Hamburg. Dieter Roloff hat 61 Jahre lang den Jazzclub in der Nähe vom Großneumarkt betrieben. Jetzt geht er schweren Herzens in den Ruhestand.
Der Alte Steinweg ist eine unauffällige Straße in der Neustadt. Ein paar Läden, Wohnhäuser, wenig Betrieb. Wäre da nicht der Cotton Club, eine Institution des Jazz, bekannt weit über Hamburg hinaus. Elf Treppenstufen führen hinab in den dunklen Keller mit seiner kleinen Bühne und den unzähligen Fotos und vergilbten Konzertplakaten an den Wänden, die von einer bewegten Geschichte erzählen. Doch nun steht ein Zeitenwechsel an.
„Meine Frau ist seit 40 Jahren abends allein zu Haus. Da musste ich jetzt mal nachgeben“, sagt Betreiber Dieter Roloff und fügt hinzu: „Ich seh es ja ein.“ Doch dass ihm der Schlussstrich unter das längste Kapitel seines Lebens nicht leicht fällt, ist unübersehbar. Herz und Verstand sind eben nicht immer im Einklang. Schon gar nicht, wenn es um ein Lebenswerk geht.
Jazzclub Hamburg: Roloff führte Cotton Club 61 Jahre
61 Jahre lang hat Roloff jetzt den Cotton Club geführt, der anfangs noch Vati’s Tube Jazzclub hieß und in einem Tiefbunker am Grindelhof die Hamburger Jazzfans beglückte. Durch die Plattensammlung eines Cousins war er Ende der 50er-Jahre zum traditionellen Jazz gekommen, zum Oldtime und Swing. Für 34 D-Mark kaufte er sich beim Bertelsmann Schallplattenclub seinen ersten Plattenspieler, doch vor allem das Live-Erlebnis zog den Jungen, der gerade eine Lehre zum Großhandelskaufmann machte, in den Bann. Nicht lange, da saß er in Vati’s Tube bereits an der Kasse, 1961 übernahm er den Laden, benannte ihn 1963 in Cotton Club um. Diverse Stationen in verschiedenen Hamburger Stadtteilen folgten, mal wurde in Hammerbrook gejazzt, mal in Winterhude - und als er für einige Zeit an der Paul-Roosen-Straße auf St. Pauli sein Domizil aufschlug, traf Roloff sogar auf die Beatles.
1971 dann kam es zum Umzug an den Alten Steinweg, bis heute die Heimat des Cotton Club. Roloff war da längst Clubbetreiber in Vollzeit – und kämpfte sich durch die ersten Jahre am neuen Standort. „Es gab einfach zu wenige Bands, die in unser Programm passten“, erinnert er sich. „Ich hatte wirklich Probleme, den Konzertkalender zu füllen.“
„Einmal gab es sogar Folk aus Bolivien"
Also ließ er, wenn auch unwillig, eine Erweiterung des Portfolios zu: „Einmal gab es sogar Folk aus Bolivien, was mir gar nicht gefiel, aber der Cotton Club sollte eben unbedingt jeden Tag geöffnet sein, damit nie jemand vor verschlossenen Türen steht.“ Belohnt wurde der unbedingte Durchhaltewille jedoch schon wenig später, als die Hamburger Szene speziell mit der Skiffle-Band Leinemann Fahrt aufnahm. Plötzlich war es kein Problem mehr, die gut 200 Plätze im Cotton Club zu füllen, an manchen Abenden war es sogar so voll, dass der Getränkeverkauf ins Stocken geriet („Man kam einfach nicht mehr durch, die Gäste reichten die Biere vom einen zum anderen weiter“).
Roloff erinnert sich gut an diese goldenen Zeiten, als er nebenbei noch mehrere Kneipen betrieb, darunter die Baumwolle gegenüber vom Cotton Club, in der nach Konzertende weiter gefeiert werden konnte. Auch „Termin“, ein kostenlos verteiltes Programmheft, das dem „Oxmox“ und der „Szene Hamburg“ Konkurrenz machte, brachte er heraus. Erstellt in unbezahlten Nachtschichten, finanziell ein Minusgeschäft, das ihm aber „wahnsinnig viel Spaß“ machte. Und weil alles so gut lief, gründet Dieter Roloff mit zwei Bekannten auch gleich noch ein Plattenlabel: WAM, das insgesamt etwa 30 LPs veröffentlichte.
Roloff war sieben Tage die Woche im Club
Die Bands spielten live (aber ohne Publikum) auf der Cotton-Club-Bühne, das Studio befand sich im Backstage-Bereich. Da gab es dann Alben von Yeti’s Skiffle Men und den Seatown Seven, von den Hot Shots und der Bourbon Skiffle Company, die mit 100.000 verkauften Exemplaren ein so großer Erfolg war, dass die Plattenfirma Metronome, damals ein big player, Roloff und Co den Kassenschlager abkaufte. „Das kam gerade zur rechten Zeit. Inzwischen war der Markt für traditionellen Jazz nämlich abgegrast, aber wir haben noch einmal gutes Geld bekommen.“
Fortan wurde sich wieder ganz auf den Club konzentriert, auf diese auch international längst berühmte Anlaufstelle für die Fans des Jazzsounds der 30er- und 40er-Jahre. Touristen aus Bayern kamen regelmäßig, auch Besucher aus Dänemark, den Niederlanden und Tschechien („Die konnten trinken...“). Stammgäste, die sich jede Woche ihre Ration Oldtime abholten, gab es eine Menge, die vorsichtige Öffnung zum Piano Blues und Boogie Woogie erschloss neue Zuhörergruppen. Und Roloff war immer mittendrin, sieben Tage die Woche, 52 Wochen im Jahr – von sehr seltenen Urlauben einmal abgesehen.
Corona traf den Club hart
Das Buchen der Bands, die Bestellung der Getränke, die umfangreiche Buchhaltung, natürlich täglicher Tresendienst: Auch wenn der heute 78-Jährige stets Personal hatte, ohne ihn wäre hier nichts gelaufen. Bisweilen saß er sogar noch an der Kasse und nahm die Gäste in Empfang, die die wenigen Stufen zu seinem Kellerlokal hinuntergestiegen waren. Ist ihm das nie zu viel geworden? Roloff zögert einem Moment, sagt dann: „Naja, ich hab mir zuletzt nicht mehr jede Band angehört, die schon 30-mal hier gespielt hat.“
Und dann, vor knapp zwei Jahren, auch für ihn der große Schnitt. Corona. Alles dicht. Und nach dem ersten Lockdown ein mühsamer Neustart, den nicht jede mitmachen wollte. „Meine Kassierin hat von einem Tag auf den anderen Tag gekündigt“, sagt Roloff. „Die hatte Angst, sich anzustecken.“ Da halfen weder Kapazitätsreduzierungen noch Plexiglastrennscheiben am Tresen und zwischen den Tischen.
Jazzclub Hamburg: Es gibt drei Nachfolger
Schwierig sei es, wieder in Tritt zu kommen. „An manchen Abenden haben wir gerade mal zwölf Gäste, die Leute sind verängstigt.“ Doch mit seiner optimistischen Prognose, dass sich alles wieder einrenken wird, ist er nicht allein. Es gibt einen Nachfolger, drei sogar, die den Cotton Club weiterführen werden. Details will Roloff noch nicht verraten, betont aber, dass der Charakter des Ladens als Live-Club für Traditional-Jazz-Bands erhalten bleiben wird.
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Was er nun mit der vielen freien Zeit anfängt? „Ich weiß es nicht“, gesteht er. „Wahrscheinlich schaue ich gelegentlich hier vorbei.“ Und als er hinzufügt „Eintritt werde ich ja wohl nicht zahlen müssen“, huscht ein wehmütiges Lächeln über sein Gesicht. Aber jetzt steht erst einmal der offizielle Abschied an, am 26. März mit einem Konzert unter anderem der Band Shreveport Rhythm. Eine Rede werde er nicht halten, dafür sei er nicht der Typ, sagt Roloff, aber einen Sekt aufs Haus, der sei wohl drin. Und natürlich wird dann seine Frau Barbara an seiner Seite sein – immerhin haben die beiden sich vor mehr als 40 Jahren im Cotton Club – wo sonst? – kennengelernt.
Nun schließt sich der Kreis.
Abschiedskonzert für Dieter Roloff Sa 26.3., 20.00, Cotton Club (Alter Steinweg 10), Karten zu 20,-unter cotton-club.de