Hamburg. Ein Gespräch mit den Kuratorinnen der Filmreihe „Perspectives of Ukrainian Cinema“, die aus Kiew und Odessa kommen. Über das Projekt.

Am 14. Juni startet im Abaton die Filmreihe „Perspectives of Ukrainian Cinema“, kuratiert von zwei jungen Ukra­inerinnen: Victoria Leshchenko ist im März zusammen mit ihrer Mutter aus
Kiew nach Berlin gekommen, Yuliia Kovalenko behält die Szene von Odessa aus im Blick.

Beide haben seit Jahren für Filmfestivals in der Ukraine gearbeitet und präsentieren nun eine Auswahl von Filmen, die viel über das Selbstverständnis ihrer Heimat erzählen, über Perspektiven, Diskurse und Orte im Land. Gezeigt werden sieben Filme, der älteste von 1929, der jüngste aus der unmittelbaren Gegenwart. Der Eintritt ist frei.

Hamburger Abendblatt: Warum hat man bisher in Deutschland nur wenige Filme aus der Ukraine sehen können?

Kovalenko: Ich glaube, das ist nur eine Frage der Zeit.

Leshchenko: Ich weiß noch nicht so genau, wie deutsche Filmverleiher arbeiten. Auf der Berlinale konnte man aber in den vergangenen Jahren einige Filme aus der Ukraine sehen.

Wie ist die Lage in Odessa?

Kovalenko: Glücklicherweise ist es gerade ganz ruhig. Der letzte starke Beschuss war am 9. Mai.

Ist Odessa Ihre Heimatstadt?

Kovalenko: Ja. Ich habe in Kiew gearbeitet, wohne aber jetzt wieder bei meinen
Eltern.

Wie schwer war es, die Filme für das Programm von „Perspectives“ zu bekommen?

Kovalenko: Wir kennen die Regisseure und ihre Filme. Es war nicht so schwer. Diese Reihe ist sozusagen eine Landkarte. Man findet darin Filme aus dem Osten, Westen und Süden der Ukraine. Die Filmemacher stammen aus unterschiedlichen Generationen. Das Spektrum reicht von der Klassik bis in die Gegenwart. Es ist ein Blick auf unser Land aus verschiedenen Perspektiven.

Wie viele Kinos gibt es in der Ukraine?

Leshchenko: Nicht genug. Es gab aber auch viele Kulturhäuser, in denen man Filme gucken konnte.

Kovalenko: Es sind etwa 200. Aber viele von denen sind heute natürlich geschlossen. In kleinen Städten oder auf den Dörfern ist die Situation schwierig. Leider bleiben die Zuschauer weg.

Sind in Odessa zurzeit noch Kinos geöffnet?

Kovalenko: Ein paar Kinos haben seit zwei oder drei Wochen wieder geöffnet.

Was zeigen die?

Kovalenko: Neue Hollywood-Filme und einige heimische Produktionen. Auch in Kiew ist das so. Die Kinos versuchen zu funktionieren.

Welche Themen interessieren die Filmemacher in dem Land zurzeit?

Kovalenko: Ein großes Thema ist natürlich der Krieg. Es geht aber auch oft um junge Menschen, die noch ihren Platz in der Gesellschaft suchen. Und es geht um die Identität der Gebiete innerhalb des Landes. Zwischen dem Westen und dem Süden gibt es da einige Unterschiede.

„War Note“ zeigt Bilder von der Front, aufgenommen mit Handys, Camcordern und GoPros von ukrainischen Soldaten.
„War Note“ zeigt Bilder von der Front, aufgenommen mit Handys, Camcordern und GoPros von ukrainischen Soldaten. © Babylon 13

Wie viele Filme wurden vor dem Krieg in
der Ukraine pro Jahr produziert?

Leshchenko: Etwa 20.

Man sagt, in diesem Zeitraum hat die Filmindustrie geboomt. Wieso?

Leshchenko: Die Menschen, die die staatliche Filmbehörde geleitet haben, waren Visionäre. Sie hatten sich besonders jungen Filmemachern gegenüber aufgeschlossen gezeigt. Besonders nach dem Aufstand auf dem Maidan im Jahr 2014 kam da einiges in Bewegung. Danach
kamen viele neue Namen von Filmemachern ins Bewusstsein der Öffentlichkeit. Als Organisatoren von Filmfestivals konnten wir danach viele internationale Co-Produktionen anschieben, zum Beispiel mit Großbritannien und Deutschland. Die Situation hatte sich wirklich zum Positiven verändert.

Donbass-Dokumentation: „The Earth Is Blue As An Orange“.
Donbass-Dokumentation: „The Earth Is Blue As An Orange“. © Cat & Docs

Wie wichtig sind Filme für das kulturelle Selbstbewusstsein der Ukraine?

Leshchenko: Filme sind enorm wichtig für das Selbstbewusstsein jedes Landes. Sie können manchmal sehr mächtig sein wenn es darum geht, bestimmte Ideen zu transportieren. Kiew wird zwar zurzeit noch bombardiert, trotzdem haben die Menschen dort eine Art Kino im Stadtzentrum eingerichtet, in dem man alte ukrainische Filme ansehen kann. Die Organisatoren machen das, auch wenn nicht viele Zuschauer kommen.

Interessiert Sie auch der deutsche Film?

Kovalenko: Natürlich kennen wir die Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf und die Filme von Christian Petzold und Christoph Hochhäusler. Als ich noch studierte, habe ich die Filme dieser Regisseure sehr gern gesehen. Leider gibt es nicht viele deutsche Filme in den ukrainischen Kinos.

„Perspectives of Ukrainian Cinema“ ab 14.6. im Abaton, Eintritt frei, www.abaton.de