Hamburg. Hamburger Verlage und Literaturveranstalter sehen der erneuten Absage betrübt entgegen – und hatten aber ohnehin parallel geplant.

Wer das Gute im Schlechten finden wollte, der freute sich im Buchbusiness über die ursprüngliche Verschiebung der Leipziger Buchmesse: vom März in den Mai. Man durfte eine endlich mal frühlingshafte Literaturschau erwarten, oder nicht? Es wurde dann aber doch alles nichts. Ende vergangener Woche haben die Organisatoren das Branchentreffen abgesagt.

Die Pandemie ließ ihnen keine andere Wahl – wie schon 2020. Eine Veranstaltung mit mehr als 100.000 Menschen sei im Hinblick auf die Gewährleistung der Gesundheit und auch angesichts der Rechtslage schlicht nicht durchführbar, erklärte Martin Buhl-Wagner, der Geschäftsführer der Leipziger Buchmesse.

Weiterer Schlag für Verlage sowie Autorinnen und Autoren

Ein weiterer Schlag für Verlage sowie Autorinnen und Autoren. Zuletzt war schon die Frankfurter Buchmesse als Präsenzveranstaltung ausgefallen. Wo wird die Literatur überhaupt in größeren Dimensionen feierlich inszeniert, wenn nicht auf den Messen in Frankfurt und Leipzig? Dementsprechend groß ist das Bedauern auch der in Hamburg ansässigen Verlage. Wobei das Verständnis für die Absage – Gesundheit geht vor – überall vorausgesetzt werden darf, sei es nun bei kleinen Verlagen wie Mairisch oder den Riesenhäusern wie Rowohlt.

Es seien die Buchmessen in Leipzig und Frankfurt, „die Autorinnen und Autoren mit ihren Leserinnen und Lesern auf einmalige und wunderbare Weise zusammenbringen“, sagt etwa Rowohlt-Verlegerin Nicola Bartels. Die Veranstaltungen weckten „eine enorm große Aufmerksamkeit in den Medien und der Öffentlichkeit für unsere Bücher“.

Digitale Anstrengungen

Was bleibe, seien nun auch weiterhin die digitalen Anstrengungen, um die neuen Titel in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken. Am 16. Februar werde zum Beispiel die Hamburger Autorin Melodie Michelberger ihr Sachbuch „Body Politics“ im Zeise-Kino per Livestream präsentieren. „Das Digitale ist eine sinnvolle Alternative angesichts der pandemischen Lage, und dennoch freuen wir uns sehr, wenn hoffentlich bald wieder ‚analoge‘ Begegnungen mit unseren Autorinnen und Autoren zum kulturellen Alltag gehören“, teilte Bartels überdies auf Abendblatt-Anfrage mit.

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Daniel Beskos vom Mairisch-Verlag sagt: „Was wir planen: Internet, Internet, Internet. Wir würden gerne mehrere digitale Veranstaltungen machen, etwa wenn möglich eine Stream-Lesung aus einem Taxi mit Saša Stanišić und seinem ersten Kinderbuch ‚Taxi, Taxi‘.“ Auch weitere Veranstaltungen seien in der Warteschleife, aber da will der Indie-Buchmacher erst einmal die allgemeine Lage abwarten, ehe konkret geplant wird. Und allgemein ist Beskos trotz des Leipzig-Ausfalls zuversichtlich, „mit unserem Frühjahrsprogramm auch über Buchhandel, Presse und online viel Aufmerksamkeit zu bekommen“.

Rainer Moritz: Absage ist ein „schwerer Schlag“

Rainer Moritz, der Leiter des Hamburger Literaturhauses, ist weniger positiv gestimmt. Er hat bis auf Weiteres lediglich Stream-Lesungen im Programm – und nennt die Absage der Leipziger Buchmesse einen „schweren Schlag“. „Es ist ein Jammer! So nachvollziehbar die Gründe sein mögen: Nach der digitalen Schrumpfmesse in Frankfurt letzten Oktober gibt es erneut kein Forum für die Verlage, für die Autorinnen und Autoren, um sich und ihre Novitäten zu präsentieren.

Das publizistische Schaufenster, das eine Publikumsmesse wie die Leipziger darstellt, bleibt verhängt“, so Moritz. Wofür arbeiten wir noch? Diese Frage stellen sich seiner Meinung nach die Literaturvermittler in den vergangenen Wochen mehr denn je. Moritz: „Wer sich die ersten Pläne für künftige Lockdownaufweichungen ansieht, erkennt, dass die Kultur an letzter Stelle stehen soll – mal wieder.“

Können digitale Formate Präsenzveranstaltungen ersetzen?

Tim Jung, als Verleger bei Hoffmann und Campe unlängst mit der Akquise der deutschsprachigen Ausgaben von US-Poetin Amanda Gorman (sie sorgte bei der Amtseinführung des amerikanischen Präsidenten Joe Biden für Aufsehen) fix auf dem Posten, ist ebenfalls in keinster Weise glücklich mit den neuen Entwicklungen: „Wir hatten bei unseren Planungen berücksichtigt, dass die Leipziger Buchmesse in diesem Frühjahr möglicherweise nicht stattfinden kann.

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Unabhängig davon ist es fatal, dass dieser Fall nun abermals eingetreten ist, da die Leipziger Messe nicht nur für unsere Autorinnen und Autoren, sondern auch für das unmittelbare Erleben von Büchern und Literatur sehr wichtig ist.“ Digitale Formate und der Austausch am Bildschirm würden, so Jung, „waschechte Veranstaltungen und Begegnungen“ langfristig nicht ersetzen.

Beim Frühjahrsprogramm von Hoffmann und Campe setze man entschieden auf die Vermittlung durch die Medien, denen „in Zeiten der Pandemie eine höchst verantwortungsvolle Aufgabe zum Erhalt und Schutz unserer Literaturlandschaft“ zukomme.

Katastrophal: Streichung von Besprechungen im Fernsehen

Ein guter Punkt, um erneut auf die nicht lange zurückliegende Streichung des „Bücherjournals“ beim NDR, der in der Kulturbranche hohe Wellen schlug, und auch den Wegfall von Buchbesprechungen beim WDR zu sprechen zu kommen. Beides bezeichnet Jung dem Abendblatt gegenüber als „katastrophal“.

Die Streichungen, so Jung, „zeugen von Blindheit gegenüber der immensen Bedeutung und Wirkungsmacht von Literatur, wie sie uns jüngst unsere neue Autorin Amanda Gorman vor Augen geführt hat, als sie nicht nur einem Präsidenten die Show gestohlen, sondern die Demokratie zum Leuchten gebracht hat – und zwar mit einem Gedicht“.