Hamburg. Einsicht in die tiefe Wunde eines einsamen Wolfes: „Dune“-Star Oscar Isaac in einem Drama über Kontrolle und Kontrollverlust.

Dieser Mann lässt sich nicht in die Karten schauen. Vielmehr sieht er mit Adlerblick auf jene Karten, die schon offen liegen. Damit unterscheidet sich William Tell (Oscar Isaac) eigentlich nicht von anderen Pokerspielern, die sonst die US-Casinos und im Kino die Leinwände bevölkern. Doch William ist anders.

Er zählt die Karten, weil er nicht auffallen möchte. Weil er nicht zu viel Gewinn einstreichen will, um ja nicht ins Visier der Glücksspielstätten zu gelangen. Weil er kommen und wieder verschwinden will. Schnell. Aus den Casinos, aus den Motels, in eine andere Stadt. Nur weg von der eigenen Vergangenheit. Da sind Erinnerungen an den Knast, ein Trauma aus einem schrecklichen Krieg, eine großen Schuld und die Suche nach Vergebung. Für sich selbst – und für andere.

Neu im Kino: „The Card Counter“ – Flucht vor der Vergangenheit

„The Card Counter“ ist ganz offensichtlich ein Film von Paul Schrader. Der Drehbuchautor von „Taxi Driver“ und Regisseur solch bemerkenswerter Werke wie „Light Sleeper“ und „Der Gejagte“ folgt auch hier einem einsamen, nachtaktiven Wolf auf der Suche nach Erlösung. Die Reise durch die Pokerszene in den USA mit ihren bunten Spielautomaten, hässlichen Teppichmustern, langen Hotelfluchten und sehr einsamen Bars ist das Setting, in dem William sich auf seine ganz eigene Weise zurückzieht. Wenn er in den Motels Bilder und Möbelstücke mit weißen Bettlaken abhängt, Telefon und Wecker ausstellt, ahnt man, dass da jemand etwas verdecken will.

Doch dann trifft er Cirk (Tye Sheridan). Der junge Mann spricht William Tell während eines Vortrags des altgedienten Majors Gordo (Willem Dafoe) in einem Hotel an. Erzählt, dass sein Vater damals in Abu Ghraib gefoltert habe – so wie William. Dass er dafür im Gefängnis landete – so wie William. Dass sein Vater sich das Leben genommen habe – und William ja nun Rachegelüste haben müsste. Denn: Der Vorgesetzte in Abu Ghraib kam damals ungeschoren davon: Major Gordo. Cirk will ihn gemeinsam mit William töten, doch der sinnt nicht auf Rache. Vielmehr nimmt er den jungen Mann mit auf seine Tour durch die USA – und gibt dabei einen Teil seiner Deckung auf.

Bunte Kostüme, falsche Hoffnungen, schnelles Glück

„The Card Counter“ ist ein unglaublich cooler Film. Voller Eleganz in seinen tranceartigen Kamerafahrten, die in der Hölle von Abu Ghraib mit ihrem Rundumblick durch ein Labyrinth voller Dreck, lauter Musik und Waterboarding-Attacken ihren auch visuellen Höhepunkt erleben – als Einsicht in die tiefe Wunde dieses einsamen Wolfes. ­„Dune“-Star Oscar Isaac gibt ihn mit großer Nonchalance, der sich in die umtriebige Poker-Agentin La Linda (Tiffany Haddish) verliebt – undurchsichtig wie er, dem Spiel verfallen wie er und ein Produkt dieser Halbwelt aus bunten Kostümen, falschen Hoffnungen, schnellem Glück. Und Kontrollverlust – wie bei den Verhören in Abu Ghraib.

„The Card Counter“ 112 Minuten, ab 16 Jahren, läuft im Abaton, Koralle, Zeise