Hamburg. Mit Ausstelungen im Bucerius Kunst Forum, MK&G und Bargheer Museum wird einer der wichtigsten Künstler des 20. Jahrhunderts geehrt.
Für Kathrin Baumstark ist gerade Weihnachten, Ostern und Geburtstag zusammen, es gehe ans Geschenkeauspacken, wie sie mit glänzenden Augen erzählt. Im Bucerius Kunst Forum sind richtig viele davon angekommen, 240, um genau zu sein. Originalfotografien des Hamburgers Herbert List (1903–1975), die der Nachlass mit Sitz in Winterhude und das Münchner Stadtmuseum in eine groß angelegte Ausstellung geben. „Herbert List. Das magische Auge“ zeigt einen Querschnitt aus allen Schaffensphasen des Fotografen.
Herbert Julius List wurde am 7. Oktober 1903 in Hamburg-Winterhude als ältester Sohn einer Kaffeehändler-Familie geboren. Mit 20 Jahren trat er ins elterliche Unternehmen ein und bereiste Plantagen in Mittelamerika. Von 1933 an begann er zu fotografieren, er unternahm Fotoreisen nach Frankreich, Portugal und Tunesien.
Ausstellung des internationalen Fotografen Herbert List
Während die Lage für einen jüdischen Homosexuellen in Deutschland immer schwieriger wurde, feierte List international erste Erfolge als Fotograf. 1936 emigrierte er in die Schweiz; ein Netzwerk schwuler Künstlerfreunde half ihm schließlich, in Paris Fuß zu fassen, wo er ein Jahr später seine erste Galerie-Ausstellung bekam. In den Folgejahren wurde Griechenland zu seinem Sehnsuchtsziel, doch kehrte er auch immer wieder nach Deutschland zurück. Sein vielleicht wichtigstes Fotobuchprojekt „Licht über Hellas“ sollte aufgrund der politischen Umstände 15 Jahre bis zur Veröffentlichung brauchen. Neben Landschaften wurde List vor allem als Porträtfotograf der internationalen Kunst- und Kulturszene bekannt; er verkehrte mit Georges Braque, Marc Chagall, Joan Miró, Colette, Pablo Picasso.
Die Retrospektive ist wie eine Reise durch die unterschiedlichen Lebensstationen des Fotokünstlers, sie gliedert sich in sieben, durch Pastellfarben gekennzeichnete Kapitel: „Anfänge in Hamburg“, „Fotografia Metafisica“, „Griechenland“, „Junge Männer“, „Italien“, „Künstlerporträts“ und „Reportage“. Ein Gang etwa ist wie eine schmale Gasse gestaltet – sie bezieht sich auf seine Zeit in Italien und einen Aufenthalt bei einem Freund in Rom. „Da er krank war, hielt er sich viel in seinem Zimmer auf und schoss sozusagen aus der Not heraus mit einem geliehenen Teleobjektiv auf seiner Leica-Kleinbildkamera Szenen aus dem Fenster.
Ausstellung mit bisher unveröffentlichen Werken
Auf diesem Weg entdeckte er seine Leidenschaft für die Straßenfotografie“, so Kathrin Baumstark. Im Bereich „Reportage“ werden bislang unveröffentlichte Aufnahmen gezeigt. So war der Fotograf etwa dabei, als in einer Münchner Papierfabrik Tausende NSDAP-Mitgliederkarteien gefunden und ausgewertet wurden. Für die Direktorin sind aber die Porträts junger Männer am wichtigsten: „Ich will Herbert List mit diesen intimen Bildern feiern, weil er es damals nicht offen konnte. Sieht man sich die Fotos am Strand an, schmeckt man förmlich die salzige Luft und spürt die Sonne auf der Haut. Oder die Szenen mit ringenden Jungen an der Ostsee: Sie zeugen für mich von großer Lust am Leben, von einem, der die Menschen mochte.“
In der damaligen Zeit hatte die Fotografie noch nicht den Stellenwert in der zeitgenössischen Kunst wie heute. List sah sich selbst eher als Amateurfotograf. Viele sahen dies anders, seine Bilder wurden in wichtigen Magazinen gedruckt, er wurde für Reportagen angefragt, Robert Capa soll sogar extra nach München gereist sein, um seinen Kollegen davon zu überzeugen, seine Bilder durch die neu gegründete Agentur Magnum Photos vertreten zu lassen.
Triennale: Drei Ausstellungen mit Lists Werken
Für kurze Zeit kam eine Zusammenarbeit zustande, bis sich List wieder anderen Dingen zuwandte. Um dann, ab 1965, ganz von der Kamera zu lassen und sich auf das Sammeln italienischer Meisterzeichnungen zu konzentrieren. Eine Retrospektive mit seinen Arbeiten hatte er stets abgelehnt. Dass die Ausstellung im Bucerius Kunst Forum selbst List gefallen hätte, davon ist Kathrin Baumstark überzeugt. „Sie ist mit den Originalabzügen des Fotografen konzipiert, der viel Zeit in der Dunkelkammer verbrachte.“ Viele würden Lists Bilder kennen, aber nicht die Person dahinter. „Die Ausstellung soll den Künstler mit seinem ungewöhnlichen, mutigen Leben, das in vielen Teilen deutsche Geschichte spiegelt, in den Fokus stellen.“
1978, drei Jahre nach dem Tod des Fotografen, gab es eine erste List-Euphorie in Hamburg, das Museum für Kunst und Gewerbe und die Hamburger Kunsthalle zeigten große Ausstellungen. Im „Spiegel“ war damals zu lesen, Herbert List sei „als Meister einer metaphysischen Photographie zu letzthin kräftig aufgefrischtem Ruhm gekommen“. Im Rahmen der Triennale gibt es neben der Ausstellung im Bucerius Kunst Forum nun noch zwei weitere Schauen, die sich mit dem außergewöhnlichen Fotografen auseinandersetzen.
Lists Anfänge zu sehen im Bargheer Museum
Im Bargheer Museum wird mit der aktuell laufenden Ausstellung „Passione e Destino“ vom Aufbruch des Fotografen und des Malers Eduard Bargheer in die mediterrane Welt erzählt. 1952 reiste List mit dem von ihm ausgebildeten Fotografen Max Scheler nach Ischia, wo sich sein Hamburger Freund Eduard Bargheer niedergelassen hatte. Der Fischerort Forio hatte sich in den 1940er-Jahren in eine Künstlerkolonie verwandelt, in der alternative Liebes- und Lebensentwürfe verwirklicht wurden. Briefwechsel zeugen von der innigen Beziehung zwischen den Künstlern.
Die Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Herbert List Estate entwickelt und von Dirk Justus sowie dem List-Nachlassverwalter Peer-Olaf Richter kuratiert wurde, zeigt Arbeiten beider, inspiriert durch das spezielle Licht des Südens, aber auch aus ihren Anfängen in Hamburg. Während Bargheer flächige Pastelle in lockerem Strich schuf und sich der Moderne des „Mid-Century“ näherte, hielt List Land und Leute in zeitloser Schwarz-Weiß-Ästhetik fest: Der Blick durch ein Fenster auf das Mittelmeer oder ein befreundetes Malerpaar auf den Felsen werden zu ikonischen Bildern. Durch die Gegenüberstellung von Malerei und Fotografie werden die unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten ausgelotet und in ein spannungsreiches Verhältnis gesetzt.
Bizarre Faszination am Wiener Wachsfigurenkabinett
Vom Kaleidoskop eines künstlerischen Lebens kommen Besucherinnen und Besucher im Museum für Kunst und Gewerbe (MK&G) mitten hinein in ein Herzensprojekt Herbert Lists. Die Schau „Präuschers Panoptikum“ funktioniert wie ein Zoom: Förmlich hineingezogen wird man von den Bildern dieser faszinierend-fantastischen Welt des Wiener Wachsfigurenkabinetts, das von historischen über Märchenfiguren bis zu einer medizinischen Abteilung reichte.
Der Fotograf hatte daraus eine Mischung aus Fotobuch und Reiseführer entwickeln wollen. Allerdings scheiterte das Projekt, die Druckplatten wurden während des Zweiten Weltkrieges zerstört, ebenso die Wachsfiguren. Was aber bewahrt werden konnte, sind die Andrucke. 36 dieser kostbaren Raritäten sind ab 20. Mai im MK&G zu sehen.
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„Es ist das Spiel der Verlebendigung, das sehr typisch für Lists Arbeiten waren“, sagt Esther Ruelfs. Der Fotograf begleitet die Kuratorin schon seit über 20 Jahren: Sie schrieb ihre Magisterarbeit über ihn und promovierte anschließend zu Herbert List. 1999 traf sie sich mit dem einstigen Partner und Nachlassverwalter Lists, Max Scheler, in Hamburg und stieß zum ersten Mal auf die Fotografien aus dem Wachsfigurenkabinett.
„In ,Präuschers Panoptikum‘ konnte der bekennende Homosexuelle seine Lust an Kitsch und Körperlichkeit ausleben. Er inspirierte nachfolgende Künstlerinnen und Künstler, darunter die Amerikanerin Cindy Sherman, die bei der Biennale in Venedig einen Raum mit Puppen schuf. Außerdem erkannte er, wie sehr Bilder Geschlechterstereotypen und damit verbundene Machtverhältnisse prägen und reproduzieren. List kann damit als Vorreiter der Queer-Bewegung gesehen werden“, so Esther Ruelfs. Spannend sei, wie der Künstler in den verschiedenen Epochen wahrgenommen werde: „Mit seinem ernsthaften Interesse an Populärkultur würde er heute perfekt in die Camp-Szene passen.“
„Passione e Destino“, Bargheer Museum, Hochrad 75, Di–So 11.00–18.00, Eintritt 7,-/5,- (erm.), „Präuschers Panoptikum“ ab 20.5., MK&G, Steintorplatz, Di–So 10.00–18.00, Do 10.00–21.00, Eintritt 12,-/8,- (erm.), „Das magische Auge“, ab 20.5., Bucerius Kunst Forum, Alter Wall 12, tägl. 11.00–19.00, Do 11.00–21.00, Eintritt 9,-/6,- (erm.). Bei Interesse an einem exklusiven Leserevent im Rahmen der Ausstellung „Das magische Auge“ bitte eine E-Mail an leserevents-abendblatt@funkemedien.de mit dem Betreff „Herbert List“ schreiben