Hamburg. Das Foto im Zeitalter der Digitalisierung: Zur Triennale zeigt die Hamburger Kunsthalle die Schau „Give and Take. Bilder über Bilder“.
Den Aussagegehalt von Bildern zu hinterfragen ist angezeigt in einer Gesellschaft, in der sie hemmungslos zirkulieren und maßgeblich zur Meinungsbildung beitragen. Bilder können ein politisches Instrument sein, Proteste mobilisieren, Identitäten schärfen. Die Bilder, mit denen der libanesisch-amerikanische Künstler Walid Raad in seiner großen Videoinstallation „Sweet Talk Commissions“ (Solidere: 1994–1997) mehrere Gebäude effektvoll zum Einsturz bringt und in einer Dauerschleife auch wiedererrichtet, erzählen fast schon zu ästhetisch von Zerstörung und Krieg.
Aber halt, so schnell sollte man ihnen nicht auf den Leim gehen. Denn es stellt sich heraus, sie stammen gar nicht aus dem Bürgerkrieg im Libanon von 1975 bis 1990, sondern zeigen den Abriss Hunderter alter Gebäude Mitte der 1990er-Jahre durch eine Sanierungsgesellschaft. Raad liefert ein treffendes Beispiel für das Problem von Authentizität, von Fragen der Aneignung und Repräsentation in der Bilderwelt.
Hamburger Kunsthalle zeigt „Give and Take. Bilder über Bilder“
Die 8. Triennale der Photographie hat sich das Thema „Currency“ (Währung) gesetzt. Mit der Ausstellung „Give and Take. Bilder über Bilder“ leistet die Hamburger Kunsthalle einen fokussierten Beitrag. Wie durch eine Wunderkammer streift man durch die Räume der Galerie der Gegenwart; bei jeder der 20 Positionen gibt es etwas zu entdecken. Man gerät ins Nachdenken über Tauschbeziehungen von Bildern und Medien, über Aneignung und Archivierung.
Das beginnt schon am Eingang. Die auf Ständern verteilten Postkarten mit historischen Fotografien von unbekannten Frauen in Mathilde ter Heijnes Arbeit „Woman* to Go“ (seit 2005) laden zum Mitnehmen ein. Die Konterfeis der Unbekannten sind auf der Rückseite mit Biografien bekannter Weggefährtinnen verschränkt. Eine raffinierte Art und Weise, Reproduktion und Repräsentation zu hinterfragen. Gleiches sieht man bei Taryn Simon, die sich mit Ordnungsstrukturen der Picture Collection, einer öffentlichen Bibliothek in New York, beschäftigt hat. Künstler wie Andy Warhol haben sich hier Vorbilder geholt und einige von ihnen auch offenbar nie zurückgegeben. Simon interessiert, wer diese Archive anlegt. Manipulation, auch politische, ist nicht ausgeschlossen.
Sara Cwynar baute im Lockdown ein Archiv auf
Irene Chabr wiederum hat sich an dem Bilderatlas des Kunsthistorikers Aby Warburg orientiert. Für „Wandernde Gesten“ (seit 2015) hat sie ein Archiv von Selfie-Protesten auf Social-Media-Plattformen angelegt, das nun auf einer tischartigen Installation zu besichtigen ist. Im Zuge des Neuarrangements, Schichtens und Stapelns inszeniert sie die Bilder, bei denen Personen Protestschilder mit Botschaften in die Kamera halten – die Schrift allerdings ist ausgelöscht. Die Geste tritt in den Vordergrund. Die Arbeit erinnert an einen aktuellen Fall, bei dem eine Frau in Russland ein weißes Plakat hochgehalten hat und dafür inhaftiert wurde.
Die lange Lockdown-Zeit hat Sara Cwynar in ihrem Atelier in Brooklyn genutzt, um ein Archiv aufzubauen. Ein digitaler Avatar im blauen Badeanzug mit Badekappe versucht gewissermaßen schwimmend, den Weg durch Unmengen von Bildern zu finden, die den Alltag spiegeln, Konsumkultur und Machtverhältnisse hinterfragen, mit einer Fülle von Zitaten von Shakespeare bis zur feministischen Kulturhistorikerin Luce Irigaray spielen. Die resultierende Video-Installation „Glass Life“ (2021) mündet, wie die heutige Bilderfülle, in einer grenzenlosen Überforderung der Sinne.
Erfreulich viele weibliche Künstlerpositionen
Der vielleicht humorvollste Beitrag stammt von Viktoria Binschtok. In ihrer Kunst sucht sie Verbindungen zwischen digitaler Welt und realen Bildern, um zu thematisieren, dass Fotos aus dem Internet keinen Kontext aufweisen. Hierzu speist sie ein selbst erstelltes Bild in eine Bildsuchmaschine ein. Diese spuckt formal ähnliche Ergebnisse aus – die jedoch auf einen grundsätzlich anderen Kontext verweisen. Das Ergebnis inszeniert sie selbst fotografisch nach, um es anschließend mit dem Ursprungsbild zu einem Tableau zu gruppieren. In der Serie „Networked Images“ (2017–2022) funktioniert das ganz hervorragend. Da sieht man Koks samt Geldschein neben einer Wattewolke. Oder eine Frau mit blonden Haaren neben einer Nudelmaschine.
Es gibt erfreulich viele weibliche Künstlerpositionen. Etliche von ihnen setzen sich dezidiert mit dem Themenkomplex aus Sexismus und Kolonialismus auseinander. Die norwegisch-nigerianische Künstlerin Frida Orupabo kreiert Collagen wie etwa „Rainy Days“ (2021), die mithilfe neu zusammengesetzter Körper und Übermalungen auf die Fragwürdigkeit bisheriger Erzählstrukturen verweisen.
Hamburger Kunsthalle: Am Ende wartet Thomas Ruff
Die Schau „Give and Take“ lebt weniger von klangvollen Namen, aber am Ende des Rundgangs wartet dennoch Thomas Ruff. Der Becher-Schüler löst seit jeher Bilder aus ihrem Kontext, um sie in einen neuen zu stellen. Hier kombiniert er Vorder- und Rückseiten von amerikanischen Pressearchiven entnommenen Fotos mit allen Beschriftungen.
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Seine Serie „press++60.10“ (2017) zeigt die Explosion nach dem Atomtest 1946 auf dem Bikini-Atoll. Die von der Rückseite übernommene Zeile „What goes up, must come down“ offenbart zynisch den Warencharakter des Fotos.
„Give and Take. Bilder über Bilder“ bis 28.8., Hamburger Kunsthalle, Glockengießerwall 5, Di bis So 10 bis 18 Uhr, Do 10 bis 21 Uhr, www.hamburger-kunsthalle.de