Hamburg. Die derzeit berühmtesten Quartettformationen der Welt feiern als Streichoktett mit Gästen einen triumphalen Abend in der Laeiszhalle.
Wo ist hier denn der Organist? Gebrochene Dreiklänge tanzen wie glitzernde Pünktchen um die Melodie herum, und jedes einzelne klingt so oberton- und resonanzreich, als würde der Ton auf einer Orgeltastatur gedrückt. Auf der Bühne aber sind nur Streicher zu sehen.
Es handelt sich um eine raffinierte Täuschung. Als Zugabe erklingt an diesem Kammermusikabend im Großen Saal der Laeiszhalle die Bearbeitung des Satzes „In paradisum“ aus dem Requiem von Gabriel Fauré, melodienselig und voller Klangfarbenzauber. Ohne Sänger, ohne Orgel, nur mit acht Streichern. Es ist der Schlussstein eines überraschenden, atemberaubenden, bewegenden Abends. Eines Abends von der Sorte, die einem außerdem die Zerbrechlichkeit dessen vor Augen führt, was wir einmal für das normale Leben hielten. Das Belcea Quartet und das Quatuor Ébène, die vermutlich derzeit berühmtesten Quartettformationen der Welt, haben sich zum Streichoktett zusammengetan.
Hamburger Konzert sollte die achte Station der Tournee sein. Tatsächlich war es erst die dritte. Und auch der Auftritt in der Laeiszhalle hat kurz vorher heftig gewackelt: Der zweite Geiger und die Bratschistin des Quatuor Ébène fallen coronabedingt aus. Für sie springen die Geigerin Sarah Christian und der Bratscher Marc Desmond ein.
Laeiszhalle: Belcea Quartet und das Quatuor Ébène
Das kommt unter diesen Umständen, auf diesem Niveau und angesichts des Erwartungsdrucks – im Publikum befinden sich geschätzt 85 Prozent Streicher, viele von ihnen Kammermusikenthusiasten mit entsprechend scharfen Ohren – einem Eingriff am offenen Herzen gleich. Schon zwei perfekt eingespielte Ensembles zusammenzuwerfen ist ein Abenteuer. Erst recht mit spontan dazustoßenden Gästen.
Das Oktett von Mendelssohn ist ein geniales Frühwerk voller melodischem Schmelz und funkelnder Virtuosität. Die acht, mit dem Ébène-Primarius Pierre Colombet an der ersten Geige, gehen vollkommen im Moment auf, hören aufeinander, packen zu und gehen mühelos mit, wenn jemand sich Zeit nimmt für einen Übergang oder einen Gedanken. Das Presto-Finale beginnen die Celli schneller, als das Ohr des Hörers die Töne bei den tiefen Frequenzen unterscheiden kann. Das gehört zu dem Satz dazu. Und die Gäste fügen sich in all das bruchlos ein. Großer Jubel.
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Es zeugt von Selbstbewusstsein, den Mendelssohn in der ersten Konzerthälfte zu spielen und das wesentlich seltener zu hörende Oktett von Georges Enescu in der zweiten. Sie können sich eben sicher sein, dass ihnen niemand davonlaufen wird. Corina Belcea übernimmt die Führung durch dieses spätromantische, dichtgewobene Werk. Zornige Unisono-Passagen wechseln mit Momenten intimer Zwiesprache und duftigen Nachtbildern. Das Publikum lauscht wie behext und bricht in einen Beifall aus, als wäre der Saal knallvoll und nicht nur zu etwa einem Viertel besetzt.
Unvergesslich, dieses Abenteuer.