Hamburg. Ob Starpianist oder Indie-Sängerin: Musikschaffende hadern mit den Corona-Hilfen. Viele stellen deshalb auf Notbetrieb um.

„Schnell und unbürokratisch“ sind wahrscheinlich heute nicht zu Unwörtern des Jahres 2020 gekürt worden, aber trotzdem sind sie für viele Menschen in Hamburgs Kulturbranche zu Reizwörtern geworden. Unterstützung, Solidarität und Verständnis, Hilfen von Bund und Land und Spenden von Initiativen und Aktionen haben die letzten zehn Monate geprägt, aber Worte und Ideen sind das eine. Wie ist die Bilanz von Hamburgs Musikerinnen und Musikern und ihrer Netzwerke?

„Bei einem Einbruch von über 80 Prozent aller Konzerte in 2020, die aber über 70 Prozent der Gesamteinnahmen von Musikerinnen, Musikern und DJs ausmachen, lässt sich ohne große mathematische Kenntnisse errechnen, wie schlimm die finanzielle Situation der Betroffenen zurzeit aussieht“, sagt Andrea Rothaug von RockCity Hamburg e.V. als Interessenvertretung von über 3000 Musikschaffenden. „Hinzu kommt die fehlende berufliche Perspektive, die Turbo-Digitalität, die viele ins Abseits drängt und den Beruf vollkommen verändert, aber auch die psychische Belastung all dieser Themen.“

Corona-Krise in der Kultur wie ein "Quasi-Arbeitsverbot"

Besonders in der Indie-Szene, wo die Einnahmen nie überragend waren, aber zum Leben und Etablieren, Ausprobieren und Experimentieren reichten, ist der unterbrochene Kreislauf aus Konzerteinnahmen und ihrer Investition in neue Musik überlebenswichtig, körperlich und seelisch.

Catharina Boutari, Sängerin, Songschreiberin und Labelbetreiberin aus eigener Strahlkraft, weiß wie sich das anfühlt: „Dieses Quasi-Arbeitsverbot nagt, neben den realen Existenzsorgen, auch auf einer ganz tiefen Ebene an vielen Musikerinnen, die gut durchkommen. Die Situation ist wie Vollgas geben mit angezogener Handbremse. Verordnete Tatenlosigkeit mit dem inneren Druck auf den Punkt fit und bereit zu sein, wenn es denn, irgendwann, wieder losgeht.“

Musiker stellen auf Notbetrieb um, manche wechseln den Job

Wenn es denn wieder losgeht. Der Hamburger Star-Pianist Joja Wendt glaubt nicht, dass eine baldige Aussicht auf Rückkehr zum Vorher besteht: „Die Pandemie hat die Berufsgrundlage aller Solo-Selbstständigen unserer Branche pulverisiert und generell bei jedem Bürger zu einem Umdenken im Umgang mit anderen Menschen geführt. Ein unbeschwertes Zusammentreffen großer Menschenmengen wird auch für eine lange Zukunft schwer denkbar sein. Insofern steht ein gesamter Berufszweig für lange Zeit auf dem Prüfstand.“

Für ihn ist absehbar, dass sich viele Menschen in der Musikszene auf neue Geschäftsmodelle umstellen müssen. Auch wenn das heißt, die Musik aufzugeben: „Ich höre von allen Seiten, dass es viele andere Künstler gibt, die auf Notbetrieb umgestellt haben“, schreibt Wendt, auch Boutari kennt diese Fälle in ihrem Umfeld: „Viele arbeiten zur Überbrückung in anderen Berufen. Ein befreundeter Gitarrist hat Gagen in Höhe von 40.000 Euro verloren, war in der Grundsicherung und arbeitet jetzt als JeKi-Lehrer (,Jedem Kind ein Instrument‘) an einer Grundschule.“

Joja Wendt: "Ich hoffe, mein Studio halten zu können"

Wer nicht überbrücken kann oder will, hat verschiedene Optionen wie Initiative Musik oder Musikfonds auf Bundesebene, RockCity Gagenfonds oder Hamburg Music Business Support. Aber kein Programm kann für alle Kulturschaffenden ideal sein – oder ist im Fall von Crowdfunding oder Spendenaktionen nur kurzfristig.

So geht es auch für einen seit Jahrzehnten populären Künstler wie Joja Wendt ans Eingemachte: „Ich bin seit 30 Jahren im Geschäft, und konnte mir über die Jahre ein wirtschaftliches Umfeld aufbauen, dass hoffentlich die Krise überdauert. Allerdings habe ich auch schon einen Flügel verkaufen müssen und hoffe mein Studio halten zu können. Es hat sich seit März schon ein sechsstelliger Betrag an laufenden Kosten für Gehälter, Mieten und anderen Verbindlichkeiten angehäuft, denen keine Einnahmen gegenüberstehen.“

Catharina Boutari alias Puder scheitert an den November- und Dezemberhilfen.
Catharina Boutari alias Puder scheitert an den November- und Dezemberhilfen. © Annemone Taake | Annemone Taake

Auch Catharina Boutari kommt bislang über die Runden: „Ich habe zwei Förderungen und die Neustarthilfe bekommen. Danke an die Kulturbehörde, den Musikfonds und die Initiative Musik. Aber ich scheitere gerade an den November- und Dezemberhilfen. Ich habe 80 Prozent Umsatzausfall, doch ist nicht klar, ob alle meine Auftraggebenden anerkannt werden. Was absurd ist, da sie mich letztes Jahr wegen der Pandemie nicht beschäftigen konnten.“

Corona-Hilfen: "Weder schnell noch unbürokratisch"

Und hier liegt ein Problem der Hilfsprogramme: Sie seien aus der Sicht von Wendt, Boutari und einiger Kulturschaffender „weder schnell noch unbürokratisch“ in Antrag, Bearbeitung und Auszahlung, nicht flexibel genug auf die Kultursparten zugeschnitten und hätten mal mehr, mal weniger Regeln sowie Raster, durch das viele Betroffene fallen. „Hier ist noch nix angekommen“, sagt Wendt.

Auch Andrea Rothaug, die mit Rockcity und der Kulturbehörde den Gagenfonds initiierte, sieht Optimierungsbedarf: „Viele Hilfsprogramme greifen für die heterogene Musikszene nicht. Viele Hilfen sind noch gar nicht da angekommen, wo Aussicht auf Berechtigung besteht. Und viele haben Angst, die Gelder, die sie erhalten haben, zurückzahlen zu müssen, zum Beispiel, weil sie sie für Lebenshaltungskosten ausgeben mussten und nicht wie gefordert für Betriebskosten.“

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Gerade für soloselbstständige Musikschaffende sind Lebenshaltungskosten Betriebskosten, und nicht wenige von ihnen konnten bereits vor Corona nicht ausschließlich von der Kunst überleben und mussten verschiedene Tätigkeiten wahrnehmen. Da kommen viele Ausschlusskriterien zusammen. „Das Verständnis für uns und unsere Lebens- und Arbeitsrealität ist weiterhin nicht da“, wundert sich Catharina Boutari, „jede neue Unterstützungsmaßnahme zeigt das durch ihr Nichtfunktionieren.“

Catharina Boutari wünscht sich mehr Wertschätzung

Aber nicht nur für Boutari wurde in der Krise nur an die Oberfläche gespült, was bereits vorher spürbar war: „Der schlimmste Fall wäre, dass es hinterher so wie vor der Krise weitergeht und die freie Kultur bis dahin sich selbst überlassen wird, mit allen fatalen Folgen.“

Sie wünscht sich mehr Wertschätzung für alle Kulturformen ohne Trennung von Hoch- und Subkultur, ablesbar an entsprechend aufgestellten Kulturetats oder Radio- und Festivalprogrammen. „Zweitens wünsche ich mir, dass noch mehr Menschen ein neues Gefühl für den Wert von Musik bekommen haben und bereit sind, für Musik anständig zu zahlen.“

Die wichtigsten Corona-Themen im Überblick

Für Hilfsprogramme werden mehr Detailklarheit bei weniger bürokratischem Aufwand, mehr Personal und bessere Zusammenarbeit mit den Kultursparten erhofft. Was wiederum Zeit und Geld kosten wird. Die Befürchtung, im Gegensatz zu anderen Wirtschaftsbranchen als verzichtbar zu gelten, bleibt präsent.

Was dann bleibt, stellt sich für Joja Wendt so dar: „Staatlich subventionierte Musik und Kultureinrichtungen sind die Gewinner der Krise. Die Subkultur jedoch, der kreative Motor der Musikhauptstadt Hamburg ist am härtesten getroffen. Dieser Innovationsbooster, von dem unsere Gesellschaft und viele Bereiche der Wirtschaft profitieren und der unserer Metropolregion traditionell einen Vorsprung verschaffte, verkarstet. Das wird wohl leider Hamburg in einigen Bereichen seine wirtschaftlich und kulturell einzigartige Stellung kosten.“