Hamburg. Das Ernst Barlach Haus zeigt in „Auf Augenblicke frei und glücklich“ Mary Warburg als Künstlerin der Moderne. Wie das gelingt.

„Ich möchte mal ein solches Bild malen, das jeden, der es ansieht, auf Augenblicke frei und glücklich macht.“ Was für ein selbstbescheidener und zugleich hoher Anspruch an das eigene künstlerische Schaffen! Er stammt von der Malerin Mary Warburg, geborene Hertz (1866–1934), die – das muss aus heutiger Sicht mit Unverständnis und bitterer Kritik versehen werden – zu Lebzeiten nicht als solche betitelt worden wäre. Denn die Ehefrau des Hamburger Kunst- und Kulturhistorikers Aby Warburg (1866–1929) wurde, wie viele ihrer Zeitgenossinnen, aufgrund von familiären und gesellschaftlichen Konventionen an einer künstlerischen Existenz gehindert.

Zu Lebzeiten stand sie im Schatten ihres berühmten Mannes, und daran hat sich bis heute kaum etwas geändert. Mit der Folge, dass die Kunstgeschichte die Künstlerin schlichtweg überging. Aby Warburg dagegen ist omnipräsent: Ihm wurde vor Kurzem in der Sammlung Falckenberg eine Ausstellung über seinen „Bilderatlas Mnemosyne“ gewidmet; Anfang März folgt die Schau „Blitzsymbol und Schlangentanz. Aby Warburg und die Pueblo-Kunst“ im Museum am Rothenbaum.

Mary Warburg: Künstlerin bekommt verdienten Auftritt

Jetzt aber bekommt Mary Warburg ihren großen, verdienten Auftritt im Jenischpark: Das Ernst Barlach Haus zeigt unter dem Titel „Auf Augenblicke frei und glücklich“ 50 Pastelle, Zeichnungen und plastische Arbeiten aus rund 50 Jahren. Ihr künstlerischer Anspruch, er kann auch als das ganz persönliche Glücks- und Freiheitsempfinden einer Frau gelesen werden, die, im Malerkittel an der Staffelei im Garten oder im privaten Atelier stehend, Freunde und Familienmitglieder porträtierte, Landschaften auf Reisen und urbane Szenerien ihrer Heimatstadt aufsog, diese auf die Leinwand brachte beziehungsweise zu Skulpturen verarbeitete.

Die Strahlkraft der französischen Impressionisten erreichte ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Nachbarländer, und auch Mary Warburg schien vom pointillistischen Pinselduktus, von den sich langsam auflösenden Konturen und speziellen Lichtsituationen dieser künstlerischen Strömung fasziniert zu sein. Die wunderschöne Studie „Junge Frau unter einem Baum“, die die Künstlerin 1899 schuf, sowie „Auf der Wiese in Goßlers Park“ (1894) sind Beispiele dafür. Zart fügt Mary Warburg ihre Modelle in die Naturkulisse ein und schafft eine träumerische Atmosphäre. Verwunschen wirken das private Wohnhaus der Warburgs in der Heilwigstraße 114, das die Künstlerin 1922 von der Gartenseite aus verewigte, sowie ihr „Blick in einen Blumengarten“ (1921) oder auch „Alsterlandschaft (Blick von der Streekbrücke)“, ebenfalls von 1921. Von ihren vielen gemeinsamen Reisen mit ihrem Mann brachte sie etwa die beeindruckende Studie „Wolkenverhangener Gletscher in den Dolomiten“ (1890) oder „Wald auf dem Kösterberg“ (1898) mit.

Welche Bilder in der Ausstellung herausstechen

Heraus sticht wegen seiner Figürlichkeit „Ewer am Elbstrand“ von 1886, eins der frühestens Werke der Künstlerin. Wie alle Bilder zeigen auch „Lesende Frau am Waldrand“ (um 1902) und „Aby Warburg am Schreibtisch“ (1897) die Produzentin als feinfühlige Beobachterin mit wachem Auge und geschulter Hand. Die Ausstellung präsentiert Mary Warburg als das, was sie immer war: eine Malerin und Bildhauerin der Moderne.

„Anlass, den Fokus vom Kunsthistoriker Aby auf die Künstlerin Mary Warburg zu richten, gab uns eine umfassende, von Bärbel Hedinger und Michael Diers herausgegebene Monografie, die im Herbst 2020 erschein. Sie stellt Mary Warburg in all ihren künstlerischen Facetten vor“, sagt Karsten Müller, Direktor am Ernst Barlach Haus. Ermöglicht wurde diese Werkschau durch Leihgaben aus der Hamburger Kunsthalle (die den Nachlass Mary Warburgs beherbergt), dem Staatsarchiv, dem Londoner Warburg Institute und aus privaten Sammlungen. Sehr zu empfehlen: die Rundgänge am 13. März und 8. Mai mit der Warburg-Expertin Bärbel Hedinger – spezialisiert auf Mary, nicht auf Aby, versteht sich.

„Mary Warburg. Auf Augenblicke frei und glücklich“ bis 12.6., Ernst Barlach Haus (S Klein Flottbek), Baron-Voght-Straße 50a, Di–So 11.00–18.00, Eintritt 7,-/5,- (erm.), www.barlach-haus.de