Hamburg. Das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg zeigt die Klang-Installation „im wald“. Intensive Nähe trotz physischer Kontaktlosigkeit.

Durch den Haupteingang und dann gleich links, immer den eigenwilligen Tönen nach, die neben dem Foyer wabern oder zirpen, raunen oder kreischen. Obwohl das Ensemble Resonanz in diesem Jahr „erst“ seinen 20. Geburtstag feiert, ist es ab sofort offiziell museumsreif. Allerdings nur bis zum 17. Oktober. So lange ist nun in einem Seitentrakt des Museums für Kunst und Gewerbe etwa 25 Minuten lang zeitgenössische Musik zu sehen und zu hören.

Und diese unübliche Verquickung dieser Wahrnehmungsmöglichkeiten ist kein Versehen, denn „im wald“, eine Klang-Installation zu Enno Poppes Vierfach-Quartett „Wald“, ist gewissermaßen schon in Konzept-Stereo entworfen: Die Videos kommentieren und ver-bildern das musikalische Geschehen, ein Teil dieser Idee kann nicht ohne den anderen.

„im wald“: Projekt ermöglicht Kontaktlosigkeit

Gedanklich angepflanzt wurde das Stück 2010 als Auftragskomposition der Resonanzer, die sich zu einem Hit in deren Repertoire entwickelte. Und als Anfang 2020 die CD-Einspielung und dann die Corona-Pandemie das Nachdenken über alternative Aufführungsmöglichkeiten verlangten, entstand die Idee für „im wald“, einem Projekt, das physische Kontaktlosigkeit und dennoch intensive Nähe ermöglichen kann.

Seine Heimat auf Zeit fand die „außergewöhnliche Arbeit“ (MKG-Direktorin Tulga Beyerle) am Steintorplatz, während der regulären Öffnungszeiten, immer im Halbstundentakt hörbar und im regulären Eintrittspreis inbegriffen.

Musiker an vier Tagen in vier Locations gefilmt

Die Installationsidee an sich ist schnell erzählt und dennoch enorm facettenreich: Die 16 Musikerinnen und Musiker, die von Poppe zu vier Streichquartetten gebündelt wurden, sind an vier Drehtagen an vier Locations gefilmt worden – im Oberhafenquartier, im ensembleeigenen Resonanzraum, in der Prinzenbar und im Kraftwerk Bille. Die Tonspuren der CD-Aufnahme sind zu hören, jeder Spielende und Poppe selbst als Dirigent am Ende des Museums-Raums „bewohnen“ insgesamt 17 lebensgroße Video-Stelen.

Die Klangregie von Sebastian Schottke und die Bearbeitungen des Düsseldorfer Belegtbild-Kollektives WARPED TYPE verfremden, zerlegen und collagieren die umeinander kreisenden Einzelstimmen zu klingenden Rätsel-Bildern. Anders als im konventionellen Konzertformat kann man jedem Part im Vorbeigehen so nahe kommen, wie man möchte, überall und ständig changiert der Höreindruck, je nach Position in dieser „Verräumlichung“ von Klang.

MKG zeigt 32-Kanal-Fassung mit Bild-Bonus

Akkordflächen entstehen, werden durchbrochen und bilden sich neu, immer wieder anders, bis sich am Ende die Einzelstimmen immer höher schrauben, immer greller werden und verstummen. Wer möchte, kann sich an die frühbarocken Mehrchörigkeits-Inszenierungen von Monteverdi in Venedig erinnert fühlen, aber genauso an Raumklang-Klassiker der Moderne von Stockhausen.

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Die CD-Aufnahme – gerade mit einem Platz auf der Quartals-Bestenliste vom Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet – ist also „lediglich“ eine Stereo-Version; im MKG erlebt man eine 32-Kanal-Fassung mit dem Bild-Bonus. Begehbare Surround-Avantgarde, ein Wandel-Konzert, bei dem man jeder spielenden Person sehr nah kommen kann.

CD: Enno Poppe „Filz / Wald / Stoff“ Tabea Zimmermann, Ensemble Resonanz (wergo, ca. 11 Euro). Jubiläumskonzert: 30. September, 20 Uhr, Elbphilharmonie, Gr. Saal. Werke von Adams, Vivaldi, Nono, Bruckner und Lachenmann.