Hamburg. Die neue Direktorin des Museums für Hamburgische Geschichte spricht im Interview über ihren Ansatz und den Wechsel aus Berlin.
Mit dem Antritt von Bettina Probst (55) ist die Direktorenriege der Stiftung Historische Museen Hamburg (SHMH) komplett in weiblicher Hand: Seit 1. November führt die Historikerin das Museum für Hamburgische Geschichte, das vor einer umfassenden Modernisierung steht. 36 Millionen Euro investieren Bund und Stadt in den Umbau und die Neugestaltung der Dauerausstellung im Haus am Holstenwall. Eine der Neuerungen: Es wird ein zweiter Eingang hin zu Planten un Blomen geschaffen. Genau dort beginnt auch das Interview – coronagerecht im Freien beim Spazierengang.
Von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nach Hamburg. War das ein großer Schritt für Sie? Mussten Sie lange überlegen, ob Sie diesen Wechsel wirklich wollen?
Bettina Probst:Für mich war es nicht so einfach, Berlin aufzugeben, weil das Projekt, das ich mit verantwortet habe, noch läuft. Der Umzug und die Neupräsentation der Museen im Humboldt-Forum stehen ja noch bevor. Einen Teil davon hätte ich gerne miterlebt. Aber als die Einladung aus Hamburg kam, habe ich nicht lange darüber nachdenken müssen.
Kennen Sie Hamburg, oder betreten Sie Neuland?
Hamburg ist mir ein bisschen vertraut. Eine Freundin, die ich aus Studienzeiten kenne, lebt hier. Insofern war ich regelmäßig einmal im Jahr in der Stadt. Als mein Lebensgefährte und ich hier Ende Oktober ankamen, wollten wir als Allererstes in den Jenischpark und uns dort die Kunstsammlung von Helmut und Loki Schmidt ansehen. Leider kam uns Corona dazwischen, das Ernst Barlach Haus war schon geschlossen. Aber natürlich haben wir uns dann das zur Stiftung gehörende Jenisch Haus angeguckt.
Was stand ganz oben auf Ihrer sicherlich langen Liste mit wichtigen ersten Dingen?
Ankommen, Kolleginnen und Kollegen kennenlernen, durch die Ausstellung gehen. Ich habe mich intensiv mit dem Stiftungsvorstand Hans-Jörg Czech und Ralf Wiechmann ausgetauscht, dem bisherigen kommissarischen Direktor am hiesigen Museum, der nun mein Stellvertreter ist. Was ich wirklich bemerkenswert finde, ist, dass in den Hamburger Museen so viele Direktorinnen arbeiten. Kein Vergleich zum Humboldt Forum! Dort sind überwiegend Männer am Ruder.
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Was hat Sie an der neuen Aufgabe gereizt?
Die Möglichkeit, noch einmal ein Haus in die Zukunft zu führen. Das Museum ist dringend modernisierungsbedürftig. Es ist nicht barrierefrei, die Texte hängen meist viel zu hoch und sind zu klein gedruckt. Ich will die Präsentation verschlanken, leichter machen, Botschaften und Zusammenhänge klarer vermitteln, viel mehr mit digitalen Medien arbeiten. Im ersten Obergeschoss wollen wir in einem Rundgang vom 8. Jahrhundert bis heute erläutern, warum Hamburg hier als Stadt entstanden ist und was sie kennzeichnet. Im zweiten Obergeschoss soll es um Themen gehen, die die Stadtgesellschaft ausmachen und welche Menschen sie prägen, zum Beispiel Hamburg als Medienstadt oder Sportstadt.
Ein weniger klassisch-historischer Ansatz, sondern einer, der die Inhalte mehr ins Jetzt verfrachtet?
Es ist mir wichtig, eine Verknüpfung mit der Lebenswirklichkeit der Besucher herzustellen. Menschen, die hier leben, die hier ankommen, sollen sich im Museum wiederfinden, am Geschehen teilnehmen. Ich möchte auch die direkte Nachbarschaft ansprechen. Der Museumsbesuch sollte für viele selbstverständlich sein. Die Hamburger flanieren ja gerne. Ich habe selten eine Stadt erlebt, in der die Menschen – auch ohne Corona – einfach so spazieren gehen. Warum also nicht auch ins Museum, das hoffentlich bald auch über Planten un Blomen erreichbar sein wird?
Damit wollen Sie sicherlich andere, neue Zielgruppen erreichen und die Besucherzahlen maximieren. Das, woran die Museen heute hauptsächlich gemessen werden.
Ja, natürlich. Ein gutes Beispiel dafür, wie uns das gelingen kann, war die Ausstellung über den Tätowierer Christian Warlich. Ein richtiger Publikumsmagnet, der ganz andere Menschen ins Museum gelockt hat. In Zukunft wollen wir viel häufiger mit externen Experten und Wissenschaftlern zusammenarbeiten, um uns andere Perspektiven und Meinungen ins Haus zu holen.
Und als Quittung für solche niedrigschwelligen Ausstellungen und Veranstaltungen wurden die Museen von der Bundesregierung bei den Coronabeschränkungen unter „Freizeiteinrichtungen“ genannt. Haben Sie sich darüber ebenso erregt wie Kultursenator Carsten Brosda?
Museen sind in erster Linie Bildungseinrichtungen. Aber eine Ausstellung anzusehen sollte kein Pflichtbesuch sein, sondern durchaus unterhalten. Mit Anspruch. Eine gute Frage, ob ein Museumsbesuch eine Freizeitbeschäftigung ist. Es ist ein Hybrid. Es muss in den Sonderausstellungen immer Themen geben, die locker und flockiger daherkommen dürfen oder die interdisziplinär sind, mutiger. Das werde ich auch weiterhin so machen, man kann ruhig auch mal streitbar sein.
Mit Beginn der Pandemie in Deutschland im Frühjahr hat das Museum ein Corona-Archiv aufgebaut. Und auch vom G-20-Gipfel wird fleißig gesammelt ...
Es sind schon einige spannende Objekte zu uns gekommen, zum Beispiel ein Abstandshalter aus den Proben des Schauspielhauses. Der wird vielleicht später mal für eine ganze Generation als Erinnerungsanker fungieren, nach dem Motto: „Weißt du noch, damals?“. Es gibt bei uns ja auch einen Ausstellungsteil über die Cholera in Hamburg, da ließe sich anknüpfen an die Pandemie heute. Zum Beispiel würde ich gern Mediziner vom UKE zu ihrer Sicht auf die Dinge befragen. Entlang G20 lässt sich das Thema Protest anschaulich machen: auf der einen Seite unseren berühmten Störtebeker-Schädel, auf der anderen Seite ein ausgebranntes Auto von der Elbchaussee – das könnte ich mir als Präsentation sehr reizvoll vorstellen, am besten ergänzt durch einen Multimedia-Guide. Auch die Themen Piraterie und die Entwicklung von Hafenstädten kann ich mir gut vorstellen.
Was wird wichtig für Museen sein, um in Zukunft attraktiv und relevant zu bleiben?
Museen sollten sich immer wieder neu erfinden. Wie Madonna (lacht). Man muss sich weiterentwickeln, auf Strömungen eingehen, sie selbst erzeugen. In den 1970er-Jahren war das große Thema die Bildungsvermittlung, heute sind es Digitalisierung und Multiperspektivität. Indem wir überlegen, welche Themen wir spielen, welche Formate wir entwickeln wollen, sind wir schon innovativ und kreativ. In Zukunft wird es entscheidend sein, das Profil zu schärfen, um unterscheidbar, erkennbar zu sein. Sich mal in neue Schale werfen, warum nicht?