Hamburg. Die ukrainische Pianistin Olena Kushpler lebt schon lange in Hamburg. Doch jetzt sind ihre Gedanken bei den Menschen in der Ukraine.

Olena Kushpler sieht erschöpft aus. Und sie ist es auch. Seit Tagen kann die ukrainische Pianistin, die seit mehr als zwei Jahrzehnten in Hamburg lebt und an der Musikhochschule studiert hat, nicht mehr richtig schlafen. Im Zoom-Interview spricht sie zunächst stockend, macht Pausen – der Ukrainekrieg hat sie aus der Bahn geworfen.

Eine Künstlerin, die für ihre CD-Einspielungen der Klavierwerke von Leoš Janáček und Federico Mompou hoch gelobt wird, die beim SHMF ebenso gespielt hat wie beim Rheingau-Musikfestival und auch für literarisch-musikalische Programme mit Ulrich Tukur, Iris Berben oder Charly Hübner bekannt ist. Doch jetzt ist Musik nachrangig.

Frau Kushpler, wie geht es Ihnen?

Olena Kushpler: Wir befinden uns alle in einem Ausnahmezustand. Wir schlafen nachts nicht und fühlen uns, als ob wir in einem Albtraum leben, der nie aufhört. Wenn man überlegt, wie es meinen Landsleuten in der Ukraine­ gerade geht – es ist unvorstellbar.

Haben Sie derzeit Kontakt in die Ukraine?

Olena Kushpler: In Lwiw (Lemberg), der Stadt, in der ich geboren wurde und aufgewachsen bin, habe ich ganz viele Angehörige und Freunde. Auch in Kiew habe ich Freunde und Verwandte. Wir versuchen, permanent in Kontakt zu bleiben und sie aufzumuntern, aber unter diesen Umständen fällt das unglaublich schwer. Einige sind inzwischen ausgereist. Vor allem Frauen und Kinder, die sich an der Grenze von ihren Männern verabschiedet haben, die dann zurückkehren, um zu kämpfen. Das sind Ärzte, Anwälte, Lehrer, Musiker, ganz normale Menschen, die in den Kampf für die Freiheit und die Zukunft gezogen sind und nicht wissen, ob sie ihre Familien jemals wiedersehen.

Sie bereiten sich gerade auf eine Aufnahme in wenigen Tagen vor. Wie schaffen Sie es momentan, sich darauf zu konzentrieren?

Olena Kushpler: Die Aufnahme war schon seit letztem Jahr geplant. Ich nehme Werke ukrainischer Komponisten für Deutschland­radio auf. Eigentlich bin ich derzeit überhaupt nicht in der Lage zu spielen. Ginge es nicht um ukrainische Komponisten, hätte ich es auch nicht gemacht. Aber ich betrachte das jetzt umso mehr als meine Pflicht und meinen Beitrag, unser Land der Welt zu präsentieren.

Wie sieht derzeit Ihr Alltag aus?

Olena Kushpler: Das Telefon steht bei mir nicht still. Ich habe mich mit ukrainischen und deutschen Freunden in Hamburg zusammengetan, um etwas zu tun. Wir suchen nach Wohnungen für Geflüchtete, kaufen in er Ukraine Benötigtes ein, um humanitäre Hilfe zu leisten. Heute kommt eine Frau mit Säugling und zwei kleinen Kindern an, die vor dem Krieg geflüchtet sind. Das sind traumatisierte Menschen, denen sofort geholfen werden muss. Deshalb mein Appell an alle Hamburger: Demonstrationen sind sehr gut, sie unterstützen uns sehr! Aber man kann auch konkret helfen, indem man Wohnungen oder Zimmer zur Verfügung stellt. Es gibt viele Spendenkonten und -Aktionen. Bitte helft, wie ihr nur könnt!

Viele Künstler wie Jewgeni Kissin oder Kirill Petrenko nehmen sehr konkret Stellung zu den Ereignissen. Andere wie Valery Gergiev oder Anna Netrebko vermeiden eine klare Positionierung gegen Vladimir Putin...

Olena Kushpler: Ich finde es sehr wichtig, dass Künstler sich unmissverständlich äußern. Jewgeni Kissin ist ein sehr guter Freund von mir uns hat sich immer schon gegen dieses schreckliche Putin-Regime positioniert. Wenn ich lese, dass manche sagen, „Ich bin nicht politisch“, kann ich nur antworten: Jeder, der schweigt, ist ein Mittäter. Das hat uns der Zweite Weltkrieg gelehrt. Niemand darf sich im Angesicht eines solchen Verbrechens auf seine schöne Kunst zurückziehen. Es ist unsere Bürgerpflicht, uns gemeinsam gegen das Böse zu stellen. Wenn Künstlerinnen und Künstler hier keine klaren Worte finden, sondern darauf verweisen, dass sie unpolitisch sind, dann ist das einfach beschämend.

Was kann die Musik, die Kultur allgemein, in dieser Extremsituation leisten?

Olena Kushpler: Kultur als Ablenkung funktioniert in dieser Situation nicht. Aber die Musik hat eine große Bedeutung, weil sie verbindet. Wir Ukrainer sind ein sehr musikalisches Volk. Wenn wir am Ende eines schönen Abends zusammensitzen, dann singen wir unsere Lieder, das kenne ich seit meiner Kindheit. Wenn wir jetzt auf Demonstrationen zusammen unsere Nationalhymne singen, dann gibt uns das Kraft und das Gefühl, nicht allein zu sein. Und wir hoffen, etwas von dieser Kraft zu den leidenden Menschen in der Ukraine schicken zu können.