Hamburg. Die Sopranistin Katharina Konradi über ihre Jugend in Pinneberg, Fremdsein in einem neuen Land, ihre neue CD und digitale Zeitfresser.

Sie kam, sang und siegte. Nachdem sie 2017 an der Staatsoper als Ännchen in der legendären „Freischütz“-Inszenierung von Peter Konwitschny debütiert hatte, engagierte Intendant Georges Delnon die Sopranistin Katharina Konradi vom Fleck weg ans Haus. Seit der Saison 2018/19 hat sie sich an der Dammtorstraße in die Herzen des Publikums gesungen.

Bei Frank Castorfs „molto agitato“, der ersten Staatsopernproduktion unter Corona-Bedingungen, war Konradi dabei, fast unkenntlich im Vamp-Outfit. Bei der NDR-Produktion der „Fledermaus“ in der Elbphilharmonie gab sie eine hochvirtuose, sprühend erotische Adele.

Sopranistin Konradi: New Generation Artist der BBC

Die 32-Jährige ist New Generation Artist der BBC und gastiert auf Europas großen Opern- und Konzertbühnen, gerade hat sie mit Thomas Hengelbrock und seinem Balthasar Neumann Ensemble bei der Mozartwoche Salzburg mit der Opern-Collage „Szenen einer Ehe“ brilliert, leider nur online. Beim Video-Interview sitzt eine junge Frau mit offenem Haar und geblümter Bluse auf der anderen Seite des Bildschirms und erzählt von ihrer Schulzeit im Hamburger Umland, ihren Erfahrungen mit Social Media und ihrer Liebe zum Lied.

Hamburger Abendblatt: Frau Konradi, Sie sind als Kind von Spätaussiedlern in Pinneberg zur Schule gegangen. Wie war das für Sie, ausgerechnet in Hamburg fest engagiert zu werden?

Katharina Konradi: Das hat sich fast unwirklich angefühlt. In meiner Schulzeit bin ich immer in die Staatsoper gegangen. Sie war das größte Opernhaus, das ich kannte. Ich habe mir nie vorgestellt, dass ich mal die Chance bekäme, auf so einer großen Bühne zu singen. Ich hatte zwar Träume, aber versuche immer noch, mich nicht reinzusteigern, um nicht enttäuscht zu werden. Damals habe ich gedacht, an der Staatsoper singen Menschen, die von einem anderen Planeten kommen.

Wie sind Sie denn zum Singen gekommen?

Konradi: Das hat eine Weile gedauert. Ich hatte als Kind schon Auftritte, da hat mich mein Großvater auf dem Akkordeon begleitet, ich war sogar im kirgisischen Lokalfernsehen! Aber als wir 2003 nach Deutschland kamen, war ich voll damit beschäftigt, mich hier einzugewöhnen.

Sprachen Sie Deutsch?

Konradi: Kaum. Am Anfang haben wir nichts verstanden, das war ein richtiger Schock. Wir haben für alles Hilfe gebraucht, für die Papiere und die ganzen Behördengänge.

Und wie ging das mit der Schule?

Konradi: Ich hatte gehört, wenn man aufs Gymnasium geht, kann man studieren. Das wollte ich natürlich unbedingt. Weil ich kein Wort Deutsch sprach, musste ich erst mal auf die Hauptschule gehen. Nach einem halben Jahr haben sie mich zur Probe aufs Gymnasium gelassen.

Dann haben Sie am eigenen Leibe erlebt, wie sich Fremdsein anfühlt. Beeinflusst das Ihren Blick auf solche Themen?

Konradi: Auf jeden Fall. Das merke ich, wenn es Debatten über Flüchtlinge gibt. Viele meiner Mitschüler aus den Förderkursen, aus Russland oder der Türkei oder vielen anderen Ländern, waren in der gleichen Situation. Wenn man mit 13, 14 Jahren nicht mitreden kann, ist man außen vor.

Waren Sie viel allein?

Konradi: Das Alleinsein hat meine Schulzeit geprägt. Dadurch bin ich in die Musik reingewachsen. Musik war für mich eine ganz eigene Welt. Nachmittags nach der Schule habe ich mir stundenlang Opern angehört. Ich habe mir in der Stadtbi­bliothek alle möglichen CDs ausgeliehen. Und ich habe Klavier gelernt.

Aber wie haben Sie denn das Singen wiederentdeckt?

Konradi: Mein Musiklehrer hat mich im Unterricht singen gehört und fand, ich hätte eine besondere Stimme. Er hat mir zwei Jahre lang kostenlos Gesangsunterricht gegeben, das war eine tolle Chance. Ich hatte ja überhaupt kein Geld. Und auf die Aufnahmeprüfung an der Berliner Universität der Künste hat mich die Sopranistin Katja Pieweck von der Staatsoper vorbereitet …

… die dort heute Ihre Kollegin ist. Das Hamburger Publikum kennt Sie als Rampensau. Bei dem blutig-drastischen „molto agitato“ stöckelten Sie in Glitzer und Perücke über die Bühne. Auf Ihrer neuen Lied-CD „Liebende“ zeigen Sie sich nun von einer ganz anderen Seite.

Konradi: Das Lied ist etwas ganz Wichtiges für mich. Vom Repertoire her, aber auch von der Verbindung zwischen Stimmtechnik, Sprache und Gehalt. Die muss man so gut beherrschen, dass man eine mühe­lose Leichtigkeit hinbekommt. Das ist ein gutes Gegengewicht zur Oper.

Was ist vom Singen her der Unterschied?

Konradi: Wenn ich viel Oper gemacht habe, brauche ich ein paar Tage, um die Stimme wieder auf ein leiseres und leichteres Niveau zu bringen. Fürs Lied braucht man die opernhafte Höhe nicht so sehr, aber man braucht eine weiche Tiefe, den Übergang von der tiefen Stimme in die Höhe. Das Lied heilt die Stimme, sie wird wieder gesund.

„Liebende“ haben Sie das Album genannt. Nun geht es in der Musik ja im Grunde ununterbrochen um die Liebe.

Konradi: Der Titel kam ganz zum Schluss. Ich habe Lieder gewählt, die mir am Herzen liegen und die gut zu meiner Stimme passen. In jedem dieser Lieder geht es um Liebe. Entweder um eine erfüllte Liebe oder um ein Streben nach Liebe oder um etwas anderes wie in der „Abendempfindung“, wo es ums Sterben geht. Aber dann legt eine Liebende ein Blümchen auf das Grab. „Liebende“ beziehen sich auch nicht notwendig auf ein konkretes Objekt. Es kann ja auch jemand sein, der das Leben liebt.

Ist die Album-Idee der Corona-Zwangspause geschuldet?

Konradi: Wir hatten es schon vorher geplant. Ich hatte im Gegenteil Sorge, das Projekt nicht machen zu können, denn ich wollte es mit meinen freien Engagements finanzieren. Und die fielen eins nach dem anderen weg.

Dass Künstler ihre Aufnahmen aus eigener Tasche bezahlen, hätte sich vor 30 Jahren keiner träumen lassen.

Konradi: Früher hat man davon gelebt! Ich habe neulich eine Kiste mit CD-Exemplaren bekommen und dachte daran, wie viel ich investiert habe – und wie viele CDs ich wohl verkaufen werde?

Gibt es überhaupt eine realistische Chance, damit Geld zu verdienen? Oder geht es schlicht um ein sehr feines Werbemittel?

Konradi: Es ist klar, dass wir das Geld nicht wieder herausbekommen. Manchmal entdecke ich ein neues Album, und eine Woche später finde ich schon alles auf YouTube. Kostenlos. Ich glaube, in erster Linie wollen die Künstler sich verewigen.

Und sonst? Was tun Sie dafür, dass Sie medial präsent bleiben?

Konradi: Sie meinen Social Media? Ich habe alles gelöscht!

Oh. Warum?

Konradi: Mir wurde gesagt, du musst das machen, nur so wirst du bekannter und so weiter. Ich habe das am Anfang auch genossen. Ich habe mir richtige Konzepte überlegt. Nicht einfach irgendetwas gepostet, sondern Themen gesucht und Bilder zusammengeschnitten. Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich sehr viel Energie in diese Medien gesteckt habe, aber nichts zurückbekam. Manchmal hatte ich keine Kraft mehr, um einen Lied- oder Operntext zu lernen, weil ich die ganze Zeit damit beschäftigt war, was poste ich als Nächstes?

Das klingt gruselig.

Konradi: Absolut! Sogar vor den Vorstellungen oder Konzerten war ich noch damit beschäftigt, etwas zu posten, um zu zeigen, ich bin jetzt in London oder Paris. Und dass ich im Hinterkopf hatte: Ich will den anderen zeigen, was ich jetzt Tolles mache.

Das ist ja auch eine Währung. Aber es klingt, als hätten Sie darüber Ihre Mitte verloren.

Konradi: Genau das. Ich habe mich dann von einem Tag auf den anderen abgemeldet, und sofort fing mein Kopf an, freier zu werden. Ich konnte wieder das Schöne in der Natur sehen, ohne als Erstes daran zu denken, an welchem Baum kann ich jetzt posen … (lacht), oder: Hier könnte ich mich dekorativ ins Laub schmeißen und dazuschreiben, „I love nature.“ Es fehlt mir überhaupt nicht.

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Also müssen Ihre Fans auf den sozialen Kanälen auf Sie verzichten. Aber wenn das Publikum nicht nur tolle Stimmen hören will, sondern einfach nach Diven verlangt, die es anhimmeln kann, wie bedienen Sie das?

Konradi: (Prustet los) Sie meinen, das Diveneske? Ich glaube, das liegt mir ziemlich fern. Die Musik ist schon komplex genug. Wenn man sich noch damit beschäftigen muss, ganz besonders aufzutreten und auszusehen und so – für mich fühlt es sich falsch an. Mein Credo ist die Natürlichkeit. Ich habe damit gute Erfahrungen gemacht. Vor allem beim Liederabend. Da muss ich mich darauf konzen­trieren, den Text so authentisch wie möglich vorzutragen und so offen wie möglich bleiben, damit ich die Musik durch mich durchlassen kann.

Katharina Konradi, Daniel Heide: „Liebende“, Cavi-Music, CD ca. 23 Euro, ab 26.2.