Hamburg. In „Das Licht, aus dem die Träume sind“ erzählt der indische Regisseur Pan Nalin seine eigene Geschichte und erinnert an alte Zeiten.

Es ist ein sehr filmisches Indien, in das uns Regisseur Pan Nalin hier entführt; mit Reisfeldern, Löwenrudeln und einsamen Bahnschienen. Mit hohem Gras und weitem Blick. Eine flache wie abgelegene Gegend, die große Träume weckt bei Jungs wie dem neunjährigen Samay (Bhavin Rabari), der den Zügen nachschaut, wenn er den Passagieren den Kathiawadi-Tee anbietet, den sein Vater, ein gläubiger Brahmane, in einem kleinen Verkaufsstand am Bahnhof braut.

Hier in der Provinz Gujarat, im Westen Indiens, hat alles seinen Platz: die Wolken am großen Himmel, die grünen Glasscherben neben den Schienen, selbst die Gewürze, mit denen Samays Mama Baa (Richa Meena) jeden Tag die herrlichsten Brotboxen zubereitet mit Okra und Zwiebeln, Rettich und Gurken und den flachsten und besten Chapatis der Welt, die man sich als Liebhaber dieses Brotes nur denken kann.

Liebeserklärung an die gute alte Zeit: Wie es früher im Kino war

Es ist wichtig, den Inhalt der Brotbox zu kennen, denn sie öffnet dem kleinen Jungen in „Das Licht, aus dem die Träume sind“ die Welt. Als ihn sein Vater ausnahmsweise ins örtliche Galaxy-Kino mitnimmt, um einen Film über die heilige Göttin Mahakali zu schauen, ist es um Samay geschehen. Der Ventilator rattert, der Projektor funzelt, eine Taube fliegt durch den Saal: Samay kann fortan vom Kino nicht mehr genug kriegen. Auch wenn sein gläubiger Vater das ablehnt, weil Brahmanen nicht ins Kino gehen dürfen – Samay ist angefixt.

Und da kommt die Brotbox ins Spiel: Sie ist die Eintrittskarte beim freundlichen wie stets hungrigen Filmvorführer Fazal (Bhavesh Shrimali), um Zugang zu dessen Projektorraum zu bekommen. Und so sieht Samay heimlich all die Kinowerke, die ihm elterlicherseits verboten sind. Er bereitet Filmrollen vor, lernt, wie sie eingelegt, geschnitten und „genutzt“ werden. „Das Wichtigste sind die Geschichten“, sagt dann Fazal. „Dafür musst du lügen können wie gedruckt“. Das könne er gut, versichert Samay. Und wir sehen das.

Die Welt durch die Filmrollen betrachten

Wie er den Eltern vorgaukelt, in die Schule zu gehen, dabei seine Stunden im Projektorraum absitzt. Wie er dann draußen versucht, das Licht einzufangen und dieses sich bricht, im grünen Glas. Wie er die Faszination von Spiegelungen und die Schatten der Bäume im Zug kennenlernt; wie er versucht, die Bilder der kleinen Streichholzschachteln auf eine Steinwand zu werfen; wie er mit Nähmaschine, Fahrrad und viel Fantasie in einem nahen Geisterdorf mit seinen Freunden einen Projektor baut und kleine Vorführungen organisiert.

Wie sie Filmrollen in der Sonne ausbreiten oder auf ihre Augen legen, um die Welt durch diese zu betrachten. Sodass das Leben als eine schöne Illusion herkommt in diesem Ort mit dem klangvollen Namen Chalala, der wie Musik klingt und an dem doch auf so vielsagende Weise irgendwann der Zug der Zeit vorbeifährt.

Die gute alte Zeit des Kinos: Filme, die die Magie des Kinos beschwören

Sichtlich mit einer Träne im Knopfloch hat hier Pan Nalin seine eigene Kino-Initiation verfilmt, in seiner Heimatregion, mit seinem Blick auf die Welt. Mit seiner Liebe zu all den großen Namen von David Lean bis Satyajit Ray, von Fellini bis zu Antonioni, denen er im Vor- und Anspann dankt. Man kennt diese Filme, die die Magie des Kinos beschwören, von Giuseppe Tornatores „Cinema Paradiso“ bis zu Zhang Yimous jüngstem Meisterwerk „Eine Sekunde“, in dem ein Mann immer wieder ins Kino geht, um eine ganz bestimmte Sekunde aus einer Wochenschau zu sehen. Diese politische Ebene fehlt „Das Licht, aus dem die Träume sind“.

Es ist eher ein bittersüßer Erinnerungsfilm an die gute alte Zeit ratternder Kinoprojektoren im schummrigen Licht. Dass diese in einer beeindruckenden Schlusssequenz zu Esslöffeln eingeschmolzen und Filmrollen zu Plastikarmbändern verarbeitet werden, ist ein derart unfilmisches Ende, das auch Nicht-Cineasten schlucken lässt.

„Das Licht, aus dem die Träume sind“ 112 Min., ab 12, im Abaton, Studio. Koralle, Zeise