausverkauft!