Hamburg. Am Dienstag gibt das Berliner Theatertreffen seine Einladungen bekannt. Wer aus Hamburg hat es auf die Gästeliste geschafft?

Alljährlich im Mai laden die Berliner Festspiele zum Theatertreffen. Beim bundesweit wichtigsten Schaulaufen der deutschsprachigen A-Klasse-Bühnen werden die zehn „bemerkenswertesten“ Inszenierungen der vergangenen 24 Monate in der Hauptstadt gezeigt. Und im Anschluss zerreißen sich Zuschauer, Presse und Künstler traditionell das Maul, weswegen die aktuelle Auswahl nun gar nicht gehe. Wobei die absolute Irrelevanz des Festivals in der Regel von denen behauptet wird, die nicht eingeladen sind.

Doch dieses Jahr ist alles anders. Weil überhaupt nicht klar ist, ob angesichts der Corona-Pandemie im Mai überhaupt gespielt werden kann. Und weil auch die Auswahl schwieriger ist: Ein Großteil der Premieren 2020/21 konnte wegen des Lockdowns gar nicht gesichtet werden.

Entscheidung wird am 9.2.21 per Livestream bekannt gegeben

Keine einfache Aufgabe für die Journalistenjury, die aktuell aus Cornelia Fiedler (Köln), Wolfgang Höbel (Hamburg), Georg Kasch (Berlin), Andreas Klaeui (Zürich), Sabine Leucht (München), Pe­tra Paterno (Wien) und Franz Wille (Berlin) besteht. Nichtsdestotrotz: Am Dienstag wird die Jury um 11 Uhr per Livestream ihre Entscheidungen bekannt geben. Und wie stehen die Chancen auf eine Einladung für die Hamburger Bühnen?

Praktisch immer gesetzt ist das Schauspielhaus. Das dieses Jahr allerdings ein nicht wegzudiskutierendes Problem hat: Durch die beiden Lockdowns fanden kaum Premieren im Auswahlzeitraum an der Kirchenallee statt. Bis auf Rainald Goetz’ „Reich des Todes“ natürlich. Der Abend bringt eigentlich alles mit, was man als „bemerkenswert“ bezeichnen kann: Es handelt sich um die Uraufführung eines wichtigen Dramatikers, ein relevantes Thema, eine ausgesuchte Besetzung, nicht zuletzt eine Inszenierung durch Intendantin Karin Beier, über die man sich nach der Premiere im September trefflich streiten konnte.

Kritiker einig: Inszenierung von Thomas Köcks „Paradies“-Trilogie fährt nicht nach Berlin

Zudem wurde „Reich des Todes“ zum renommierten „Stücke“-Festival in Mülheim an der Ruhr eingeladen, auch das dürfte seine Chancen erhöhen. Eine sichere Bank also? Aber Vorsicht: Manchmal reagieren Jurys ungnädig, wenn ihnen die Entscheidung so auf dem Silbertablett serviert wird.

Besser sieht die Situation am Thalia aus, da wurde weitaus mehr gespielt. Leander Haußmanns Deutung von Molières „Der Geizige“ etwa, fantasievolles Schauspielertheater mit einem großar­tigen Jens Harzer in der Titelrolle, das aber vielleicht deswegen durchfallen könnte, weil Schauspielertheater als gestrig gilt und Haußmann von der Jury als uncool geschmäht wird. Christopher Rüpings Inszenierung von Thomas Köcks „Paradies“-Trilogie (erst kürzlich gab es zu den Lessingtagen einen Livestream) fährt wohl nicht nach Berlin, da waren sich die meisten Kritiker schon nach der Premiere im September uneins.

She She Pop haben gute Chance auf Einladung

Außerdem werden Rüping schon für seinen Zürcher Online-„Dekalog“ gute Chancen eingeräumt. Aber vielleicht der Schiller-Dreiklang „Ode an die Freiheit“ durch den zum Spielzeitbeginn nach Basel entschwundenen Antú Romero Nunes? Verdient hätte es der Abend, jedenfalls mehr als die Popmoderne-Revivals „Maß für Maß“ (Stefan Pucher) und „Network“ (Jan Bosse).

Hin und wieder fasst sich die Jury ein Herz und schaut in die freien Produktionshäuser, und da finden sich immer wieder Hamburger (Ko-)Produktionen. Gute Chancen auf eine Einladung können sich She She Pop ausrechnen, de­ren Alternde-Frauen-Collage „Hexploitation“ auf Kampnagel zu sehen war. Ähnlich wie She She Pop sind auch Gob Squad immer wieder im Blick der Jury; die deutsch-britische Gruppe zeigte im Frühjahr ihr Online-Stück „Show Me A Good Time“, das im August beim Internationalen Sommerfestival noch einmal als Liveversion aufgeführt wurde, und dort ebenfalls starken Eindruck machte.

Pandemiebedingt erschlossen sich viele Theater das Internet

Was in der aktuellen Theatersaison wirklich bemerkenswert war – wie sich Theater pandemiebedingt das Internet als Bühne erschlossen. In diesem Sinne wäre es auch nachvollziehbar, würden ein oder zwei Netzproduktionen zum Theatertreffen eingeladen. Zum Beispiel Heike M. Goetzes Inszenierung von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“, als düsterer Livestream realisiert vom Deutschen Schauspielhaus. Die Ehrung für diese ästhetisch sehr eigenständige Arbeit wäre eine Überraschung, wenn auch eine verdiente.

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Aber, wer weiß: Vielleicht nutzt die Jury die ungewöhnlichen Umstände und präsentiert eine ganz andere Theatertreffen-Auswahl? Arbeiten, die niemand auf dem Zettel hat, Produktionen, die auf unerwartete Weise mit der Realität des Lockdowns umgehen? Das wäre dann wirklich: bemerkenswert.

Berliner Theatertreffen Bekanntgabe der Jury am 9.2.; das Theatertreffen soll nach heutigem Stand vom 7. bis zum 23. Mai stattfinden.