Hamburg. Herbert Hildebrandt, Gründungsmitglied der Rattles, ist auch 60 Jahre nach dem ersten Auftritt in Hamburg noch im Musikgeschäft.
Irgendwann in den ersten Monaten des Jahres 1961 – das genaue Datum lässt sich nicht mehr feststellen – sind vier junge Männer mit ihren Instrumenten auf die Bühne eines damals angesagten Clubs an der Bramfelder Chaussee gegangen und haben mutig begonnen, Rock ’n’ Roll zu spielen.
Das war die Geburtsstunde einer Band, die heute noch besteht, die aus der deutschen Musikgeschichte nicht wegzudenken ist und die (wenn es denn erlaubt ist) immer noch größere Konzertsäle füllen kann: Die Rattles gibt es seit sechs Jahrzehnten – und einer der damaligen Musiker steht noch immer mit dieser Band auf der Bühne. Herbert Hildebrandt hat die Wege der Rattles stets gelenkt. Als Bassist, Sänger, Komponist, Manager und Produzent hat er sie sogar zu zeitweiligem Welterfolg geführt.
Hildebrandt und Reichel brachten Beatmusik nach Hamburg
Wer sich in der deutschen Musikszene ein wenig auskennt, denkt bei den Rattles natürlich an Achim Reichel. Das ist richtig. Die beiden Jugendfreunde Reichel und Hildebrandt, verbunden durch gemeinsames Fußballspielen auf den Straßen St. Paulis, fassten 1960 gemeinsam den Entschluss, eine Band zu gründen. Achim war später der Bekanntere von beiden. Die „Rampensau“. Aber Herbert, stets der Mann im Hintergrund, war auf seine Art mindestens ebenso erfolgreich. Beide haben die Beatmusik nach Hamburg gebracht.
Das Leben im Musikgeschäft hat Herbert Hildebrandt geprägt. Er musste mit harten Bandagen kämpfen, um sich durchzusetzen. Aber er hat es immer wieder geschafft, auch dann über Wasser zu bleiben, wenn eine Erfolgswelle ausgelaufen war. Heute ist er mit seinen 78 Jahren immer noch ein kerniger Mann. „Klar muss ich mich fit halten“, sagt der in Seevetal lebende Hildebrandt, Vater von drei Kindern. „Dreimal pro Woche ins Fitnessstudio, Schwimmen, Radfahren, das muss unbedingt sein.“ So gestählt steht er Zwei-Stunden-Konzerte locker durch.
Tipp von den Beatles
1961, als alles begann, waren die Beatles noch nicht bekannt. Chuck Berry, Buddy Holly, Jerry Lee Lewis, Little Richard waren die Idole, deren Musik von den Rattles nachgespielt wurde. Später waren es tatsächlich die Beatles, von denen sie im Club Indra auf der Großen Freiheit Akkorde lernten und den Tipp bekamen, es selbst als Profiband zu versuchen. Herbert, der gelernte Karosseriebauer, und Achim, der gelernte Kellner, verdienten auf der Bühne schnell mehr als in ihren bürgerlichen Berufen.
Kaiserkeller, Star Club, Beatclub im Fernsehen, Cavern Club in Liverpool, Tourneen mit den Rolling Stones, Chuck Berry, den Everly Brothers, den Beatles – die Rattles waren damals die angesagteste deutsche Band. „Come On And Sing“ ist heute immer noch ein Schlachtruf bei ihren Konzerten. Das schlagzeilenträchtige Drama um Achim Reichels Einzug zur Bundeswehr war längst nicht das Ende der Geschichte.
„The Witch“ sorgt noch heute für Einkünfte
Für Herbert Hildebrandt war es ein neuer Anfang. „Ich hatte erkannt, dass ich als Komponist noch extra Geld verdienen konnte“, erinnert er sich. „Noch mehr Geld gibt es, wenn man die Produktionen auch selbst finanziert.“ „Love Of My Life“ war der erste von ihm geschriebene Rattles-Hit, dem viele weitere folgten. Höhepunkt war schließlich 1970 der Song „The Witch“, der sich weltweit in den Charts platzieren konnte und bis heute für regelmäßige Einkünfte sorgt.
Lesen Sie auch:
- Nite Club gibt Konzerte per Videokonferenz
- Erinnerungen an die Hamburger Zeit der Beatles versteigert
- Hamburger Konzertveranstalter wird keine Querdenker buchen
Auf sein Talent als Komponist und Produzent wurden schließlich auch andere aufmerksam: Herbert Hildebrandt wurde Dauergast in den Studios, produzierte wie am Fließband, schrieb Filmmusiken, gründete neue Bands, startete unzählige Projekte und wurde als erfolgreichster deutscher Komponist des Jahres geehrt. „Mademoiselle Ninette“ war so ein Hit, der bis heute unvergessen ist. Die Soulful Dynamics standen damit 30 Wochen in den Charts. Das Markenzeichen „Hildebrandt-Winhauer“ – der Zusatz Winhauer ist der Geburtsname seiner Lieblingsoma – prägte die deutsche Musiklandschaft.
Rock-Karussell dreht sich weiter
Herbert Hildebrandt kutschierte im Rolls Royce durch die Stadt, eröffnete zwei Diskotheken und ein Café, war Star-Club-Pächter und -Geschäftsführer, erlebte 1988 die erfolgreiche, aber kurzlebige Rattles-Reunion mit Achim Reichel und steht heute wieder dort, wo er schon 1961 im Bramfelder Club stand: Ganz rechts auf der Bühne, mit dem Bass in der Hand. Denn auch nach Reichels zweitem Rattles-Ausstieg im Jahre 1990 machten die anderen weiter.
50 bis 60 Konzerte im Jahr, Tourneen mit den Lords, der zweiten deutschen Beat-Legende, zahlreiche Alben – das Rock-Karussell dreht sich immer noch. Aus der Anfangszeit ist noch Reinhard „Dicky“ Tarrrach als Schlagzeuger dabei. Er war 1963 ein-, 1968 ausgestiegen und ist seit 1988 wieder im Einsatz. Längst hat Herbert Hildebrandt, eigentlich eher der zurückhaltende Typ, den Part der „Rampensau“ übernommen, die das Publikum animiert und bei Laune hält.
78-Jähriger Hamburger will weiter mitmischen
60 Jahre im Rockgeschäft, darüber könnte Herbert ein Buch schreiben. Das will er möglicherweise auch, aber noch hat er Zeit. Er ist schließlich erst 78 und will noch ein paar Jahre mitmischen. Aber ein anderer Plan wird konkreter: „Ich möchte mit zwei, drei Musikern in kleineren Sälen gastieren und aus meinem Leben erzählen.“ Dann wird er seinem Publikum auch immer wieder gestellte Fragen beantworten: „Ja, ich habe viel verdient, aber auch viel ausgegeben. Ja, wir waren mit den Beatles auf Deutschland-Tournee, aber die waren so abgeschottet, dass wir sie kaum gesehen haben.“ Immerhin gibt es das legendäre Foto mit den Rattles und den Beatles auf der Treppe im Schlosshotel Tremsbüttel. So viel Zeit war dann doch vorhanden.
Auch das wird eine oft gestellte Frage sein: Gibt es Freundschaften unter Musikern? Die Antwort fällt knapp aus: „Ich bin weit davon entfernt, das zu glauben.“ Mit dem alten Fußballkumpel Achim Reichel ist Herbert Hildebrandt übrigens nicht, wie viele glauben, verfeindet. Die beiden verstehen sich immer noch, sehen sich aber selten.