Hamburg. Wolfgang Borchert starb 1947 – am 20. Mai wäre er 100 Jahre alt geworden. Eine Würdigung des Hamburger Schriftstellers.

Die Fotos von diesem jungen, viel versprechenden und wenig hinterlassenden Dichter sind überschaubar, wenngleich nicht superrar. Weil „Draußen vor der Tür“ als Schulstoff nicht kaputt zu kriegen ist, kennt jeder das Bild mit der Pfeife.

Oder halt eine der anderen Schwarzweißaufnahmen, in der dieser Mann mal ernst, mal freundlich in die Kamera blickt. Wenn man nun meint, stets eine Verschattung in diesem doch noch jungen Gesicht zu erkennen, dann liegt das an der nur zu bekannten Lebensgeschichte Wolfgang Borcherts.

Wolfgang Borchert in Eppendorf geboren

Oder kennt sie etwa jemand nicht? Die Biografie dieses 1921 in Eppendorf geborenen und aufgewachsenen Mannes, der schrieb und dichtete und Schauspieler werden wollte, und dessen Träumen dann die Nazis und der Krieg dazwischen kamen. Er musste an die Front, es gab kein Entkommen, und er äußerte sich anders als die meisten kritisch über die Herrschenden.

Man warf ihm vor, er habe sich selbstverstümmelt, um nicht weiter kämpfen zu müssen. Statt Zuchthaus durfte er dann zur „Frontbewährung“ wieder einrücken, holte sich als Soldat wider Willen aber dennoch den Tod. 1947 starb er in Basel an einem Leberleiden, dass er sich beim sinnlosen und monströsen Krieg der Deutschen zugezogen hatte.

Der Supertragöde der Literatur

Was ihn zur Legende und zum Supertragöden der Literatur machte, ist dies: Genau einen Tag nach seinem Tod wurde das (neben Zuckmayers „Des Teufels General“) erfolgreichste Stück der Nachkriegszeit am 21. November 1947 in den Hamburger Kammerspielen uraufgeführt, jenes Rückkehrerdrama „Draußen vor der Tür“ um den Soldaten Beckmann, der nach dem Krieg und der Gefangenschaft in eine Welt kommt, die ihm nichts mehr zu bieten hat.

Was für ein Drama, eines mit dem Timing für das besonders Ungnädige, das Leben Borcherts also war! Welch bittere Pointe seine gesamte, so kurze Existenz – Borcherts knappes Werk ist die Essenz der Trümmerliteratur und umfasst einige der prägenden Texte über den Krieg und seine Qualen. Mit seinen Erzählungen und besonders „Draußen vor der Tür“, das vor der Bühnenpremiere noch zu Lebzeiten des Autors im Radio als Hörspielfassung ausgestrahlt wurde, traf Borchert unmittelbar nach dem Krieg den Nerv der Deutschen.

Krieg als Vater allen Übels

Geschrieben hatte er es 1946 innerhalb einer Woche, natürlich, möchte man fast sagen, auf dem Krankenbett. Diesem seinem einzigen Schauspiel stellte Borchert, auch das kann man sich nicht besser ausdenken, den Untertitel „Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will“ zur Seite: Eine bemerkenswert pessimistische Prognose, ein auch bemerkenswertes Fehlurteil. Mit Beckmann konnten sich so viele identifizieren, weil er das erlebt hatte, was eine ganze Generation erlebte.

Lesen Sie auch:

Wobei Borchert in der Wahl seiner Mittel, den Krieg als Vater allen Übels zu brandmarken, nicht zimperlich war. „Draußen vor der Tür“ ist, bei aller schonungslosen Nachkriegshärte, ein auch grelles, beinah überpralles Verliererstück, in dem ein Mann vor dem totalen Nichts steht: Die Frau blieb ihm nicht treu, der einjährige Sohn starb im Bombenhagel, die Eltern begingen Selbstmord: Leiden im Breitbandformat. Kein Wunder, dass Beckmann im zertrümmerten Hamburg keinen Lebenswillen mehr findet. Er ist von der Welt verraten worden. Leider nimmt ihn nicht einmal die Elbe, in der er sich zu ertränken versucht.

Das Selbstmitleid der Nation

Allerdings ist das Selbstmitleid Beckmanns auch typisch für die Nation. Borcherts Soldat wurde zum geplagten Nachkriegshelden, eine Projektionsfigur, in der sich Deutschlands Schicksal verdichtete. So, wie wiederum Borchert Deutschlands Schicksal verdichtete. Wolfgang Borchert war der Dichter seiner Generation, einer Generation der Kriegsversehrten. Er scheute nicht das Pathos, um deren Bestimmung zu beschreiben.

Hans Quest als Beckmann in „Draußen vor der Tür“.
Hans Quest als Beckmann in „Draußen vor der Tür“. © ullstein bild | Rosemarie Clausen

In seiner Erzählung „Generation ohne Abschied“ heißt es: „Wir sind eine Generation ohne Abschied, die sich davonstiehlt wie Diebe, weil sie Angst hat vor dem Schrei ihres Herzens. Wir sind eine Generation ohne Heimkehr, denn wir haben nichts, zu dem wir heimkehren könnten, und wir haben keinen, bei dem unser Herz aufgehoben wäre – …Wir sind eine Generation ohne Abschied, aber wir wissen, dass uns alle Ankunft gehört.“

Empörung über das erlittene Unrecht

Mit solch einem Fanal, das zwischen Vergeblichkeit, der Leere nach der Front und dem Anspruch, das die Zukunft, wie immer sie aussehen möge, diesen verlorenen Männern gehört, zielte Borchert auf die verwundeten Seelen seiner Schicksalsgenossen. Heinrich Böll, der noch größere Star der Nachkriegsliteratur, bewunderte Borchert immens, auch von Siegfried Lenz sind große Worte der Anerkennung überliefert. Über den verlorenen Unteroffizier Beckmann schrieb Peter Rühmkorf: „Zwar hatte dieser Beckmann Lösungen nicht zur Hand, aber gerade dass der Tiefverstörte auf jede Lösung eine Frage wusste, entsprach aufs Haar der Disposition der deutschen Jugend.“

Als Frühvollendeter hinterließ Wolfgang Borchert kein Werk, das sich auf Phasen, Wendungen und Neuerfindungen untersuchen ließe. Borcherts Weltbild ist notgedrungen festverbunden mit den 1940er-Jahren. Zur Identifikationsfigur taugt er auch heute noch als einer, der Autoritäten in Frage stellte, wobei es, wenn es gut läuft, dazu nie mehr so viel Anlass geben wird wie nach dem Zivilisationsbruch der Nationalsozialisten. Borcherts Absage an die inkriminierte Vätergeneration war absolut. Seine Ratlosigkeit am Nullpunkt der eigenen Existenz, seine Empörung über das erlittene Unrecht und sein Thematisieren der Schuldfrage ist von zeitloser Gültigkeit.

Hamburger Wolfgang Borchert: Idealist und Humanist

Fraglos bietet seine Biografie als Idealist und Humanist, der den Krieg verabscheute, Material für die Rolle eines Vorbilds. Er war einer, der unmissverständlich wusste, auf welcher Seite man zu stehen hatte selbst in Zeiten größter Gefahr für das eigene Heil. Als 18-Jähriger schrieb er mit einem Freund eine Nazi-Parodie namens „Käse“, ein Theaterstück, das nie gezeigt wurde.

Zum Dichter seiner Epoche wurde er erst postum, mit „Draußen vor der Tür“.