Hamburg. Der Frontmann der Band über die 80er-Jahre, Pandemiekonzerte und die Privilegien erfolgreicher Popbands.

„Oha, das klingt stellenweise doch sehr nach Toto“, denkt man beim Hören des neuen Revolverheld-Albums „Neu Erzählen“, das an diesem Freitag erscheint. Aber die Hamburger Band hat den deutlichen 80er-Einschlag durchaus bewusst gewählt, wie Sänger Johannes Strate im Zoom-Interview erzählt. Fast 20 Jahre nach der Gründung und nach fünf Alben will sich das Quartett nicht wiederholen. Trotzdem ist es ein typisches echtes Revolverheld-Album: melodiös, emotional, optimistisch und an einer Stelle sehr persönlich.

Herr Strate, es fällt schwer, eine deutsche Band zu finden, die besser durch die Coronakrise gekommen ist als Revolverheld. Sobald es die Umstände 2020 zuließen, haben sie Autokino- und Strandkorbkonzerte gespielt und zahlreiche weitere Open-Air-Auftritte absolviert.

Johannes Strate Wir können in der Band alle neue Situationen als Herausforderungen annehmen. Daher haben wir 2020 schnell überlegt, was es für Optionen gab, weil wir unbedingt Spielen wollten. Hey, da ist ein Veranstalter verrückt und stellt uns Autos vor die Bühne? Okay, dann spielen wir vor Autos. Einfach ausprobieren.

Das neue Album dürfte auch unter ungewöhnlichen Umständen entstanden sein.

Strate So war es auch mit den Aufnahmen. Zwar konnten wir nicht gemeinsam im Studio sitzen, Weinchen trinken und nebenbei an ein paar Songs arbeiten, dafür haben wir es dann modular aufgenommen. Wir haben über Facetime konferiert, Jacob hat nachts Schlagzeug eingespielt, dann kamen die Gitarren von Niels und Kristoffer dazu oder Bass von Chris, weiter damit zu den Produzenten in Berlin, Wien, Nashville und Los Angeles und zurück zu mir zum Singen. Tatsächlich hat das so gut funktioniert, dass wir Teile dieser Art des Arbeitens wohl beibehalten werden.

Sie konnten live spielen und in Ruhe aufnehmen, auch mit einer gewissen Sorglosigkeit. Sind erfolgreiche deutsche Bands wie Revolverheld die Großfleischereien der Kulturszene, sprich privilegiert?

Strate Das ist total privilegiert. Deswegen finde ich es auch blöd, wenn sich die großen Künstlerinnen und Künstler über die Umstände aufregen. Viele andere hätten auch gern live gespielt, aber das war zu oft denen vorbehalten, wo sich die Veranstalter sicher waren, genug Karten zu verkaufen, um nicht komplett in die Insolvenz abzudriften.

Was ist aus Ihrer Sicht korrekt: Applaus ist das Brot des Künstlers oder Brot ist das Brot des Künstlers?

Strate Zu Anfang der Applaus. Früher haben wir Nebenjobs gehabt und für den Applaus gelebt, der hat uns angetrieben. Und dafür leben Künstlerinnen und Künstler immer noch, daher ist Livemusik immer noch eine besondere Leidenschaft für Bands und Fans. Das kriegst du nicht durch Streaming oder eine Virtual-Reality-Brille vermittelt. Irgendwann kommt aber der Moment, wo man versucht sein Leben zu organisieren, wenn man nebenher noch arbeiten muss. Da muss dann auch der Kühlschrank voll sein.

Sehen Sie denn Licht am Ende des Tunnels oder fühlen Sie sich was Konzerte betrifft wie „am Steuer eingeschlafen“, wie es in einem neuen Lied heißt.

Strate Ich beobachte das weltweit. Wir hadern noch herum mit 2G und 3G und 16 Regeln in 16 Bundesländern, und in Las Vegas spielt Guns N’Roses vor 80.000 Menschen im Stadion. Das ist so verrückt wie spannend. Ich denke aber schon, dass hier die Festivalsaison 2022 stattfinden wird. Und sei es unter 2G-Regeln, aber so ist es dann eben. Noch ein Jahr ohne Festivals ist nicht mehr zu vermitteln, wenn schon so viele geimpft sind.

Wenn man jedes Ihrer Alben charakterisieren müsste, wäre „Neu Erzählen“ Ihr 80er-Album. Da steckt eine Menge Duran Duran drin, viel Elektronik und Synthies.

Strate Unser letztes Album und die Tour dazu waren schon sehr 80er-lastig, und das ging jetzt noch ein bisschen weiter. Das ist das Jahrzehnt, in dem wir aufgewachsen sind. Mit Duran Duran, The Police, Toto …

… Toto! Das habe ich mir auch gedacht, wollte es aber nicht ansprechen, weil ich dachte, das Gespräch endet damit sofort.

Strate „Leichter“ klingt doch total nach Toto! Und a-ha war auch eine wichtige Inspiration, daher singe ich auch mal ein wenig höher. Wenn der Morten Harket das macht, dann muss ich das ja wohl auch machen.

Von den Kindern der 80er zu den Kindern der Nuller-Jahre: „Das Größte“ ist ein sehr berührendes Lied, dass Sie offensichtlich ihrem Sohn gewidmet haben. Das hat mich als Vater total erwischt.

Strate Wenn man ein Kind hat, ändern sich viele Vorzeichen und Sichtweisen im Leben. Bei dem Song war es so, dass wir uns eine Zeit lang immer unter das Hochbett gelegt haben, während unser Sohn eingeschlafen ist. Aber über die Zeit hat sich das eingebürgert, dass wir dabei E-Mails beantwortet haben oder sonst was auf dem Handy gemacht haben. Als ich es mal vergessen hatte, wurde mir bewusst, wir sehr mir dieser Moment fehlen wird, sobald mein Sohn mich nicht mehr unter dem Bett braucht. Und den Moment habe ich mit Emails verkackt? Als er eingeschlafen war, bin ich in mein Zimmer gegangen und habe fünf Strophen geschrieben. Zwei haben es in „Das Größte“ geschafft.

Das ist schon ein beachtlicher Einblick in Ihr Leben abseits der Bühne.

Strate Ich habe auch erst überlegt, ob ich den Song freigebe. Aber warum nicht? Viel persönlicher wird es dann auch nicht mehr bei mir beim Songschreiben.