Hamburg. Neues deutsches Hartes: Joachim Witt über sein Album „Rübezahls Reise“, Einsamkeit und die Rückkehr in seine Geburtsstadt Hamburg.

Ob Krautrock, Neue Deutsche Welle („Goldener Reiter“), Elektro-Pop, Neue Deutsche Härte, Metal oder Gothic-Rock: Der in Hamburg geborene und kürzlich zurückgekehrte Sänger Joachim Witt (72) erweist sich seit 50 Jahren in jedem Genre so anschmiegsam wie kantig. Auf seinem am 25. Februar erscheinenden Album „Rübezahls Reise“ kombiniert er Romantik und Naturverbundenheit mit wuchtiger Dramatik und kompromissloser Härte. Am Telefon fragten wir, wie sehr die Sagenfigur Rübezahl und der Mensch und Großvater Joachim Witt eins sind.

Herr Witt, ist nach den Alben „Rübezahl“ und „Rübezahls Rückkehr“ jetzt mit „Rübezahls Reise“ eine Trilogie abgeschlossen wie mit Ihrem „Bayreuth I-III“-Zyklus?

Joachim Witt: Ich brauche immer ein Konzept, an dem sich alles orientiert, und tatsächlich denke ich gern in Trilogien. Aber nach dreimal ist es dann auch gut, ich möchte mich nicht selbst überspannen (lacht).

Ihr Alter Ego Rübezahl ist ein Kämpfer für Gerechtigkeit, für die Schwachen und für den Schutz der Natur. Nicht selten sind solche Figuren einsame Streiter, die nie ihr Ziel erreichen. Entspricht das auch dem Menschen und dem Künstler Joachim Witt: immer auf dem Weg aber nie irgendwo endgültig angekommen?

Joachim Witt: Ja, das kann man so sehen, ich habe mir diese Figur bewusst ausgesucht, weil sie mir im Kern sehr ähnlich ist. Das Bekenntnis zu mehr Gerechtigkeit auf der Welt kann man nicht oft genug betonen.

Einer der Höhepunkte des Albums ist das fantastische Lied „In Einsamkeit“. Haben Sie Angst vor dem Alleinsein?

Joachim Witt: Nein. Ich bin eher ein Mensch, der zurückgezogen lebt und nicht ständig Gesellschaft braucht. Wobei ich ohne Gesellschaft auch nicht leben möchte. Aber ich bin vom gewohnten gesellschaftlichen Bild der Einsamkeit sehr weit entfernt, das Wort ist für mich nicht negativ besetzt.

Bemerkenswert sind ihre Zusammenarbeiten mit anderen Künstlerinnen und Künstlern wie 1998 mit Peter Heppner für den Hit „Die Flut“ oder jetzt für die „Rübezahl“-Trilogie mit Chris Harms von Lord Of The Lost. Was macht die Zusammenarbeit mit dem Hamburger Düsterrocker so außergewöhnlich?

Joachim Witt: Mit ihm zu arbeiten ist ein großes Glück. Er ist ein Mensch, der mir auf vielen Ebenen sehr ähnlich ist. Wenn ich eine Idee vorstelle und er sie zu Ende entwickelt, dann bleibt keine Frage offen. Das ist ein Verständnis, auf das man ganz selten im Leben trifft.

„Die Wölfe ziehen“ ist ein weiteres gelungenes Stück. Dabei sind sie zurück bei ihrem Rudel wie man hört. Was zog Sie nach vielen Jahren auf dem norddeutschen Land und in Potsdam wieder nach Hamburg?

Joachim Witt: Im November 2021 bin ich wieder hergekommen, und der Grund ist so einfach wie wichtig: meine Familie. Ich möchte meine Enkelkinder, drei und vier Jahre alt, näher aufwachsen sehen. Die können jetzt bei mir ein- und ausgehen wann sie möchten.

Hat sich Ihr Verhältnis zu Ihrer Geburtsstadt über die Jahre verändert? Hamburg ist nicht selten eher Startpunkt und kein Ziel einer Reise.

Joachim Witt: Es hat sich zweimal grundsätzlich gewandelt. Das erste Mal, als ich Ende der 90er ins Lauenburgische gezogen bin, war ich froh, dass ich aus Hamburg raus war. Mit 50 Jahren hatte ich damals viel erlebt und durchlebt, und egal in welchem Stadtteil ich war: Ich kannte alles. Und überall, wo ich lebte, von Eppendorf bis zu den Landungsbrücken, wurden die Leute einfach nur älter. Da schaute ich in einen Spiegel, und das ging mir auf die Nerven (lacht). Das archaische Leben direkt am Wald habe ich sehr genossen. Aber als ich in Potsdam lebte und meine Enkelkinder geboren wurden, reifte der Gedanke an die Rückkehr. Jetzt entdecke ich diese Stadt wieder neu, ich schaue sie mir schön.

Weiß man den „Abendwind“, den sie besingen, mit 72 Jahren mehr zu schätzen als mit 22 Jahren?

Joachim Witt: Ich war eigentlich schon immer sehr romantisch veranlagt. Ich habe ja auch sehr viel erlebt in dem Sinne. Und bei Worten wie „Abendwind“ entsteht bei mir ein großer Bogen von Bildern, die ich sehr liebe. Besonders wenn sie noch von Melancholie und Sehnsucht begleitet werden. Das ist der Wunsch nach einem schönen Lebensgefühl.

Dieser Wunsch ist für einen auch gern streitbaren Menschen wie Joachim Witt wahrscheinlich besonders ausgeprägt. Sind Sie bei so viel Ungerechtigkeit, Willkür und Sorglosigkeit gegenüber Mensch und Natur irgendwann nur noch dauersauer?

Joachim Witt: Streckenweise schon, ja. Mich regt oft der Mangel an Weitsicht auf politischer Ebene auf. Der Mangel an systemun­abhängiger Kooperation. Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, die Gegenwart und die Zukunft vernünftig zu gestalten. Und wir sollten über diesen Gestaltungsrahmen hinaus viel mehr kooperieren, um den Frieden zu erhalten. Aber durch Habgier und geopolitische Wahnsinnsgründe wird das missachtet und rücksichtlos auf den Rücken der Bevölkerungen ausgetragen. Wenn ich jetzt daran denke, werde ich schon wieder wütend.

Im Lied „Stern“ gibt Ihnen das Leuchten Kraft. Wer oder was ist Ihr Stern, aus dem Sie Hoffnung schöpfen?

Joachim Witt: Meine Beziehung, meine Familie, meine Enkelkinder. Das ist der Kern des Wohlfühlens. Die Kunst … ja, komisch, dass man in dem Moment nicht daran denkt. Dabei ist das die einzige hervorstechende Begabung, die ich habe und mit Herz und Seele lebe. Aber doch: Die Musik ist das Nonplusultra. Neben der Familie.

Joachim Witt live Fr 9.9., 20.00, Mojo Club, Reeperbahn 1, Karten zu 49,- im Vorverkauf; www.joachimwitt.de