Hamburg. Die Korrespondenz vor allem mit dem Übersetzer Bernhard Jolles gewährt tiefe Einblicke in die Seelenlage des erkrankten Hamburgers.
Kurz vor dem 100. Geburtstag von Wolfgang Borchert sind bislang unbekannte Briefe des Autors aufgetaucht. Sie stammen ursprünglich aus dem Besitz seiner Mutter Hertha, die auch seine Nachlassverwalterin war. Es handelt sich im Wesentlichen um seine Korrespondenz mit dem Übersetzer Bernhard Jolles, der seine Texte ins Dänische übertragen wollte. Die Originale sind verschollen, aber im Borchert-Archiv fanden sich diese Abschriften.
„Ihr Brief war für mich ein kleiner Lichtblick an einem sehr trüben Himmel“, freute sich Wolfgang Borchert, als er im März 1947 überraschend Post aus Dänemark bekam. Bernhard Jolles hatte ihm aus Faaborg geschrieben und nach dem Hörspielmanuskript von „Draußen vor der Tür“ gefragt, denn er wollte es übersetzen.
Brieffreundschaft zwischen Borchert und Jolles
Borchert wusste zunächst nicht, mit wem er korrespondierte: Jolles hatte in den 1920er-Jahren beim „Berliner Tageblatt“ gearbeitet und war ein ausgewiesener Übersetzer, hauptsächlich aus dem Französischen, bis er bei der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 emigrieren musste. Es klappte zwar nicht, Borcherts Hörspiel wurde im dänischen Rundfunk in einer anderen Übersetzung gesendet, aber zwischen Borchert, dem jungen, ans Bett gefesselten Dichter, und Jolles, dem gut 40 Jahre älteren Literaturkenner, entwickelte sich eine Brieffreundschaft.
Angesichts der katastrophal schlechten Versorgung, die keinerlei Besserung seines Gesundheitszustands erwarten ließ, beschlossen Freunde und Verwandte, Borchert aus dem Hamburger Nachkriegselend herauszuholen und zur Genesung in die Schweiz zu schicken. „Das wird wohl aber noch einige Monate dauern“, schrieb Borchert im März 1947 Jolles, „denn da sind doch allerlei Schwierigkeiten zu überwinden – Transport, Unterkunft und Kosten.“
Fahrt durch verschiedene Besatzungszonen
Noch waren die Grenzen geschlossen, allein schon für die Fahrt durch die verschiedenen Besatzungszonen bedurfte es der Genehmigungen der verschiedenen Militärbehörden. Noch schwieriger war die Finanzierung: Deutsches Geld durfte nicht in die Schweiz transferiert werden. Zu einer gemeinsamen Rettungsaktion taten sich die Verleger zusammen: Rowohlt übertrug dem Kollegen Emil Oprecht die Rechte für die Schweiz und der garantierte für 2000 Franken, sodass Borchert der Aufenthalt in der Schweiz gestattet wurde.
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Am 22. September 1947, nach einem halben Jahr, war es endlich so weit. Ernst Rowohlt brachte Borchert zum Bahnhof. Die Mutter durfte ihren Sohn nur bis Basel, Badischer Bahnhof, begleiten. Gleich hinter der Grenze wurde Borchert sofort ins Krankenhaus eingeliefert, eine Weiterreise war unmöglich, Borchert war nicht transportfähig.
Borchert über Aufenthalt im Krankenhaus
Er kam ins katholische St.-Clara-Spital, wo er sich fremd, allein und einsam fühlte. „Sie wissen ja am besten, wenn man keinen Menschen kennt und alle einen sehr kühl behandeln“, schrieb Borchert dem Emigranten Jolles. „Was soll ich Ihnen viel erzählen, Sie haben das alles viel bitterer auskosten müssen: Ein Fremder zu sein und auf die Güte anderer spekulieren zu müssen.“
Seine Schweizer Verleger zahlten für ein halbes Jahr den Spitalaufenthalt, aber Borchert fürchtete, dass er sehr viel länger bleiben müsse. Woher sollte er das Geld nehmen? Ein Sanatorium wäre billiger gewesen, aber sein Zustand erforderte ein Krankenhaus. „Ich muss mir also jeden Rappen für Porto, Seife, Papier irgendwie erstehen, da ich keine Arbeitserlaubnis habe und mein Honorar einfach illegal ans Spital überwiesen wird. Dazu hatte ich hier gleich eine heftige Blutung und war recht mutlos“, schrieb er.
Autor Michael Töteberg ist der ehemalige Leiter der Rowohlt-Medienagentur und Herausgeber von Wolfgang Borcherts Gesamtwerk.