Los Angeles. Der Schauspieler ließ sich von Chris Rock, einem der Präsentatoren der Preise, provozieren. Drei Auszeichnungen für Gehörlosenfilm „Coda“

Autsch, das saß. Eigentlich sollte die 94. Oscar-Gala eine Feier der Eintracht und des Friedens sein. Und dann das: Will Smith ging auf die Bühne und gab dem Präsentator Chris Rock eine schallende Ohrfeige. Vor der gesamten Branche. Und vor Millionen von Fernsehzuschauern. Ausgerechnet Smith, der immer gut gelaunte Entertainer. Manche hielten das deshalb zunächst für einen einstudierten Scherz. Aber nein, es war bitterer Ernst.

Der Komiker Chris Rock hatte sich über Smiths Ehefrau Jada Pinkett Smith lustig gemacht. Die leidet unter Haarausfall, was sie vor vier Jahren auch öffentlich machte. Rock, der keinen schalen Scherz auslässt, frotzelte, er freue sich schon auf „Die Akte Jane Teil 2“ – weil Demi Moore in „Akte Jane“ als Elitesoldatin der Kopf kahlgeschoren wurde. Will Smith lachte zunächst noch, doch seine glatzköpfige Frau war not amused.

Oscarverleihung: Smitz ohrfeigte Rock

Deshalb stürmte der 53-Jährige auf die Bühne und ohrfeigte Rock. Zurück auf seinem Platz, beschimpfte er den Komiker noch wüst („Nimm den Namen meiner Frau nicht in den Mund“) und benutzte dabei zweimal das F-Wort, weshalb die Organisatoren für kurze Zeit den Ton unterbrachen.

Chris Rock, sichtlich verdattert, meinte nur, dieser Moment werde in die TV-Geschichte eingehen – aber vor allem in die Geschichte der Oscars. Denn kurz darauf gewann Smith als bester Schauspieler. Sein erster Oscar-Sieg, nachdem er schon zweimal nominiert worden war, für die Darstellung von Richard Williams, dem Vater und Trainer der Tennis-Göttinnen Venus und Serena Williams in „King Richard“. Ein Triumph, den ihm eigentlich jeder gönnte. Aber das Publikum war noch sichtlich aufgewühlt. Wie auch Will Smith selbst, dem die Tränen kamen.

„Irgendwie ist die Stimmung hier anders“

In seiner Dankesrede versuchte er sich denn auch zu rechtfertigen. Richard Williams sei ein erbitterter Verteidiger seiner Familie gewesen, der seinen Töchtern ihre Sportlerkarriere durch hartes Training, aber auch durch Beharrlichkeit ermöglich habe. „Kunst imitiert das Leben“, schluchzte der Preisträger, „aber Liebe lässt einen verrückte Dinge machen.“ Am Ende gab er der Hoffnung Ausdruck, dass die Filmakademie ihn dennoch wieder einladen werde.

Der Schock freilich saß tief. Auch Amy Schumer, eine der drei Moderatorinnen des Abends, griff das auf, als sie auf die Bühne zurückkehrte und fragte, ob sie etwas verpasst habe: „Irgendwie ist die Stimmung hier anders.“ Nach der Verleihung hat sich Smith bei den Organisatoren entschuldigt. Nicht aber bei Chris Rock. Die Ohrfeige könnte in den USA als Körperverletzung geahndet werden.

Rock erstattete bisher keine Anzeige

Chris Rock hat aber bislang keine Anzeige erstattet. Trotzdem könnte der Abend, der für Will Smith sein größter Triumph hätte werden können, seine künftige Karriere ganz anders bestimmen. Auch wenn Rocks Witz sicher geschmacklos war – es fielen auch andere Zoten an diesem Abend, die diejenigen, die damit getroffen wurden, besser wegsteckten.

Will Smith hat damit auch den Oscar-Veranstaltern eine Ohrfeige verpasst. Denn die wollten nach den coronabedingten Einschränkungen der Vorjahre und den eher zähen Verleihungen der letzten Zeit dem Kino wieder als Ganzes huldigen. Doch von diesem Abend im Dolby Theatre in Los Angeles wird einzig der Ausraster von Will Smith in Erinnerung bleiben.

Jane Campion gewann den Regie-Preis

Dabei gab es so vieles, worüber man sich hätte freuen können. Dass Jane Campion etwa den Regie-Preis für ihren Western „The Power of the Dog“ gewonnen hat. Sie ist die erste Frau, die in dieser Kategorie zweimal nominiert wurde, überhaupt war es erst die siebte Nominierung für eine Filmemacherin, und erst zwei haben vor ihr reüssiert: Kathryn Bigelow 2010 und Chloe Zhao im Vorjahr.

Szenenbilder aus dem Film
Szenenbilder aus dem Film "Dune". © Chia Bella James

Endlich gibt es nach der #MeToo-Debatte mehr Gleichberechtigung beim wichtigsten Filmpreis der Welt. Mit Ariana DeBose wurde die erste öffentlich queere Latina-Schauspielerin ausgezeichnet. Und dass mit Will Smith ein Afroamerikaner als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde, ist leider immer noch keine Selbstverständlichkeit: Nicht umsonst wurde vor wenigen Jahren zum Boykott #OscarsSoWhite aufgerufen.

Taubstummendrama gewann in drei Kategorien

Und mit „Coda“ gewann dann überraschend ein Taubstummendrama, und zwar in allen drei Kategorien, in dem es nominiert war, auch als bester Film, womit er die Favoriten des Abends ausstach: „The Power of the Dog“, der zwölfmal, und „West Side Story“ und „Belfast“, die je siebenmal nominiert waren, aber alle nur je eine Trophäe ergatterten.

Troy Kotsur und Marlee Matlin im Siegerfilm „Coda“.
Troy Kotsur und Marlee Matlin im Siegerfilm „Coda“. © dpa

Regisseurin Sian Heder sprach in ihrer Dankesrede die Hoffnung aus, dass damit eine weitere Bewegung ausgelöst und mehr Geschichten von und über Gehörlose erzählt werden könnten. Schließlich ist es ganze 35 Jahre her, dass Marlee Matlin, die auch in „Coda“ mitspielt, für „Gottes vergessene Kinder“ als erste gehörlose Schauspielerin einen Oscar gewann.

Oscar-Veranstalter können Smith dankbar sein

Im Vorfeld der Gala wurde spekuliert, ob mit Campions Netflix-Western nun erstmals eine Produktion eines Streamingdienstes den Hauptgewinn einheimsen könnte. Stattdessen darf nun eine andere, kleinere Plattform diesen Erfolg für sich verbuchen: Heders
„Coda“ ist bei Apple TV+ abrufbar. Eigentlich müsste jetzt sofort eine Debatte einsetzen, ob dieser Oscar-Sieg das Ende des klassischen Kinos markieren könnte. Aber nein, alle werden nur über den Ausraster von Will Smith sprechen.

Die Oscar-Veranstalter könnten ihm trotzdem dankbar sein. Denn darüber dürfte schnell vergessen werden, dass diese Verleihung doch wieder sehr langweilig geriet. Und teils auch ärgerlich. Gleich acht Nebenkategorien wurden nicht mehr live verliehen, sondern schon vorher und nur in Ausschnitten eingeblendet.

Viel Zeit ging für die Feier von Filmjubiläen drauf

Das hat viele Filmschaffende in diesen Gewerken zu Recht verstimmt. Stattdessen wurde viel Zeit für zahllose Filmjubiläen aufgewendet (50 Jahre „Der Pate“, 60 Jahre „James Bond“, aber auch 28 Jahre „Pulp Fiction“, ein recht krummer Anlass) und Werbung für das neue Museum der Oscar-Academy gemacht.

Und auch politisch blieb diese Veranstaltung überraschend mau. Schauspielerin Jamie Lee Curtis, eine der Präsentatorinnen, trug immerhin ein blaues Band mit der Aufschrift „WithRefugees“. Und Francis Ford Coppola rief mit seinen „Paten“-Darstellern Robert De Niro und Al Pacino „Viva Ukraine!“. Aber eine Zuschaltung des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, über die viel spekuliert wurde, blieb aus.

Oscarverleihung: Solidarität mit Schweigeminute ausgedrückt

Das wäre wohl auch nicht ganz passend gewesen, doch der zweifache Oscar-Preisträger Sean Penn hatte vorab zu einem Boykott der Gala aufgerufen, sollte sie ohne Selenskyj stattfinden. Immerhin bekundete die Academy ihre Solidarität mit der Ukraine mit einer Schweigeminute. Aber nicht etwa von einem namhaften Präsentator vorgetragen, sondern nur mit einer Texttafel eingeblendet. Das ist doch etwas wenig für Hollywoods kreative Elite.