Hamburg. Mit der ungewöhnlichen Fotoausstellung „5x Deutschland in aller Welt“ von Jörg Müller eröffnet die BallinStadt heute wieder.

Ende Oktober hatte Jörg Müller seine vielen Fotos schon einmal auf dem Boden ausgebreitet – aufhängen konnte er sie nicht. Der sogenannte Lockdown light und das Mitte Dezember folgende komplette Herunterfahren des öffentlichen Lebens verhinderten, dass der seit 30 Jahren in Hamburg lebende Fotograf seine bisher zeitaufwendigste Arbeit zum ersten Mal in der BallinStadt zeigen konnte.

Dank Müller ist das Auswanderermuseum auf der Veddel von diesem Freitag bis zum 18. April um eine ungewöhnliche Sonderausstellung reicher. Im Haus 3 – die Hallen 1 und 2 sind dauerhaft den Themen „Hamburg – das Tor zu Welt“ und „Migration“ gewidmet – freute sich BallinStadt-Geschäftsführer Volker Reimers bereits gestern über die Anwesenheit des renommierten Fotografen („Geo“, „National Geographic“) und dessen Schau, für ihn zur Wiedereröffnung des Auswanderermuseums „ein sehr wertvolles Element für unser Haus“, so Reimers. „Sie zeigt, wie der Austausch der Kulturen und der Sprache Teil des Zusammenlebens sind“, sagte der Museumsleiter.

Hamburger Fotograf bereiste verschiedene Regionen der Erde

Für „5x Deutschland in aller Welt“ hat der studierte Fotodesigner Müller zwischen 2014 und 2018 fünf unterschiedliche Regionen dieser Erde bereist, mit seiner Kamera stets auf der Suche nach Nachfahren deutscher Auswanderer. Mit fast 100 von Müller ausgewählten Motiven gleicht das Ergebnis einer aktuellen, teilweise recht kuriosen Bestandsaufnahme deutschen Lebens in fünf Ländern.

Denn wer vermutet schon im brasilianischen Pomerode knapp 200 typisch deutsche, besser gesagt pommersche Fachwerkhäuser und bayerisches Brauchtum? Auch die Arbeit in einer Brauerei namens „Schornstein“ hat Jörg Müller in Pomerode dokumentiert.

Kooperation mit Goethe-Institut

In der Kleinstadt südlich von São Paulo, einst von Einwanderern aus Pommern gegründet, sprechen noch heute 65 Prozent der Einwohner Deutsch. Es ist ein unter Brasilianern beliebter Touristenort, in dem Müller ganz nebenbei seine heutige Ehefrau Ivone Lemke, eine deutsch-brasiliansche Event-Managerin, kennengelernt hat. „In Brasilien leben gegenwärtig etwa sechs Millionen Deutschsprachige, und allein in São Paulo haben etwa 1100 deutsche Firmen ihren Sitz“, erläutert Müller.

Die Schau ist in Kooperation mit dem Goethe-Institut entstanden und war schon im Auswärtigen Amt in Berlin zu sehen. Jörg Müller hatte für die Auswahl der verschiedenen Orte zuvor manchmal sehr lange recherchiert.

„Eine Monster-Tour“ in Sibirien

Besonders schwierig war es im Fall des russischen Litkowka mitten in Sibirien. Zweimal, im Sommer und im bereits sehr frostigen Herbst, sei er dort gewesen, erzählt Müller. „Eine Monster-Tour“ war es, liegt das Örtchen doch zwei Autostunden von der nächsten Stadt entfernt und ist nach Regen aufgrund der sumpfigen Straße nur mit einem großen Milchlaster erreichbar.

Lkw-Reparatur auf Deutsch-Sibirisch: junge Männer in Litkowka.
Lkw-Reparatur auf Deutsch-Sibirisch: junge Männer in Litkowka. © Unbekannt | Jörg Müller /Agentur Focus

Den Lkw für alle Fälle hat Müller, der in Litkowka in einem zum Museum umfunktionierten Haus die Gastfreundschaft genoss, ebenso fotografiert wie die Reparatur eines anderen Lkw der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) aus Sowjetzeiten. „Zu Kohl-Zeiten sind natürlich sehr viele Russlanddeutsche zu uns gekommen“, sagt Müller, „aber einige wenige haben es hier nicht ausgehalten und sind zurückgekehrt.“ Der Fotograf zeichnet auch das liebevoll nach mit der Aufnahme vom Unterricht in der Dorfschule von Litkowka; in der hängt eine aktuelle Deutschlandkarte mit allen 16 Bundesländern.

Foto vom Alltag der Nachfahren deutscher Auswanderer

Immer wieder prägen Fotos vom heutigen Alltag der Nachfahren deutscher Auswanderer das Bild. Aber auch, wie sie deutsche Kultur leben und Feste nach ihrer ganz speziellen Art feiern, wird dem Museumsbesucher gewahr: In Brasilien etwa mit der „Festa Pomerana“ oder im rumänischen Oberwischau mit dem Herodespiel am ersten Weihnachtstag in der dortigen katholischen Kirche.

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Überhaupt die Gottesdienste: Aufnahmen davon ziehen sich bei „5x Deutschland in aller Welt“ durch alle fünf Länder. Sie prägen die Manitoba-Kolonie in Mexiko und die Region um Wartburg in Südafrika. Jörg Müller weiß: „In allen Orten spielt Kirche eine große Rolle.“ Was auch daran liegen mag, dass es alles Kleinstädte und Gemeinden sind, in der die Religion die Menschen zusammenführt. Ebenso die deutsche Sprache.

Harburg in Südafrika

In Südafrika hat Müller außer Wartburg noch die Orte New Hannover und Harburg entdeckt, ein besonders grünes Dorf mit einer Kirche auf einem Hügel, aber nur gut 100 Einwohnern. Ein Foto aus dem bis vor drei Jahrzehnten wegen der Apartheid isolierten Südafrika zeigt einen deutschen Farmer auf einem Feld mit Zulu-Arbeiterinnen.

So grün ist Harburg: Den nur 100 Einwohner zählenden Ort entdeckte und fotografierte Jörg Müller in Südafrika.
So grün ist Harburg: Den nur 100 Einwohner zählenden Ort entdeckte und fotografierte Jörg Müller in Südafrika. © Unbekannt | Jörg Müller / Agentur Focus

Jörg Müller hat bei seinen Reisen und Aufnahmen festgestellt, dass die Nachfahren der deutschen Auswanderer in ihrer neuen Heimat meist in sicheren, privilegierten Verhältnissen leben: „Die erste Generation hatte nichts, die zweite hat sich etwas aufgebaut, und der dritten Generation geht es gut bis sehr gut.“

Wohlstand für deutsche Auswanderer nicht selbstverständlich

Die alten Koffer, die im Haus 3 unter einigen seiner Bilder stehen oder in der Ecke liegen, zeugen von den bescheidenen Anfängen der meisten Auswanderer. Die Gepäck- und Fundstücke sind seit Eröffnung der BallinStadt im Jahr 2007 noch immer ein Merkmal, aber auch Mahnmal in allen drei Ausstellungshäusern. Und Erinnerung daran, dass Wohlstand auch für deutsche Auswanderer keine Selbstverständlichkeit ist.

„5x Deutschland in aller Welt“ bis 18.4, Mi–So jew. 10.00–16.30, Auswanderermuseum BallinStadt (S Veddel), Veddeler Borgen 2, Karten zu 13,- (Erw.) 7,- (Kinder) bzw. 28,- (4 Familienmitglieder) für alle 3 Häuser mit Vorab-Buchung und Zeitfenster unter T. 31 97 91 60 oder unter www.ballinstadt.de/online-tickets-kaufen/