Hamburg. Annette Humpe, Deichkind und Jan Delay trauern um den „Boogieman“ aus Hamburg. Der Musikproduzent starb im Alter von 55 Jahren.

„Die Menschen mögen ehrliche und einfache Popmusik“: Mit diesem Grundsatz ging der Hamburger Musikproduzent Andreas Herbig an die Arbeit. Und weil sein Grundsatz so einfach wie wahr war und ist, wurde er einer der einflussreichsten Strippenzieher und Reglerschieber im Hintergrund. Eine Arbeit im Schatten gedimmter Studiofunzeln, die ungezählte Sängerinnen, Rapper und Bands ins Rampenlicht stellte. Jetzt ist der „Boogieman“, wie man den vom Jungen für alles aufgestiegenen Hitbastler der Boogie Park Studios im Herzen von Ottensen nannte, am Montag nach längerer Krankheit im Alter von 55 Jahren gestorben, wie seine Familie mitteilte.

„Arbeit nervt“ war ein Album der wie Herbig aus dem Dreieck Wentorf-Bergedorf-Reinbek stammenden Band Deichkind. Für den 1966 in Reinbek geborenen, aus erster Ehe von Künstlerin Ulla Schneider und SPD-Kommunalpolitiker Baldur Schneider stammenden „Popflüsterer“ Herbig war Arbeit hingegen das Größte, seine Leidenschaft wurde sein Beruf. Dabei wollte er nach dem Abitur an der Sachsenwaldschule eigentlich Profikicker werden.

Andreas Herbig und Udo Lindenberg gaben sich Starthilfe

Aber bei einem Praktikum in einem Studio stellte ein gewisser Udo Lindenberg fest, dass der Junge mehr drauf hatte als nur Tee für seine Entourage zu kochen. Seine erste Meriten verdiente sich Herbig 1991 bei Udo Lindenbergs Album „Gustav“, auf dem er als Beatprogrammierer und Keyboarder aufgeführt ist.

Von da an etablierte sich Herbig schnell als Produzent, Komponist, Arrangeur, Remixer und Songschreiber für Die Prinzen, LuciLectric, Rio Reiser und natürlich Annette Humpe. Im Boogie Park Studio hecken die beiden viele Ideen aus, auch für Humpes Erfolgsprojekt Ich+Ich. Nicht zu vergessen Deichkind – Herbig und Deichkind Sebastian „Porky“ Dürre waren eine Zeit lang WG-Genossen. Es regnete Auszeichnungen, wie den „Echo“. Die Kundschaft reichte in den vergangenen 20 Jahren von nationalen Stars wie Juli, Reamonn, Jochen Distelmeyer, Cassandra Steen, Culcha Candela, Helene Fischer, Andreas Bourani, Alexa Feser, Adel Tawil, Sasha und Till Brönner bis zu internationalen Größen wie a-ha, P. Diddy und Busta Rhymes.

Herbig setzte sein Vertrauen in Lindenberg

Aber Herbigs Herzensangelegenheit war Udo Lindenberg. Immer wieder griff er in den 90er- und Nullerjahren, dem durch viele kreative und private Krise taumelnden Udo unter die Arme, trank ihm sogar, unterstützt von Kollegen, den Schnaps weg, damit die Likördrossel zumindest halbwegs nüchtern am Mikro stand. Es ist nicht falsch zu behaupten, dass Andreas Herbig 2008 einer der letzten war, der noch an den Panikrocker glaubte. Und Udo setzte sein Vertrauen in „den Großen mit den langen Ohren, den ganz langen Antennen und der großen Taschenlampe für die Tiefen der Seele“.

Noch ein Albumding, persönlich und ehrlich, darum ging es. Aber mit modernem Sound und für die damalige Zeit ungewöhnlichen Gaststars: Jan Delay, Stefanie Kloß von Silbermond, Till Brönner, Helge Schneider. Das Ergebnis war das Comeback-Album „Stark wie Zwei“, das den Astronauten Udo in ungeahnte Höhen katapultierte und wieder zurück in die Arenen und Stadien der Republik. Udos erstes Nummer-eins-Album überhaupt.

Andreas Herbig lag mit seinem Hit-Gespür selten daneben

Wenn diese Platte seine Rakete war, dann erdachte der mittlerweile mit seiner Familie in Eimsbüttel lebende Herbig mit den Produzentenkollegen Peter Seiffert und Henrik Mentzel und Mischer Chris von Rautenkranz die Startrampe, den Treibstoff, die einzelnen Stufen, die Elektrik. Nur einen Rettungsschirm, einen Notausstieg gab es nicht. Und auch keinen Grund, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Auch am nächsten Album „Stärker als die Zeit“ (2016) war Herbig beteiligt, dazu kamen 2011 gemeinsam mit Menzel und Seifert musikalische Leitung, Arrangement und Produktion von Udo Lindenbergs Konzert „Unplugged – Live aus dem Hotel Atlantic“ und die entsprechend aus den Händen gerissenen CDs und DVDs.

Mit seinem Gespür für potenziell populäre Musik lag Herbig selten daneben. Die Ausnahme: 2017 war er zusammen mit Nicole, Adel Tawil, Joy Denalane und Wincent Weiss in der deutschen Jury beim „Eurovision Song Contest“ in Kiew. Dabei vergab er seine Wertungen nicht als Musikproduzent, sondern hatte „aus dem Bauch heraus entschieden. Im Grunde wie früher, wenn ich mit Oma auf dem Sofa saß“. Der deutschen Kandidatin Levina und ihrem Song „Perfect Life“ prognostizierte er gute Chancen – sie wurde Vorletzte. Aber vielleicht war Herbig auch nur freundlich. Jedenfalls arbeitete er danach gern mit Michael Schulte zusammen, dem Überraschungsvierten beim „Eurovision Song Contest“ 2018.

Andreas Herbig: Udo Lindenberg und Jan Delay trauern

„Musikmachen macht Spaß. Das Letzte woran man dabei denkt, sind Preise, die man gewinnen könnte“, sagte Herbig 2010 zum Abendblatt. Denn er war nicht nur der „krasseste Produzenten“ und „Hit-Fabrikant“, wie ihn Jan Delay auf Instagram verabschiedete, sondern vor allem ein „Music-Lover“. Zuerst die Seele, die Liebe in einem Song, in einem Sound, in einem Text spüren und erst dann über das Potenzial nachdenken, das war der Weg.

„Ich geh die Straße runter, stark wie Zwei – und du bist immer dabei“, verabschiedet sich Udo Lindenberg von ihm, „du reist jetzt schonmal vor und irgendwann folgen wir dir. Grüß die Sonne, die deinen schönen, explosiven Wahnsinn und dein großes Genie befeuert! Tiefster Dank und auf ewig verbunden.“ Und Deichkind trauert stellvertretend für viele: „Du hast uns gesehen, als wir es noch nicht taten.“