Hamburg. Die Streaming-Veranstaltung war ein Erfolg: Rainer Moritz und Carsten Brosda traten mit Liedern von Udo Jürgens und Dolly Parton an.

Die Abstandsregel erforderte eine Distanz zwischen den Pulten der beiden Kontrahenten im Literaturhaus. Dabei liegen weltanschaulich und ästhetisch nicht anderthalb Meter, sondern Welten zwischen Rainer Moritz und Carsten Brosda. Hier Schlager, dort Country. Ein Kontrast, aus dem sich ganz automatisch Gemeinheiten, Seitenhiebe und Pointen ergeben. Wenn man es denn darauf anlegt.

Und das taten die beiden Genannten, der eine Leiter des Literaturhauses, der andere Kultursenator, nun bereits im vierten Jahr: „Schlagerzeit, Countryzeit“ heißt das mittlerweile beinah schon klassische Format, in dem die beiden Fans der populären Musik ihre jeweiligen Lieblingsgenres gegeneinander antreten lassen. Immer im Literaturhaus, von wo aus diesmal der Hausherr pandemiebedingt das Publikum allerdings „an den Empfängern zu Hause“ begrüßte. Die Veranstaltung wurde gestreamt. Wahlweise „Piccolöchen oder eine Flasche Bourbon“ empfahl Moritz den Zuschauerinnen und Zuschauern.

Carsten Brosda: „Countryhörer halten immer Bourbon bereit"

Und er wusste ganz sicher, was kommt, denn das Format hat seine zwar ungeschriebenen, aber unumstößlichen Gesetze. Carsten Brosda warf also ein, was er für seinesgleichen – die, die um peinvolle deutsche Texte einen weiten Bogen machen – immer, also auch in Fastenzeiten für statthaft hält: „Countryhörer halten immer Bourbon bereit, um die Schlagerpassagen zu überstehen“.

Der forsche Einwurf bestätigte auch diesmal, wo im übrigen „Große Gefühle“ das Motto war, den Auftrag, den sich die beiden Herren augenzwinkernd gegeben haben: rhetorisch keine Gefangenen zu machen. Und so teilte der SPD-Mann Brosda eben gleich mal aus. Eher nicht um parteipolitischen Frust abzubauen, aber wohl darum bemüht, ein von ihm selbstironisch angeführtes angebliches Credo („Bei der Sozialdemokratie ist es häufiger so: Dabeisein ist alles“) persönlich zu widerlegen.

Mit Dolly Parton gegen Udo Jürgens

Andererseits war Brosda es auch, der, immerhin ist das Literaturhaus ein Ort der Hochkultur, den zweiten Anspruch der beiden Kombattanten absichtlich hochtrabend nannte: „Es geht hier um ernsthafte, seriöse Exegesen komplexer lyrischer Werke.“ Unklar blieb dabei einstweilen, ob er damit auch den Schlager meinte.

Bob Dylans „Nashville Skyline“ wurde gespielt.
Bob Dylans „Nashville Skyline“ wurde gespielt. © Sony

Moritz, unter anderem Autor einschlägiger Werke wie „Und das Meer singt sein Lied: Schlager von Sehnsucht und Ferne“, erklärte Brosda mit Verve und Leidenschaft die Nicht-Ausdeutbarkeit („In der Germanistik sagen wir Leerstelle dazu“) von Songs wie „Was wird sein in sieben Jahren“ von Nina & Mike oder Udo Jürgens‘ „Im Kühlschrank brennt noch Licht“. Brosda hielt mit Bob Dylan (ja, der hat auch mal eine Countryplatte gemacht), Merle Haggard, Porter Wagoner und Dolly Parton dagegen.

Christian Steiffens „Arbeiter der Liebe“.
Christian Steiffens „Arbeiter der Liebe“. © Blue Soldi

Feminismus: Frauenbilder von einst und heute

Für Moritz war laut eigener Aussage der Abend eine Möglichkeit, „die feministische Kurve noch einmal zu nehmen“, also auf die Frauenbilder von einst und die von heute einzugehen; Brosda wollte seine Teilnahme grundsätzlich als abermalige politische Fortbildung verstanden wissen, einzureichen demgemäß beim Senat der Freien und Hansestadt.

Und natürlich Udo Jürgens!
Und natürlich Udo Jürgens! © Ariola

Wobei er in diesem Moment unterschlug, dass er als Mitglied einer schwächelnden Volkspartei ja quasi täglich eine Lektion in Sachen Stahlbad erhält. In jedem Fall sicherte er dem Opponenten auf dessen Mitteilung, seine Mutter schaue von Heilbronn aus der Sendung zu, unbedingte Schonung zu: Er wolle niemandes Gefühle verletzen, schon gar nicht die von Moritz‘ Mutter.

Gestreamte Veranstaltung erreichte großes Publikum

Überhaupt, das Publikum. So groß war es noch nie. Aber eben nicht leibhaftig anwesend, da mag es für Brosda und Moritz als Lobby-Arbeiter und Repräsentanten der darbenden Kulturszene ein Trost gewesen sein, dass mit einer gestreamten Veranstaltung mehr Publikum möglich ist als im doch recht übersichtlichen Eddy-Lübbert-Saal. In nach-coronischen Zeiten dürfte das Streamingangebot weiter eine Rolle am Schwanenwik spielen.

Dolly Partons „Here You Come Again“.
Dolly Partons „Here You Come Again“. © DCC

Aber halfen denn nun nette Gimmicks wie eingespielter Applaus aus der Konsole, um so etwas wie Live-Atmosphäre herzustellen? Bedingt. Der dritte Partner im Spiel um Lacherfolge neben den beiden auf der Bühne fehlte doch mitunter ganz erheblich. Und sei es in Form des seligen und gar nicht verschämten Mitsingens unvergesslicher Seichtverse durch nostalgisch gestimmte Schlagerfans.

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Entertainer Brosda und Moritz

Und doch gilt fraglos: Gut, dass sie das so durchgezogen haben, die tapferen und, das darf nicht vergessen werden, vor allem auch kundige Musik-Entertainer Brosda und Moritz. Es war ein unterhaltsamer Abend, an dem die längst einstudierten Rollen weiter verfeinert wurden: Moritz schmiss den Laden weitgehend, es ist ja auch seiner, und Brosda konterte trocken und bissig.