Hamburg. Ein Besuch bei den Maskenbildnerinnen, die mit großem Aufwand für die gefeierte Inszenierung von „Der Tod in Venedig“ arbeiten.

„Die Maske hilft. Sie schiebt mich in meine Rolle rein“, sagt Oda Thormeyer. „Die Maske“, das sind Jutta Böge und Esther Chahbaznia. Es ist 18.45 Uhr, kurz vor Vorstellungsbeginn, Oda Thormeyer und ihre Ensemblekollegin Victoria Trauttmansdorff werden für ihren Auftritt in „Der Tod in Venedig“ im Thalia an der Gaußstraße vorbereitet.

Mit etwas Schminke ist es nicht getan: Die beiden Maskenbildnerinnen verwandeln die Schauspielerinnen in Wiedergänger des Schriftstellers Thomas Mann. Mit gescheitelter Perücke und hohem Haaransatz, mit Oberlippenbart und einem Leberfleck unter dem linken Auge. Wenn sie später auf der Bühne der Gaußstraße noch Hut, Brille und den grauen Dreiteiler inklusive Einstecktuch tragen, ist kaum zu erkennen, dass in diesen Anzügen Frauen stecken.

Theater Hamburg: Böge seit 27 Jahren im Thalia

Eine Dreiviertelstunde dauert die Prozedur in der geräumigen Garderobe im zweiten Stock der Gaußstraße. Die Corona-Pandemie hat es möglich gemacht, dass die Maskenbildnerinnen jetzt in einem großen Raum arbeiten können, in dem sie sich nicht ins Gehege kommen. Die roten Schminktische sind übersät mit Pinseln, Bürsten, Schminktöpfen und Fläschchen mit Farbe und Tinkturen.

Die Perücken stehen auf einem eigenen Tisch bereit. Schon am frühen Nachmittag waren Böge und Chahbaznia in der Gaußstraße, um die Perücken, Bärte und Augenbrauen zu frisieren und vorzubereiten. „Das gehört vor und nach jeder Vorstellung dazu“, sagt Jutta Böge. Seit 27 Jahren arbeitet sie als Maskenbildnerin am Thalia.

"Ich wollte unbedingt ans Thalia"

Ihre Ausbildung hat sie an der Bayerischen Staatsoper gemacht. „Aber ich wollte unbedingt ans Thalia, weil es zu den besten Adressen in Deutschland gehört“, so Böge. „Sie sind die Besten“, sagt Sandra Flubacher über die beiden Maskenbildnerinnen, die ebenso wie Karin Neuhäuser inzwischen fertig geschminkt und in einen von vier Thomas Manns verwandelt ist.

Besonderen Aufwand erfordert die Kreation der Perücken: Für jeden Kopf müssen sie maßgeschneidert sein. Haar für Haar wird mit einer feinen Nadel in den Tüll gezogen, 40 bis 60 Stunden dauert es, bis so eine Perücke fertig ist. Böge und Chahbaznia haben die vier Haarschöpfe mit etwas Hilfe aus der Abteilung selbst kreiert.

Julia Wilms leitet die Maskenbildnerei

„Wir sind die einzige Abteilung im Haus, die Werkstatt- und Abenddienst hat. Je mehr Vorstellungen wir haben, desto weniger Zeit bleibt für Anfertigungen,“ sagt Julia Wilms. Sie leitet die Maskenbildnerei im Thalia Theater, ist Chefin von elf Kolleginnen und einem Kollegen und bei jeder Produktion Schnittstelle zu Regie und Kostümbild.

Bei „Der Tod in Venedig“ waren die Anforderungen von Regisseur Bastian Kraft und Bühnenbildner Peter Baur besonders hoch, weil für Video-Einspieler mehr als ein Dutzend weitere Masken benötigt wurden. „Diese Drehs fanden schon vor einem Jahr statt. Bei der Ausführung und Umsetzung der Masken hatten wir volles Vertrauen vom ganzen Team und freie Hand. Das sind natürlich fantastische Voraussetzungen für so eine Arbeit,“ erzählt Esther Chahbaznia.

Konzentrierte Atmosphäre in der Maske

Sandra Flubacher hat sich per Maske in Thomas Mann verwandelt.
Sandra Flubacher hat sich per Maske in Thomas Mann verwandelt. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services

Auch sie arbeitet bereits seit 23 Jahren im Haus am Alstertor. Für die Videoszenen mussten sie und ihre Kollegin die Schauspielerinnen als Musiker, Pagen, Gondoliere und Rezeptionisten ausstaffieren, Bärte gehörten immer dazu.

Direkt vor der Vorstellung ist die Atmosphäre in der Maske des Thalia Gaußstraße konzentriert, aber auch entspannt. „Die Schauspielerinnen haben ja auch noch ihre eigenen Haare. Das ist schon eine Herausforderung, sie so zu legen, dass am Ende ein überzeugender Herrenkopf entsteht“, sagt Jutta Böge.

„Ein bisschen zurechtruckeln – dann sitzt es auch“

Mit geschickten Fingern, Nadeln und sogenannten Federn glättet sie die Frisuren und setzt die Perücke auf: „Ein bisschen zurechtruckeln – und dann sitzt es auch.“ Die Augenbrauen und Bärte werden mit Mastix angeklebt. Das ist ein Harz, der aus dem in Griechenland vorkommenden Mastixbaum gewonnen wird.

„Und ein leckerer Likör“, weiß Karin Neuhäuser. Small Talk ist in der Garderobe genauso gang und gäbe wie in jedem Friseursalon. Die Gespräche vor den Schminkspiegeln drehen sich um Themen wie Disziplin, Urlaub in Venedig, Corona und eine Benefizveranstaltung des Thalia-Ensembles für Ukraine-Flüchtlinge.

Maskenbildner brauchen viele Fähigkeiten

Nachdem das weibliche Thomas-Mann-Quartett auf die Bühne zum Soundcheck gegangen ist, räumen Böge und Chahbaznia auf, packen die Perückenköpfe zusammen und gehen damit in die sogenannte Bühnenmaske, einen Raum, in dem sie den vier Schauspielerinnen die Perücken und die Bärte am Ende der Vorstellung wieder abnehmen.

„Der Tod in Venedig“: Sandra Flubacher, Karin Neuhäuser, Oda Thormeyer und Victoria Trauttmansdorff als Thomas Mann.
„Der Tod in Venedig“: Sandra Flubacher, Karin Neuhäuser, Oda Thormeyer und Victoria Trauttmansdorff als Thomas Mann. © Krafft Angerer

„Eine gute Maskenbildnerin muss über eine Vielzahl handwerklicher und künstlerischer Techniken verfügen, Einfühlungsvermögen für die Schauspieler und möglichst viele Jahre Berufserfahrung mitbringen“, sagt Esther Chahbaznia. „Und dreidimensionales Denken, einen guten Blick und Talent für Formenbau“, ergänzt Jutta Böge. „Denn wir modellieren nicht selten große und kleine plastische Formen.“

Theater Hamburg: Maskenbildnerei auch eine Kultur

Für Böge ist wichtig, dass Maskenbildnerei ein jahrhundertealtes Handwerk und eine Kultur ist. „Deshalb ist es unsere Verantwortung, Nachwuchs auszubilden, damit dieses Wissen nicht verloren geht.“ Aber sie weiß auch, dass die tollste Maske nicht ausreicht, um eine Figur zum Leben zu erwecken. „Die Schauspielerinnen sind entscheidend“, sagt Jutta Böge. „Durch sie erst entsteht diese besondere Aura.“

Die Vorstellung in der Gaußstraße endet gegen 21.30 Uhr, eine halbe Stunde später haben auch Böge und Chahbaznia Feierabend. „Es gibt Gewerke, die nicht am Abenddienst teilnehmen, aber dieses Dabeisein macht für mich die Arbeit am Theater aus“, sagt Jutta Böge. Hinter der Bühne hören die beiden Frauen den Applaus des Publikums. Auch wenn sie sich nicht vorne an der Rampe verbeugen, sondern in den Kulissen bleiben, wissen sie, dass dieser Beifall auch ihnen gehört. Für ihre außergewöhnliche Arbeit.

„Tod in Venedig“ läuft im Thalia in der Gaußstraße wieder am 30./31.3. (beide ­ausverkauft), 9., 16. und 28.4.