Hamburg. Nach vier Jahren Ausreiseverbot landete Starregisseur überraschend in Hamburg – und wurde vom Intendanten persönlich abgeholt.
Derart gute Nachrichten ist man gar nicht mehr gewohnt: „Starregisseur Kirill Serebrennikov überraschend zu Proben im Thalia Theater eingetroffen“, verkündete am Montag die Hamburger Bühne, die – wie die Hamburgische Staatsoper und auch das Hamburger Filmfest – bereits eine längere Arbeitsbeziehung mit dem russischen Theatermacher pflegt. Allerdings eine Fernbeziehung, zwangsläufig.
Der gesellschaftskritische Regisseur und damalige künstlerische Leiter des avangardistischen Gogol-Zentrums war vor viereinhalb Jahren in Russland wegen „Veruntreuung“ verhaftet worden. Im Hausarrest durfte Serebrennikov weder telefonieren noch das Internet nutzen, arbeitete aber beharrlich über Vertrauensleute weiter an Inszenierungen im Ausland, darunter 2019 „Nabucco“ an der Hamburgischen Staatsoper.
Starregisseur Kirill Serebrennikov überraschend in Hamburg gelandet
Die Maximalforderung der Moskauer Staatsanwaltschaft, die für Serebrennikov sechs Jahre Straflager vorsah, wurde im Prozess 2020 in eine dreijährige Bewährungsstrafe mit Ausreiseverbot umgewandelt. Dass er nun ein (wenn auch zeitlich begrenztes) Visum für die Theaterproben zu „Der schwarze Mönch“ am Thalia Theater bekommen würde, war nicht zu erwarten – umso glücklicher zeigten sich alle Beteiligten.
Er habe es bis zum letzten Moment kaum glauben können, gestand Thalia-Intendant Joachim Lux, der Kirill Serebrennikov persönlich am Flughafen abholte. „Ich freue mich sehr, Kirill Serebrennikov in Hamburg begrüßen zu dürfen. Das ist eine Ermutigung für die Idee der Freiheit und eine Ermutigung auch für die Kunst. Ich kenne kaum einen Künstler, der mit so großer Menschenfreundlichkeit, innerer Unabhängigkeit und Kompromisslosigkeit für die Freiheit der Kunst brennt und lebt.“
Lessingtage werden mit "Der schwarze Mönch" eröffnet
Am 22. Januar, am Eröffnungswochenende der diesjährigen Lessingtage also, soll „Der schwarze Mönch“ Premiere am Thalia feiern, geprobt wurde dafür bereits im November und Dezember – in Moskau. Die Hamburger Schauspieler Gabriela Maria Schmeide, Mirco Kreibich und Bernd Grawert haben dort mehrere Winterwochen verbracht, auch Lux, der selbst die Dramaturgie der Inszenierung verantwortet, flog mehrmals in die russische Hauptstadt. Eine teils surreale Erfahrung: „Dort war wegen Corona nahezu alles geschlossen – außer den Theatern und Museen.“
Dass in wenigen Tagen „gegen alle pandemischen und politischen Hindernisse“ nun tatsächlich die Lessingtage mit dieser Produktion eröffnet werden können, empfinde er schlicht als „großartig“, so Lux: „Ein großes Wunder, das in schwierigen Zeiten Kraft gibt!“
Serebrennikovs Team seit Anfang Januar in Hamburg
Seit Anfang Januar befindet sich Serebrennikovs Team, darunter seine Co-Regisseure und die persönliche Assistentin, bereits in Hamburg. Jetzt also ist auch der Regisseur selbst, nachdem er zum Jahresende unerwartet seinen lange einbehaltenen Reisepass zurück erhalten hatte, hier: „Ich bin sehr, sehr froh und glücklich, dass Hamburg die erste europäische Stadt ist, in der ich nach viereinhalb Jahren wieder arbeiten darf!“ erklärte Serebrennikov bei seiner Ankunft. „Denn es ist zugleich die letzte Stadt, in der ich vorher gewesen bin. Das fühlt sich sehr gut an! Das ist ein gutes Zeichen, und bestimmt kein Zufall!“
An der Staatsoper ist die Begeisterung ebenfalls groß: „Das ist eine so großartige wie überraschende Nachricht“, so Intendant Georges Delnon. „Ich freue mich sehr für ihn und für Hamburg.“ Auch Filmfestdirektor Albert Wiederspiel freut sich über die gute Nachricht: „Solche vermissen wir in diesen Tagen. Ich nehme es als Beweis dafür, dass die Welt vielleicht nicht immer so schwarz/weiß ist, wie wir denken ...“
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Nach der Thalia-Premiere will Serebrennikov wegen eines internationalen Films nach Moskau zurückkehren. Zweimal soll er dennoch auch danach noch im Rahmen des Festivals am Thalia auftreten: Bei der Präsentation seines Films „Leto“ am 25. Januar sowie zur Podiumsdiskussion „Lebenszeichen. Neues Theater als Ausdruck gesellschaftlicher Dynamik in Osteuropa“ am 30. Januar soll der Regisseur per Zoom zugeschaltet werden.