Hamburg. Der Privatsender RTL und das Hamburger Zeitschriftenhaus Gruner + Jahr planen eine enge Verzahnung – kann das gelingen?
Als Gerhard Schröder 2005 als Bundeskanzler abtrat, hinterließ er der Republik nicht nur die Agenda 2010, sondern auch einen Spruch, der bis heute in keiner politischen Zitate-Sammlung fehlen darf: „Zum Regieren brauche ich nur ,Bild‘, ,BamS‘ und Glotze.“
Was der Machtmensch Schröder instinktiv erfasst hatte, gilt im Prinzip nach wie vor. Der Umkehrschluss steht für eine interessante Vision: Wenn die Kombination von Gedrucktem und TV ein so wichtiges Instrument für Politiker ist, was bedeutet dies erst für Medienhäuser, wenn sie die Marken und Reichweiten beider Welten bündeln können?
RTL und Gruner + Jahr vor tiefgreifendem Wandel
Auf diese Frage sollen derzeit die Bertelsmann-Tochterunternehmen RTL und Gruner + Jahr eine unternehmerische Antwort finden. Der Medienkonzern machte die mehrmonatige Sondierung kürzlich schon vor dem Start öffentlich, um Spekulationen vorzubeugen und den Annäherungsprozess für die Mitarbeiter transparent zu halten. Die Ankündigung warf viele Fragen auf, Branchendienste reagierten eher skeptisch.
Auf der einen Seite der populäre Kölner Privatsender, dessen Sendungen Intellektuelle gern mal als „Unterschichtenfernsehen“ abtun, auf der anderen das noble Hamburger Zeitschriftenhaus, dem die Verlegerherrlichkeit vergangener Jahrzehnte anhaftet wie der stets postulierte Premium-Anspruch. Wie soll das zusammenpassen?
Kritiker verweisen auf rückläufige Umsätze bei G+J sowie die Konkurrenz für RTL durch Streamingdienste wie Netflix und sehen die angestrebte Verzahnung als Sparmodell. Tatsächlich hat das Zeitschriftenhaus („Stern“, „Capital“, „Brigitte“) vor allem durch den Verkauf von Auslandsbeteiligungen in den vergangenen Jahren deutliche Geschäftseinbußen zu verzeichnen und erzielte 2019 bei 1,4 Milliarden Euro Umsatz ein Ergebnis von 150 Millionen Euro vor Steuern und Abschreibungen. RTL („GZSZ“, „Let’s Dance“) kam im selben Jahr auf 2,2 Milliarden Euro bei einem Vorsteuer-Erlös von 660 Millionen Euro.
Werbeeinnahmen sinken, digitale Medien müssen sich rechnen
Als Sanierungsfälle kann man die Unternehmen also kaum werten, auch wenn beide früher mal mehr Gewinne für den Konzern abgeworfen haben. G+J kämpft mit anhaltend schwierigen Werbemärkten und der mühseligen Monetarisierung digitaler Redaktionsangebote. RTL muss eine Antwort auf den Streamingtrend finden.
Es ist also nicht falsch, dass der branchenweite Druck ein Grund für den Drang nach engerer Zusammenarbeit ist. Daraus aber zu folgern, dass RTL und G+J gemeinsame Geschäfte anbahnen, weil sie es müssen, hieße, den wesentlichen Fakt zu verkennen. Sie tun es vor allem, weil sie es können.
Axel Springer verfolgte ähnliche Strategie
Die Konstellation von TV-Sendergruppe und Verlagshaus unter einem gemeinsamen Konzern-Dach gibt es in Deutschland nur bei Bertelsmann. Axel Springer verfolgte zwar bereits vor eineinhalb Jahrzehnten die gleiche Strategie. Doch der geplante Kauf von ProSiebenSat.1 für 2,5 Milliarden Euro scheiterte 2006 am Veto der Kartellbehörden. Dem Berliner Medienhaus blieb der Manager-Traum von „Bild, BamS und Glotze“ versagt.
Stattdessen investierte Springer – ebenso notgedrungen wie erfolgreich – in die Übernahme von digitalen Rubriken-Märkten (Stellen- und Immobilien-Anzeigen). Mit N24 erwarb man später einen Newssender für einen dreistelligen Millionenbetrag, weitere 20 Millionen steckten die Berliner in den Ausbau von Internet-TV bei „Bild“ – mit jeweils bislang übersichtlichem Erfolg.
Dagegen kann Bertelsmann mit RTL aus dem Vollen schöpfen. Dort war der Vernetzungsgedanke schon um die Jahrtausendwende präsent: So wurde mit dem früheren „Stern“-Chefredakteur und damals als Musikmanager tätigen Journalisten Rolf Schmidt-Holtz 2001 ein Chief Content Officer eingesetzt, der eine einheitliche Konzernstrategie entwickeln und umsetzen sollte. Das Scheitern der New Economy vereitelte den Plan.
Bertelsmann: Andere Manager-Generation
20 Jahre später nimmt der Medienkonzern einen neuen Anlauf. Die Rahmenbedingungen haben sich gewandelt, innen wie außen. An der Spitze der Unternehmenstöchter steht eine Manager-Generation, die Teamplay nicht als Signal von Schwäche und stattdessen Silodenken als Gefahr empfindet.
Bereits in der Vermarktung haben RTL und Gruner + Jahr eine weitreichende Zusammenarbeit in die Tat umgesetzt. Diese Ad Alliance wird im Konzern, wie aus der Gütersloher Zentrale zu hören ist, als beachtlicher Erfolg gewertet. Man habe Deutschlands größten Vermarkter im Portfolio, was angesichts der übermächtigen Konkurrenz von Facebook und Google nicht zu unterschätzen sei.
Zeitschriften haben dank RTL mehr "Abspielstationen"
Die Fantasie vereinter Kräfte scheint nun auch mit Blick auf das Inhalte-Angebot geweckt. Dass Gruner + Jahr von der RTL-Reichweite auf etlichen Ebenen profitieren kann, steht außer Frage und wird bereits regelmäßig unter Beweis gestellt. Mit „stern TV“ erreicht der TV-Sender rund 15 Prozent der Fernsehzuschauer in der für Werbetreibende maßgeblichen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen. Am 1. März startet zudem eine Doku-Reihe über einen Serienmörder von „stern Crime“, dem Magazin für „wahre Verbrechen“, unter dem Titel „Der Maskenmann“.
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Auch Formate anderer Zeitschriften werden diskutiert. „Gala“, die Food-Titel oder auch „Capital“ oder „Business Punk“ dürften sich mit Ideen nicht schwertun. Damit werden sich kaum mehr Hefte verkaufen, aber die Zahl der „Abspielstationen“ auch durch die lukrativen Audio-Lizenzen der Kölner erhöht sich beträchtlich.
Größte Überschneidung mit dem "Stern"
Dass auf G+J-Konzepten basierende TV-Formate im Programm von RTL wie Fremdkörper wirken könnten, glauben die Beteiligten nicht. So habe die Zuschauergruppe der Nachrichtenschiene „RTL aktuell“ im Vergleich mit allen Print-Titeln soziodemografisch die größte Überschneidung mit dem „Stern“. Gemeinsame Projekte hätten zudem den Vorteil, dass diese aufgrund der Beteiligung zweier Partner mit höheren Budgets und mehr Manpower ausgestattet werden könnten.
So soll auch die Sendergruppe von der Kooperation profitieren. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht hier das neue Video-on-Demand-Angebot RTL+ (ehemals TVNOW), das mit dem Vertriebspartner Telekom (Magenta TV) zur langfristig führenden Broadcasting-Marke entwickelt werden soll.
Standorte Köln, Hamburg und Berlin stehen nicht zur Disposition.
Vorläufig ist das Inhalte-Angebot aus einer Hand Wunschdenken. Man werde zunächst auf Geschäftsführer-Ebene Potenziale ermitteln, heißt es. Die Gespräche seien „ergebnisoffen“, frei nach der Devise: alles kann, nichts muss. Ein Selbstgänger ist die Verschmelzung also nicht. Bis Mitte des Jahres soll so ein Konzept entstehen, das dann noch 2021 umsetzbar wäre.
Die Standorte Köln, Hamburg und Berlin stehen nicht zur Disposition. Der geplante Umzug von G+J in die Hamburger HafenCity werde wie geplant erfolgen, heißt es. Skepsis, wonach die Liaison der Unternehmen Zeichen des Niedergangs wäre, sei unangebracht. Der Schritt sei eine überfällige Antwort auf Medienwandel und digitale Konkurrenz – oder, wie es ein Insider formuliert: „Hier geht es nicht um Kosten, sondern um Angriff.“