Hamburg. NDR-Intendant Joachim Knuth, über die Nachrichten-Offensive der ARD, bei mit tagesschau24 auf größtmögliche Aktualität gesetzt wird.

Der NDR baut sein Informationsangebot aus. Der Nachrichtenkanal tagesschau24 wird weiterentwickelt, und man möchte mehr junge Leute für die Angebote des Senders gewinnen. Im Oktober und November schon sind zahlreiche Mitarbeiter ins Informationshaus in Lokstedt gezogen. Dort arbeiten jetzt mehr als 200 weibliche und männliche Redakteure, Programmassistenten und Mediengestalter. NDR-Intendant Joachim Knuth erklärt die Pläne seines Hauses.

Hamburger Abendblatt; Reagieren Sie mit den Veränderungen auf ein Informationsdefizit in Deutschland?

Joachim Knuth: Nein, das geht auf die gewachsene Erkenntnis zurück, dass das Informationsbedürfnis nach einer Berichterstattung in Echtzeit gestiegen ist. Immer mehr Menschen sagen in besonderen Ereignislagen: Ich möchte dazu jetzt auch das Bild haben. Das gehört inzwischen als Goldstandard zu den Informationen dazu. Und das können wir besonders gut, denn wir sind ja mit dem Fernsehen Bewegtbildspezialisten. tagesschau24 wird mehr sein als ein linearer Nachrichtenkanal, das Angebot wird auf tagesschau.de als Stream ausgespielt, in der ARD Mediathek angeboten werden und auch in die sozialen Netzwerke gehen, in denen die „tagesschau“ ja besonders stark ist. Da findet man auch die jüngeren Zielgruppen.

Die sind ihnen wahrscheinlich gerade besonders wichtig, denn junge Leute informieren sich ja gern aus allen möglichen Quellen, aber nicht unbedingt aus öffentlich-rechtlichen.

Knuth: Wir wissen, dass wir mit der „tagesschau“ in der Gruppe der unter 30-Jährigen stark sind, aber natürlich noch nicht annähernd so stark wie bei den Älteren. Deshalb müssen wir dort andere Wege gehen und sie dort erreichen, wo sie gerade sind. Schnell und verlässlich. Für den Ausbau von tagesschau24 haben wir nun einen ARD-Beschluss, denn dafür brauchen wir alle Sender. Das kann der NDR nicht allein machen.

Ein föderales System hat manchmal ja auch seine Nachteile, wenn man an die Politik mit den oft eigenwilligen Landesfürsten denkt. Wie schwer war es, alle Sender unter einen Hut zu bekommen?

Knuth: Wir haben drei Dinge vereinbart. Erstens muss tagesschau24 in Zukunft fähig sein, jederzeit Breaking News zu senden. Die Aktualitätsschwelle wollen wir aber anders definieren als für das Erste. tagesschau24 kann jederzeit bei einem Ereignis einsteigen. Es gibt eine Nachrichtenversorgung von morgens 5.30 Uhr bis abends um 20.15 Uhr. In die Zukunft gedacht übrigens auch noch bis später in den Abend hinein. Zweitens, wir brauchen dafür alle Kraft der Landesrundfunkanstalten. Das gilt regional, nehmen Sie zum Beispiel das S-Bahn-Unglück bei München oder den Amoklauf an der Uni Heidelberg. Wir brauchen aber auch nationale und internationale Kompetenzen. Und wir setzen dabei auch auf die Kolleginnen und Kollegen, die für das Radio arbeiten. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass sie oft schneller am Schauplatz des Geschehens sind. Sie könnten dann die Erstberichterstattung übernehmen, übrigens auch mit Bewegtbildern, mit dem Handy gedreht. Unser dritter Punkt ist, dass wir tagesschau24 in großen Breaking-News-Fällen sofort ins Erste umschalten können. Bei regionalen Ereignissen können die Landesrundfunkanstalten tageschau24 übernehmen. Und die Redaktion von tagesschau24 kann für die erste Stunde die regionalen Fernsehprogramme senden. Wir haben mit der Ausstrahlung der 20-Uhr-„tagesschau“ bei NDR Info gute Erfahrungen gemacht. Ich kann mir auch vorstellen, dass die Radios in einer Aktualitätslage tagesschau24 übernehmen. Sender und Sendungen sind jetzt im NDR-Informationshaus in Lokstedt gebündelt.

Was funktioniert schon, was bleibt noch zu tun?

Knuth: Die Kollegen von NDR Info sind komplett nach Lokstedt gegangen: Die Nachrichtenversorgung und Zulieferung an ARD aktuell, aber auch „Panorama“, „Weltspiegel“, der Recherchepool. Wir wollen ein Kompetenzzentrum schaffen. Das machen wir jetzt seit ein paar Monaten, es kommt gut ins Laufen. Es treffen sich Kolleginnen und Kollegen, die vorher sagten: Wir haben mal voneinander gehört. Jetzt arbeiten sie an einem Produkt zusammen. Wir denken über frühere Organisationsgrenzen hinweg. Und wir sind davon überzeugt, dass das noch einmal eine besondere inhaltliche Gestaltungs- und Ausspielkraft hat. Wir machen auch die Nachtversorgung aller Radios in der ARD durch die ARD Infonacht. Spätabends bis morgens früh werden die ARD Inforadios mit unserem Angebot beliefert. Wir haben dafür Synergien geschaffen. Für mich als ehemaliger Nachrichtenmann ist wichtig: Wir sind dort rund um die Uhr besetzt. Vorgestern haben wir eine Sondersendung über den Besuch von Bundeskanzler Scholz in Moskau nicht im Ersten, sondern auf tagesschau24 gemacht. Wichtig ist, dass alle Landesrundfunkanstalten und Auslandsstudios dabei sind.

Haben dafür auch personell aufgestockt?

Knuth: Nein, wir nutzen Synergien. Früher hat man für Sendungen gearbeitet, heute für das Gesamtangebot. Und Aktualität schlägt Planung.

Umgestaltung gibt es nicht zum Nulltarif. Was kostet der neue Ansatz?

Knuth: tagesschau24 kostet etwa 7,5 Millionen Euro, etwa die Hälfte davon trägt der NDR. Wir wollen aber auch von den anderen Netzwerken der ARD profitieren. Kultur in Weimar, Wissen in München, „Sportschau“ in Köln., Wirtschaft und Börse in Frankfurt.

Wer bleibt Ihnen auf diesem Gebiet noch als Konkurrenz?

Knuth: Ich freue mich über jeden, der sich im Informationsbereich engagiert. Das ist für eine demokratische Gesellschaft wichtig. Als öffentlich-rechtlicher Rundfunk empfinden wir uns als als ein Rückgrat der Demokratie. Wir werden nicht irgendwelchen Personalisierungs- oder Emotionalisierungstendenzen hinterher hecheln. Mit der Marke „tagesschau“ können wir zuverlässig punkten.

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