Hamburg. Beim Neujahrskonzert kam man dem Orchester in der Laeiszhalle ganz nah. Doch akustisch wie optisch neigt das Konzept zur Trennkost.
Ist das ein gutes Zeichen – oder eines der Resignation? Einen Livestream einzuschalten, ruft nach Monaten der nicht ganz freiwilligen Übung einen Abglanz der Reflexe hervor, die sich in den guten alten Zeiten beim Betreten eines Konzerthauses einzustellen pflegten: Erwartung, feierliche Stimmung, Aufmerksamkeit. Unwillkürlich strafft sich auf dem heimischen Sofa der Rücken, etwas zuckt in den Händen beim Anblick der Musiker.
An diesem Sonntagmorgen: virtueller Besuch der Laeiszhalle zum Haspa-Neujahrskonzert der Symphoniker Hamburg. Die Bank hat es möglich gemacht, dass das Konzert kostenlos online zugänglich ist.
Haspa ermöglicht kostenloses Online-Konzert der Symphoniker
Vielleicht tritt der Kontrast zwischen dem, was wir optisch von einem Konzert gewohnt sind, und den digitalen Krisenbewältigungsmethoden gegenüber der Patina eines Jugendstilsaals noch ein bisschen schärfer hervor. Jedenfalls schmerzt es, den vielen freien Raum zwischen den Musikern zu sehen.
Intendant Daniel Kühnel erwähnt in seiner Begrüßung die Beschwernisse dieser Zeit, all das Testen und Umbauen, aber natürlich auch die Freude, spielen zu dürfen. Er dankt der Haspa und Studio Hamburg, das dem Orchester die technische Übertragung schenkt, und der Freien und Hansestadt Hamburg für ihre „Klarheit und Unbeirrbarkeit, mit der sie an der Seite des Kulturbetriebs und der Symphoniker Hamburg steht“.
Und der erste Bürgermeister, zugeschaltet aus dem Rathaus, nennt in seinem Grußwort Kunst und Musik unentbehrlich: „Sie helfen uns, Mut zu wahren, kreativ zu bleiben, neue Perspektiven zu finden und trotz Abstands zusammenzuhalten.“ Wir stehen beisammen, lautet die ungeschriebene Botschaft. Selten war die demonstrative Einigkeit so glaubhaft.
Im Programm: Mozart, Mendelssohn, Beethoven
Zu so viel Affirmation passt auch das Programm. Mozarts „Figaro“-Ouvertüre, Mendelssohns e-Moll-Violinkonzert, Beethovens Siebte: alles beliebtes, bekanntes Kernrepertoire. Zum Mitsingen sozusagen. Cambreling, der doch sonst mit Verve für das Abseitige, Ungewöhnliche wirbt, nimmt auch dieses Programm sichtlich ernst.
Wir alle sind vom Bildschirm auf perfekt geschnittene und bearbeitete Produktionen geradezu konditioniert. Darüber gerät leicht in Vergessenheit, dass eine Live-Situation vom Entstehen im Moment lebt, das Risiko, dass mal was danebengeht, eingeschlossen. Das ist schon im normalen Konzertleben so.
Coronabedingter Abstand zwischen Musikern
Ein Livestream mit den vielen Nahaufnahmen und wechselnden Kameraeinstellungen legt noch mal eine Schippe drauf. Er ist gleichsam ein Livekonzert unter der Lupe – so als könnte das Publikum während der Aufführung durchs Orchester wandern und den Musikern nicht nur aus der Nähe ins Gesicht sehen und ihre Stimme heraushören. Das müssen nicht nur die Künstler aushalten. Auch das Publikum muss sich das Künstliche an dieser Situation bewusst machen. Denn was hier serviert wird, neigt akustisch wie optisch zur Trennkost. Sogar in der warmen, integrierenden Akustik der Laeiszhalle.
Cambreling und sein Orchester schlagen sich wacker. Aber die von Corona diktierten Abstände bleiben ein Fluch für das Zusammenspiel. Und Musik besteht nun mal aus Zusammenspiel. Sicher, man kann es trainieren, größere Distanzen auszugleichen, aber nur bis zu einem gewissen Grade. Ab der ersten rasanten Piano-Sechzehntelschlange, mit der Fagotte und Streicher die „Figaro“-Ouvertüre beginnen, geschieht es immer wieder, dass nicht alles perfekt übereinander ist. Oft sind es nur Winzigkeiten. Im Konzertsaal wären sie sofort vergessen. Auf dem Bildschirm nicht.
Feinfühliges Spiel der Solistin Viviane Hagner
Das berühmte „Klappern“ ist der eine Effekt. Für die musikalische Botschaft gefährlicher ist der zweite: Die Entfernungen begünstigen die Tendenz, dass die Musiker aufeinander warten. Dadurch wird das Metrum leicht behäbig. Die „Figaro“-Ouvertüre ist an diesem Morgen eher ein frischer Weißburgunder als ein Champagner.
Das Violinkonzert e-Moll von Mendelssohn hat diesen Fährnissen dort, wo es eher romantisch-flächig gemacht ist, mehr entgegenzusetzen. Die Solistin Viviane Hagner musiziert sehr fein, arbeitet Besonderheiten und harmonische Wendungen liebevoll heraus und bringt den langsamen Satz zum Singen. Wozu ihre Stradivari klanglich in der Lage ist, das lässt der Stream nur ahnen, wie sich überhaupt das Klangbild vornehmlich auf die Höhen konzentriert.
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In der Pause, und das ist jetzt mal ein genuiner Vorteil des Mediums, nimmt der Moderator Holger Wemhoff das Publikum mit auf einen Rundgang. Auf der Bühne spricht er mit dem Haspa-Vorstandschef Harald Vogelsang und der zweiten Geigerin Dorota Schaddach-Schinkel, die mit diesem Konzert ihre Abschiedsvorstellung bei den Symphonikern gibt. Er zeigt den Technik-Raum mit dem umfangreichen Team von Studio Hamburg und steigt mit Viviane Hagner die Treppe zum oberen Foyer hinauf. Wie rührend, die vertrauten Orte wiederzusehen, man spürt förmlich den Teppich unter den Füßen.
Rund 9000 Zuschauer waren online dabei
Keine Aufführung von Beethovens Siebter kommt ohne die Beschwörung von Richard Wagners Satz aus, das Werk sei eine Apotheose des Tanzes. Freilich, der erste Satz mit seinem wiegenden Dreierrhythmus legt das nah. Vor allem aber fliegt diese Sinfonie vor Freude. Es dauert ein bisschen, aber dann hebt das Stück wirklich ab. Ein unbeschwerter Beethoven, was für ein schönes Schlusswort zu diesem Morgen.
Ungefähr 9000 Zuschauer waren über verschiedene Kanäle dabei, teilt das Orchester mit. Das ist ein Vielfaches dessen, was das Konzerthaus leibhaftig hätte fassen können. Wenn das kein Trost ist.
Das Konzert zum Nachschauen gibt es hier: symphonikerhamburg.de