Hamburg. Nagano dirigiert Werke von Pärt, Strawinsky, Schumann. Dabei zeigen die Philharmoniker, was es mit “Tintinnabuli“ auf sich hat.

Arvo Pärt erkennt man sofort. Sphärische Klänge kreisen wie meditativ im Raum und entfernen sich kaum von ihrer harmonischen Basis. So geht das durchaus Viertelstunden lang. Aber Pärts Musik ist nicht simpel, sie ist hochsublimiert.

Die scheinbare Einfachheit kaschiert die Transformationsprozesse, die Pärt als Mensch und Komponist durchlaufen hat, seit er als junger Mann mit der Zwölftontechnik arbeitete und auf die Zumutungen des sowjetischen Regimes – Pärt ist Este – mit einem Rückzug in die Stille reagierte. Der sogenannte Tintinnabuli-Stil, mit dem er nach Jahren aus der inneren Emigration zurückkehrte, ist geprägt von tiefer Religiosität.

Das Philharmonische Staatsorchester und sein Chefdirigent Kent Nagano haben für ihr jüngstes Konzertprogramm zwei Werke dieses Universums gegenübergestellt. Es beginnt mit „Fratres“, zu dem Pärt seit 1977 immer wieder in unterschiedlichen Besetzungen zurückgekehrt ist. In der Elbphilharmonie nun machen eine kleine Streicherbesetzung, ein Schlagwerker und der neue Konzertmeister des Orchesters Daniel Cho an der Solovioline deutlich, was es mit der Bezeichnung „Tintinnabuli“, zu deutsch „Glöckchen“, auf sich hat: Bei Pärt schwingen die Töne oft lange nach, eben wie eine Glocke, und gehen so mit den nachfolgenden ein besonderes Amalgam ein. Er ist der Meister der Obertöne, Klangfarben und Klangbeziehungen.

Elbphilharmonie: Nagano dirigiert Pärts "Swansong"

Diese Musik spricht für sich. Man braucht sie nur entstehen zu lassen, sie zu interpretieren wäre schon fast zuviel. Cho zeigt sich vollendet souverän, hält sich als Persönlichkeit aber weitgehend zurück. Nur wenn er Umspielungen mit einer kleinen Verzögerung versieht oder mit seinem warmen Vibrato adelt, verlässt er den Bannkreis dieser objektivierten Klanglichkeit.

Ob Pärts „Swansong“ wirklich eine Uraufführung darstellt, darüber ließe sich streiten. Schließlich wurde das Stück bereits 2014 aus der Taufe gehoben. In Hamburg erklingt eine Umarbeitung für großes Orchester. Die Unterschiede zu „Fratres“ zeigen sich nicht nur in der Besetzung. „Swansong“ klingt lyrischer, bewegter, geradezu süffig. Es groovt das Kontrafagott, mild und warm leuchten die Blechbläser.

Philharmoniker spielen Schumanns Vierte lebendig und flexibel

Zwischen die beiden Pärts hat der raffinierte Dramaturg Dieter Rexroth das Konzert für Klavier und Bläser von Strawinsky aus dem Jahre 1924 gesetzt. In ihm glitzern und funkeln Esprit und Aufbruchsstimmung jener Zeit. Der Pianist Alexei Volodin arbeitet vielfingrig und lässt sich genauso auf den fast schwärmerischen Duktus des langsamen Satzes ein. Aber nicht nur das Klavier ist horrend gefordert, auch die Bläser tanzen gleichsam Spitze. Man kann das allseitige Vergnügen hören.

Schumanns Vierte spielen die Philharmoniker mit Herzblut und so lebendig und flexibel, wie es ihre Art ist. Unter Nagano wird es ja nie tränenrührig oder banal. Und wenn sich sein Schlag mal wieder ins Mikroskopisch-Unentzifferbare bewegt, dann gleichen die Musiker das entschlossen aus. Ehrensache für ein Opernorchester.