Hamburg. Der Hamburger Kultursenator hat viel für die Szene getan – was passiert, wenn er in die Bundesregierung von Olaf Scholz aufsteigt?

„Auf einmal hast du gesagt / Du verlässt diese Stadt / Das Leben hier / Hat dich nur noch müde gemacht / Du warst noch nie da / Wo deine Träume spielen / Und du weißt auch gar nicht / Wo das ist / Doch du weißt / Hier ist es nicht.“ Spätestens, wenn diese Textzeilen aus dem Klassiker „Kommst du mit in den Alltag“ der Hamburger Diskurspop-Band Blumfeld in einer Twitter-Nachricht des derzeitigen Kultursenators Carsten Brosda auftauchen, sollte allen klar sein: Das war es dann mit ihm und seinem Job an den Hohen Bleichen 22.

Nächster Karriere-Halt wäre: Willy-Brandt-Straße 1, 10557 Berlin. Im Bundeskanzleramt, ein Büro eine Etage über dem von Bundeskanzler Olaf Scholz. Nach Abendblatt-Informationen geht man im Hamburger Senat davon aus, dass Brosda als Staatsminister für Kultur und Medien dorthin umziehen wird. Auch aus Scholz‘ Umfeld ist zu hören, dass man sich Brosda sehr im Kanzleramt wünschen würde. Das Angebot gibt es auf jeden Fall, die Entscheidung liegt wohl bei Brosdas Familie, doch an der werde es nicht scheitern, heißt es.

Kulturpolitik: Wer folgt auf Carsten Brosda als Kultursenator?

Spekulationen über Brosdas Weggang machen schon seit vielen Wochen die Runde. Er genießt sie vielleicht insgeheim, schweigt dazu aber eisern und gibt unterdessen staatstragende Interviews zu kulturellen und gesellschaftlichen Grundsatzfragen. Scholz-Schule. Wollen wolle Brosda, ist zu hören, und durch seine Corona-Gegenmaßnahmen könne er auf Rückenwind aus der bundesweiten Kulturszene zählen.

Es könne, wenn überhaupt, nur noch an der Frauenquote der neuen Regierung scheitern. Brosda ist sowieso gerade viel in Berlin, er leitet die für Kultur und Medien zuständige Verhandlungsgruppe bei den Ampelkoalitions-Pokerrunden. Mehr Vorglühen für Größeres geht kaum. Und bereits im September hatten B&S in einem Besinnungsaufsatz für die „Zeit“ über den „Schulterschluss von Geist und Macht“ bei der SPD gegrübelt. Ein weiterer Wink mit dem Berliner Fahnenmast.

Wird Jana Schiedek neue Kultursenatorin?

In den vergangenen Corona-Monaten hatte Broda, bevorzugt abends, auf Twitter fein verklausulierte Befindlichkeitsmeldungen von sich gegeben, das ist inzwischen vielsagend weniger geworden. Und immer wieder fällt beim Rätselraten über die neue Behördenführungsperson der Name von Kultur-Staatsrätin Jana Schiedek, ebenfalls SPD. Vieles spräche formal dafür: Vizes lösen oft ihre Dann-nicht-mehr-Vorgesetzten ab. Die Ex-Justizsenatorin Schiedek würde in der Regierungsarithmetik die SPD-Kopfzahl unverändert lassen und die nicht ideale Frauenquote verbessern.

Die Juristin wäre in die Themen und die Gruppendynamiken der auch in Hamburg sehr speziellen Kulturlandschaft eingearbeitet. Ihre Berufung wirkt gerade ziemlich alternativlos. Niemand sonst, schon gar nicht sie selbst hebt öffentlich vorschnell den Bewerbungs-Finger. Alles halbwegs schön soweit und womöglich gut. Aber: genügt das bereits? Für ein Ressort, das für die Zukunft der hiesigen Stadtgesellschaft entscheidender sein wird, als viele immer noch glauben, während sie die Kultur nur für ganz hübsche, aber entbehrliche Freizeitgestaltung halten?

Brosda erwies sich als würdiger Nachfolger

Als Brosdas schon zu Lebzeiten legendäre Vorgängerin Barbara Kisseler im Herbst 2016 starb, waren manche skeptisch, ob ihr Staatsrat Brosda auch Chef könne, nach einer Über-Größe wie ihr. Konnte er, zeigte sich ziemlich schnell. Eines seiner Markenzeichen wurde neben druckreifem Redenhalten über alles in beliebiger Länge das flotte Verlängern von Führungskraft-Verträgen. So ziemlich alle, die sich nicht mächtig danebenbenahmen, wurden langfristig – und oft frühzeitig – auf ihren Posten bestätigt.

Never change a winning team, das wäre ein Blickwinkel. Ein anderer: Ob es wirklich so klug und belebend ist, gerade im Themenfeld Kultur nie die Spur zu wechseln, auf neue, frische, provokante, andere Impulse von außen zu verzichten (ohnehin eine chronische Krankheit in der Hamburger Kulturlandschaft)? Der eine oder die andere – und damit ist nicht nur der ewige Hamburger Ballett-Gott John Neumeier gemeint – ist inzwischen quasi verbeamtet und dürfte wenig Lust verspüren, sich kurz vor der jeweiligen Altersgrenze noch einmal umorientieren zu sollen. Oder sich stärker anzustrengen, als unbedingt nötig. Schon deswegen dürfte Brosda auf der Ebene der Kultur-Chefinnen und -Chefs intrinsisch durchaus beliebt sein.

In der Kultur darf gerade nichts teuer sein

Doch unter solchen Vorzeichen sind die für Profilierung wichtigen Handlungsspielräume durch die Setzung neuer Köpfe in den nächsten Jahren eher: überschaubar. Es würde dauern, bis man als Nächste(r) wieder einen großen, aufregenden Namen von außen verpflichten kann, weil tatsächlich ein Spitzen-Stuhl frei wird. Oder es würde teuer, wegen einer vorzeitig fälligen Ablösesumme. Und teuer dürfte schon wegen der durch Corona verursachten Verwüstungen in der Kultur lieber rein gar nichts werden. Im Gegenteil.

Brosda hat mit enormer Eloquenz und sehr viel Geschick sehr viel Geld für die sehr vielen unverschuldeten Leiden der örtlichen Kultur organisiert. Als Präsident des Bühnenvereins ist er auch bundesweit ein wichtiger kulturpolitischer Weichensteller. Möchte, beziehungsweise: kann und darf die nächste Hamburger Kulturbehörden-Führung visionär sein – oder wird sie oder er sich, nicht nur wegen Corona, auf schnödes Verwalten des Vorhandenen beschränken müssen?

Thalia-Intendant hofft, dass Brosda bleibt

Wo, bitte, ist die nächste auch nur halbwegs elbphilharmoniegroße Vision? Wo die nächste faszinierende Festival-Idee? Wo ein umwerfendes Konzept für die Museenlandschaft inklusive Hafenmuseum? Wo eine Lösung für die vielen Struktur-Probleme?

Wer viel zu dieser Personalie herumfragt in der Stadt, bekommt wenige Antworten. Thalia-Intendant Joachim Lux mag sich zwar an Spekulationen nicht beteiligen, antwortete aber dennoch: „Dass wir alle Carsten Brosdas Verbleib erhoffen, ist völlig klar. Nach einem möglicherweise mehr als zwei Jahre dauernden Kollaps des sozialen Lebens in der Stadtgesellschaft wird den Kulturinstitutionen eine zentrale Rolle beim Neuaufbau zukommen. Hierfür brauchen wir eine starke strategische, inhaltliche und finanzielle Begleitung durch die Kulturpolitik, ja den Aufbruch in eine neue Zeit. Es wird eine Zeit sein, in der die Kultur – bei allen unverzichtbaren künstlerischen Ambitionen – demokratiepolitisch und sozial eine erhebliche Rolle spielen könnte. Die menschlich verständliche Sehnsucht nach dem puren Status Quo ante wird da nicht reichen.“

Schiedek und Brosda als „Kultur-Couple“?

Die Meinung von Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard ist eindeutig: „Für mich sind Carsten Brosda und Jana Schiedek das perfekte ,Kultur-Couple’ – sie ergänzen sich bestens auf allen Ebenen, sind fachlich höchst kompetent, vernetzt und respektiert in der Szene, sie sind schlagfertig und zuhörende Gesprächspartner*innen. Eine Trennung dieses Paares würde ich außerordentlich bedauern. Andererseits ist klar, dass Berlin keinen besseren als Carsten Brosda für das Amt eines Staatsministers für Kultur und Medien finden kann. Sollte er in die Bundespolitik gehen, muss eben Jana Schiedek das Amt übernehmen und sich einen Juniorpartner oder Partnerin sucht, der/die ebenso gut zu ihr passt.“

Einer der wenigen, die ebenfalls nicht partout schweigen wollten, ist der Kunsthallen-Chef Alexander Klar. „Um die Kultur angemessen auszustatten, ist für dieses Amt ein kurzer Draht zum ersten Bürgermeister und zum Finanzsenator sowie ein guter Stand in der Bürgerschaft geradezu unerlässlich. Das sollte ein durchaus hartes Kriterium für die nächste Besetzung sein. Auch Hamburg war in der Vergangenheit nicht frei von Reflexen, in Sparperioden die Kultur für ein gutes Feld für Einsparungen zu halten. Das sollte, zudem die Kultur während Corona mit am meisten gelitten hat, nach der Pandemie nicht erneut geschehen. In den nächsten Haushalten sollte deutlich in die Kultur investiert werden, denn sie wird die Transformationen der kommenden Jahre tragen.“

Zur möglichen Kultursenatorin Schiedek sagte Klar klar salomonisch: „Frau Schiedek ist erfahren als Senatorin und sie ist mit allen derzeitigen Themen vertraut. Das sind gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche Senatorinnenschaft.“