Hamburg. Sie hat ihr zweites Album aufgenommen, auf dem der Tod eine wichtige Rolle spielt. Ein Besuch im Tonstudio.

Der Raum ist vollgestellt mit Keyboards, einem Klavier und jeder Menge elektronischem Equipment. Selbst ein analoges Tonbandgerät der Marke Revox hat es hier ins digitale Zeitalter geschafft. Fenster gibt es nicht, aber ein gemütliches Sofa steht im Art Blakey Studio, das im Untergeschoss eines Hauses in der Nähe des Fischmarkts liegt.

Benannt haben die Goldenen Zitronen ihren Aufnahmeraum nach dem berühmten Jazz-Schlagzeuger. Hier produzieren eine Reihe von Musikern aus dem Umfeld der Gruppe um Ted Gaier und Schorsch Kamerun ihre Musik, und auch Sophia Kennedy ist seit zwei Jahren immer wieder durch die schmale Eingangstür und den engen Gang hinunter ins Studio gegangen, um ihr zweites Album „Monsters“ aufzunehmen, das an diesem Freitag erscheint. Wie schon bei ihrem Debüt ist Mense Reents, seit 20 Jahren Multiinstrumentalist bei den Zitronen, der musikalische Partner der Deutsch-Amerikanerin.

Schreiben und Singen war für sie schon immer wichtig

„Es ist zwar schön, so einen Ort mit vielen Instrumenten zu haben, aber das meiste Material befindet sich im Laptop“, sagt Reents. „Manche Stücke entstehen aus einem Beat, andere aus einem elektronischen Entwurf am Rechner, über den dann improvisiert wird. Wir häufen Skizzen an, und die werden zugespitzt“, erläutert er die Arbeitsweise des Duos. „Manchmal schreibe ich auch Songs am Klavier, zum Beispiel ,Francis‘“, ergänzt Sophia Kennedy.

„Und dann müssen natürlich Texte her.“ Das ist vor allem die Aufgabe der Sängerin mit der betörenden Stimme. „Als ich jünger war, hatte ich sehr viel Energie zum Schreiben. Jetzt muss ich mir meine Lyrics manchmal erkämpfen“, gesteht sie. Schreiben und Singen sei für sie schon immer wichtig gewesen, „aber ich habe meiner Stimme lange nicht vertraut. Erst als ich vor fünf Jahren mit Mense am Debütalbum arbeitete, hat sich das geändert.“

Begegnung mit Reents war ein Glücksfall

Kennedy, Jahrgang 1989, lebt seit mehr als zehn Jahren in der Hansestadt. Geboren in Baltimore, kam sie mit fünf nach Deutschland, besuchte ein Gymnasium in Bielefeld und nahm dann ein Filmstudium an der Hochschule für bildende Künste (HfbK) in Hamburg auf. „Ich habe die Schule gehasst und wollte schnell aus meinem damaligen Leben raus“, erzählt sie.

Sie sei damals eine Suchende gewesen, die schon früh die Ambition hatte, Musikerin zu werden. Sehr bald traf sie in Hamburg Carsten „Ero­bique“ Meyer, der ihre erste Single produzierte, und dann im Golden Pudel Klub Mense Reents. „So viele tolle Leute gibt es nicht, die in Hamburg Musik machen“, sagt Reents. „Da ist es nur eine Frage der Zeit, wann man sich über den Weg läuft.“ Kennedy beschreibt ihre Begegnung mit Reents als Glücksfall: „Durch ihn habe ich mein Selbstverständnis als Musikerin, Performerin und Sängerin gefunden.“

Großer musikalischer Einfallsreichtum

Zu „Monsters“, das jetzt beim Berliner Label City Slang erscheint, sagt Sophie Kennedy: „Das Format ,Album‘ ist mir wichtig. Wir haben zwar vorab ein paar Singles mit dazugehörigen Videos veröffentlicht, doch nach und nach Songs für die diversen Plattformen herauszubringen entspricht nicht meinen Vorstellungen.“

Die 13 neuen Stücke bestechen durch einen großen musikalischen Einfallsreichtum, Kennedys klare und kräftige Stimme und die poetischen Texte, die gänzlich ohne Pop-Klischees auskommen.

Viele Songs beschäftigen sich mit Tod und Vergänglichkeit

Es gibt zwar keinen durchgängigen roten Faden, doch eine ganze Reihe der Songs beschäftigen sich mit Tod und Vergänglichkeit, etwa der Opener „Ani­mals Will Come“, der aus der Sicht eines Sterbenden geschrieben wurde, oder „I’m Looking Up“, in dem Kennedy sich vorstellt, dass der Sarg ihres Vaters mit einer bunten Straßenparade zum Friedhof geleitet wird, wie das in New Orleans üblich ist. „In den vergangenen Jahren sind sowohl mein Vater als auch meine Großeltern gestorben“, erzählt sie. Deshalb sei auch das Thema Abschied für sie von zentraler Bedeutung.

Musikalisch ist „Monsters“ ausgesprochen vielfältig. Bei jedem Hören lassen sich neue Spielereien und Klangperlen entdecken. Mal ist es eine sanfte Gitarre, dann ist es ein lässiger Rhythmus über dem Sound eines Mellotrons oder ein sich wiederholender schneller Piano-Beat. Auf „Orange Tic-Toc“ singt Sophia Kennedy sogar mit der Coolness einer Grace Jones („Slave To The Rhythm“). Sonst gibt es keine auffälligen Analogien: „Monsters“ ist ein umwerfendes Unikat von einer Künstlerin, die einen emphatischen, manchmal melancholischen Electro-Pop kreiert, der an allen Ecken und Enden funkelt und glitzert.

Sophia  Kennedy: „Monsters“  (City Slang), erscheint  am 7.5.
Sophia Kennedy: „Monsters“ (City Slang), erscheint am 7.5. © City Slang | City Slang

Nach der Veröffentlichung eines Albums gehen Künstler in der Regel auf Tournee, um ihrem Publikum die neuen Songs vorzustellen. Infolge der Corona-Pandemie müssen Kennedy und Reents diese Pläne aufschieben. „Wir werden wohl erst im kommenden Jahr wieder live auftreten können. Dann werden wir uns etwas breiter aufstellen und nicht nur als Duo spielen“, kündigt Kennedy an. Songideen und Skizzen sind auch noch reichlich vorhanden: „Jetzt schieben wir erst einmal die neue Platte an. Aber nächstes Jahr kommt vielleicht schon eine EP hinterher.“