Hamburg. Beim dreistündigen Solidaritätsabend gab es eine Live-Schalte in die Ukraine – Thalia sammelt Spenden und zeigt Haltung.
Mariana Sadovska ist im Dauereinsatz. Die in Köln lebende ukrainische Sängerin und Komponistin reist dieser Tage von einer Benefiz-Veranstaltung zur nächsten. Nun steht sie auf der Bühne des Thalia Theaters, wo man sie auch als stimmgewaltige Performerin aus Ewelina Marciniaks Inszenierung „Die Jakobsbücher“ nach Olga Tokarcuk kennt. Zunächst präsentiert sie ihren gewohnt berührenden, zwischen Folk und Jazz schwebenden Gesang, begleitet von einer dreiköpfigen Band. Dann aber erhebt sie ihre Stimme und hört fast nicht mehr auf zu reden. Sie sammele für Schutzwesten, Funk- und Nachtsichtgeräte sowie Drohnen für die Ukraine, erzählt sie unter anderem.
Das Bedürfnis nach Zusammenhalt, nach Gemeinschaft ist groß an diesem Abend im Thalia Theater. Ein Krieg in Europa, der Einfluss auf das Gesamtgefüge der Weltordnung hat, zieht Ängste und ein Gefühl der Hilflosigkeit nach sich. „Mit ihm werden alle Themen weggebombt, die uns eigentlich beschäftigen sollten“, so Intendant Joachim Lux in seiner Begrüßung. Dies aufzufangen, zu diskutieren, dabei zu differenzieren, sei auch Aufgabe des Theaters. Kurzfristig hatte er den Abend „Solidarität mit der Ukraine. Stimmen aus der Ukraine, Hamburg und von anderswo“ auf den Spielplan des Thalia Theaters gesetzt. Anstelle von Schillers „Die Räuber“. Der Saal ist fast bis auf den letzten Platz gefüllt, das Bedürfnis, nicht allein zu sein, spürbar. „Wir brauchen Gemeinschaft, um nicht zu verzagen“, so Lux.
Theater Hamburg: Thalia Theater sammelt Spenden für die Ukraine
Das Thalia Theater hat eine Spendenaktion ins Leben gerufen. Aber der Intendant hat auch ein Anliegen aus Theatersicht. An ihn sei die Frage herangetragen worden, ob Kirill Serebrennikovs Inszenierung von Tschechows „Der schwarze Mönch“ weiterhin gespielt werde. „Natürlich“, so Lux. In dem Stück des über Jahre vom Putin-Regime drangsalierten Regisseurs gehe es um Freiheit. „Hier stehen Menschen auf der Bühne, die für ein anderes, für ein friedliches und freies Russland stehen.“ Mit diesem Russland wolle er auch weiter künstlerisch zusammenarbeiten, sagt Lux und erntet großen Applaus. Auch die Russen seien deprimiert und unterdrückt. Theaterdirektoren hätten ihm berichtet, dass sie gefeuert wurden, nachdem sie einen Aufruf zum Frieden unterzeichnet hatten.
Die Welt ist kompliziert, die Haltung jedoch ganz klar: Solidarität mit der Ukraine. Thalia-Ensemblemitglied Felix Knopp macht den Anfang in einem Lesereigen, bei dem sich persönliche Berichte aus der Ukraine dieser Tage, literarische Texte, Statements und Musikbeiträge abwechseln. Es geht dabei immer auch um Freiheit, Demokratie und das Recht auf Selbstbestimmung. Und um ein längst überholt geglaubtes Supermacht-Denken in einer multilateralen Welt. „Der Krieg ist irgendwann zu Ende, auch wenn er heute endlos aussieht“, liest Knopp aus Serhij Zhadans „Kaplane und Atheisten“. „Die Städte, die Straßen, die Stimmen, die bleiben.“
Liebe, Zusammenhalt und Stärke in schweren Zeiten
„Niemals zuvor habe ich soviel Liebe, Zusammenhalt und Stärke gesehen“, gibt wenig später Christiane von Poelnitz den Worten der ukrainisch-deutschen Schriftstellerin Katja Petrowskaja Raum, die von Georgien aus mit ihrer Cousine in einem Fluchtkeller in Kiew kommuniziert, wo die Hälfte der Stadtbevölkerung ausharrt.
Buchpreisträger Saša Stanišić begnügt sich nicht mit einer reinen Lesung. Er macht sich in einem aufwühlenden, sprachlich wie immer geschliffenen Statement Luft. Im Internet habe er Umbenennungen von Klassikern gefunden: „Krieg und Frieden“ heiße da jetzt „Spezielle militärische Operation und Frieden“. Die Stimmen der Schutzsuchenden aus den Kellern, die jetzt hörbar werden, sie zögen sich im durch seine gesamte Biografie – er selbst floh als Jugendlicher vor dem Jugoslawien-Krieg nach Deutschland.
Saša Stanišić legt den Finger in manche Wunden
Stanišić legt den Finger in so manche Wunde: Das Hinnehmen von Russlands Kriegsgebaren in Syrien. Die Naivität gegenüber Putin. Die Unterscheidung zwischen blonden und dunkelhaarigen Flüchtenden an der polnischen Grenze. Es bleibe die unermesslich hohe Bedeutung der Sprache, die all die Geschichten unter den Trümmern irgendwann aufsammeln werde.
Auch die Hamburger Schriftstellerin Monique Schwitter richtet in ihrer Funktion als Präsidentin der Freie Akademie der Künste in Hamburg einen kämpferischen Appell an das Publikum. Das Recht auf Selbstbestimmung und Unversehrtheit sei nicht verhandelbar, so Schwitter. Der Krieg richte sich gegen uns alle und jeder einzelne sei jetzt gefragt.
Mut machende und beklemmende Momente
Es gibt Mut machende, aber auch sehr beklemmende und bewegende Momente an diesem Abend. Als Mariana Sadovska per Live-Schalte mit Volodymyr Sheiko spricht, Direktor des Ukrainischen Institutes, einer Kulturinstitution in Kiew, werden beide sehr deutlich. „Die Welt überlebt ohne Anna Netrebko“, sagt Sheiko. Er respektiere die russische Kultur und ihre Errungenschaften, aber zur Zeit sei sie instrumentalisiert. Es gebe keinen Ausweg aus der aktuellen Situation, solange die russische Gesellschaft nicht entscheide, dass das Regime gehen müsse.
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Es tut gut, nach vielen starken Worten immer wieder auch die Gedanken sacken zu lassen an diesem langen, gut dreistündigen Abend. Die ukrainische Pianistin Olena Kushpler legt ihre Gefühle ganz in ihre eindringliche Kunst am Piano. Aufgewühlte, zeitgenössische Klänge sind es und mitunter donnern die Akkorde wie verzweifelte Gewehrsalven. Die Hamburger Autorin Simone Buchholz schließlich mag so manchem im Saal aus der Seele sprechen, als sie ihre Lesung von Dmitrij Kapitelman sehr unmissverständlich abrundet. Mit einem beherzten „Fuck You, Mr. Putin.“