Hamburg. Ukrainer erhielten zu Konzert von Dakh Daughters im Thalia Theater freien Eintritt. Generalkonsulin hält bewegende Rede.

Ein Rockkonzert in Kriegszeiten ist kein reines Vergnügen. Und der Auftritt der ukrainischen Band Dakh Daughters am Sonnabend im Thalia Theater noch weniger. Sollte er allerdings auch nicht sein: Die Band war im Februar auf Tour in Frankreich, als der Krieg in ihrer Heimat losbrach, darauf entschieden sich die Musikerinnen, die folgenden Auftritte als Performance unter dem Motto „Artfront“ anzulegen. Statt Entertainment also: ein szenisches Konzert, das sich bewusst als Teil der ukrainischen Verteidigung gegen den russischen Angriffskrieg verstand, mit drastischen Videobildern und wütenden Anklagen.

Dass das kein einfacher Politrock war, sondern ein durchinszeniertes Kunstwerk mit eigenem ästhetischen Anspruch, liegt in der Natur der Dakh Daughters begründet: Die Band wurde ursprünglich am freien Theater Dakh in Kyiv gegründet, die Musikerinnen sind ausgebildete Schauspielerinnen, Theaterleiter Vlad Troitsky war im Thalia anwesend.

Ukrainische Band Dakh Daughters im Thalia Theater

Mit ukrainischem Pass erhielt man freien Eintritt, weswegen das Publikum mehrheitlich aus Geflüchteten bestand: viele Frauen und Kinder, die teils lange Anfahrten auf sich nahmen, um das Konzert mitzuerleben. Die Dakh Daughters sind spätestens seit ihrem Auftritt bei den prowestlichen Euromaidan-Protesten 2013 landesweit bekannt, wobei sich ihre eklektizistische Mischung aus Dark Cabaret, Hip-Hop, osteuropäischer Folklore und unzähligen weiteren Genres eigentlich dem großen Publikum versperren dürfte. Aber: Ihre eindeutige politische Haltung und ihre ästhetische Konsequenz wirken gemeinschaftsstiftend, sodass der Auftritt im Thalia trotz der teilweise harschen Genrewechsel wie aus einem Guss wirkte.

Vorab sprach die ukrainische Generalkonsulin Iryna Tybinka – hart in der Sache, klar die Angreifer benennend. Die russische Armee sei eine „Armee von Mördern, Plünderern, Henkern“, meinte die Diplomatin, während sie Russland differenziert betrachtete: „Ich weiß, dass es Russen gibt, die sich schämen. Aber es sind viel zu wenige.“ Auf nationalistische Agitation verzichtete Tybinka weitgehend, ihre Worte waren vielmehr geprägt von Trauer und Fassungslosigkeit angesichts des Geschehens in ihrer Heimat. Und vom Wunsch nach stärkerem Engagement des Westens: Mehr als einmal wurde eine Flugverbotszone über der Ukraine gefordert.

Konzertkritik: Dakh Daughters füllen "Leere im Herzen"

Auch der Auftritt der Dakh Daughters ging ohne (im übrigen verständliches) Kriegspathos über die Bühne. Zwar wehten blau-gelbe Fahnen, zwar fiel mehrfach der Schlachtruf „Slava Ukrajini!“ („Ruhm der Ukraine!“), an einer Stelle wurde ein Songtext per Übertitel mit „Wir glauben, dass unser Herr Jesus Christus auf der Seite der Ukraine steht!“ übersetzt – für mitteleuropäische Ohren klingt so etwas ungewohnt. Aber die Dakh Daughters repräsentierten auf der Bühne solch eine schräge Diversität, dass klar wurde: Man hatte es hier nicht mit brütendem Nationalismus zu tun, sondern mit dem trotzigen Selbstbewusstsein von Künstlerinnen, die ihr multikulturelles Konzept nicht so einfach einem brutalen Angreifer als Beute darbieten.

„Dieses Konzert gab uns die Möglichkeit, zurückzukehren in die Zeit, in der wir alle glücklich waren“, meinte Theaterleiter Troitsky zum Abschluss. Und mit berührender Emotionalität antworteten Zuschauerinnen aus dem Publikum: „Sie haben die Leere in meinem Herzen mit Liebe gefüllt!“, bedankte sich eine junge Frau aus Odessa mit brüchiger Stimme. Ein Konzert in Kriegszeiten ist kein reines Vergnügen. Aber die Herzen berühren, das kann es dennoch.