Hamburg. Daniel Hoevels ist seit dieser Saison im Ensemble des Schauspielhauses. Am Sonnabend spielt er in „Geschichten aus dem Wiener Wald“.
Daniel Hoevels ist übermüdet. Die Proben sind lang. Die Tage anstrengend. Doch schon nach wenigen Sätzen wirkt er wieder extrem wach. Äußerlich hat sich der Schauspieler kaum verändert, seit er 2009 dem ehemaligen Thalia-Intendanten Ulrich Khuon nach fünf Jahren am Alstertor ans Deutsche Theater Berlin folgte. Das jungenhafte Romeo-Aussehen hat er sich, lässig in Sneakern und mit Discounter-Beutel über der Schulter, bewahrt. Ebenso wie eine Frische im Spiel. Die gilt es nun in Hamburg erneut auf der Bühne zu entdecken. Diesmal am Schauspielhaus, dessen Ensemble er seit dieser Saison angehört.
Nach seinem Einstand in Karin Beiers Rainald Goetz-Uraufführung „Reich des Todes“ ist er am Sonnabend in der Livestream-Premiere von Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ in der Regie von Heike M. Goetze zu erleben. Es ist zunächst „nur“ eine Geistervorstellung – die reale soll irgendwann folgen –, aber immerhin. Es ist Theater. In einem bleiernen Lockdown-November ohne Live-Kunst.
Daniel Hoevels – das Neue reizt ihn
Die Rückkehr nach Hamburg fühle sich für ihn rundum gut an, sagt Daniel Hoevels. Schnell denkt und drechselt er seine Sätze, spricht sie mit großer Klarheit aus. Zwei Inszenierungen sind pro Saison verabredet. Das entspricht seiner Suche nach mehr Freiraum auch bei der Rollenwahl. „Ans Thalia Theater wäre ich nicht wieder zurückgegangen. Das hätte sich angefühlt, wie im eigenen Museum herumzulaufen“, sagt Hoevels. Nostalgie, Wehmut ist seine Sache nicht. Das Neue reizt ihn. Der Wechsel. Die raue Bahnhofsgegend, die sich anders anfühlt als das eher bürgerliche Haus nahe der Einkaufsmeile.
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Zwischen Hamburg und Berlin, wo er Familie und Lebensmittelpunkt hat, pendelt Hoevels, Jahrgang 1978, schon länger. Seit Jahren unterrichtet er Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Von ihm können Studierende einiges lernen. Sich willig in ein Regie-Konzept zu fügen und dabei gut auszusehen war ihm immer schon zu wenig. Aus den Thalia-Jahren sieht er Nicolas Stemanns Version von Schillers „Die Räuber“, in der er einen der vier chorisch auftretenden Moor-Brüder gab, bis heute als Meilenstein an. Andreas Kriegenburgs „Romeo und Julia“, das extrem erfolgreich im Thalia in der Gaußstraße lief, weniger. „Das ist oft eine verklärte Sicht auf junge Liebe von älteren Regisseuren und meist ein Missverständnis“, findet er. Nein, Klassikerrollen, die schnellen Theater-Ruhm versprechen, sind für ihn noch lange keine Traumfiguren.
Hoevels in Karin Beiers "Reich des Todes"
In Berlin hat er sich vor allem mit dem Regie-Duo Tom Kühnel und Jürgen Kuttner auf Projekte mit unbekannten Texten, er selbst nennt es „Ausgrabungen“, eingelassen. „Mir geht es nicht um Rollen. Eher um ästhetische Welten oder Energien auf der Bühne“, betont Hoevels. „Ich will keinen Kanon spielen, als junger Mann ‚Hamlet‘ und später ‚Lear‘. Ich mag Abende mit spezifischem Angang.“
Ein solcher ist in seinen Augen auch Karin Beiers „Reich des Todes“, in der Hoevels mit ausladenden Gesten, sehr expressiv und zugleich ziemlich unsympathisch den früheren Justizsenator Ronald Schill gibt. Der Schauspieler ist Goetz-Fan. „.Ich fand aufregend, wie er die USA mit historischen Ereignissen in Deutschland bizarr verquickt hat“, sagt er.
"Ich habe Kunst immer als Niedergangsgeschichte begriffen"
Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ zählt zwar auch zum Kanon, aber die Inszenierung will mit vielen Vorgaben brechen. „Wir lösen das aus den Milieus und dem historischen Kontext total heraus. Der Hallodri, das süße arme Madl, der herzlose Fleischermeister sollen nicht als Schablone zur Verfügung stehen“, erklärt Daniel Hoevels. Er selbst spielt Alfred, den „Strizzi“, einen halbseidenen Typen, der die arme Marianne schwängert, dabei soll sie doch den Fleischer heiraten. Die Figuren agieren brutal in einer Welt voller Entbehrungen.
Das Stück, eigentlich zwischen den Weltkriegen angesiedelt, beschreibt für Hoevels so oder so eine Endzeit. „Alfred ist noch die modernste Figur. Der macht ja eigentlich gar nichts, und ihn selbst macht auch nichts aus“, sagt er. Wieder kein Sympath. „Ich ziehe das so ein bisschen an. Ich bin eher der negative Typ“, gibt Hoevels zu und lacht dabei ganz offen. „Aber ich habe Kunst immer als Niedergangsgeschichte begriffen. Da kommt für mich auch die Energie her.“
Hoevels teilt gerne mit vielen Kollegen die Bühne
Die Suche nach dieser extremen Bühnenerfahrung ist es, die ihn weiter antreibt. Auch ein Grund, warum er nie eine Karriere im Filmgeschäft verfolgt hat. „Diese Spielweise, bei der man fast in die Nähe von Ausdruckslosigkeit gebeten ist, liegt mir nicht.“ Nach der Premiere wird er selbst inszenieren in Österreich, wenn die Pandemie nicht wieder dazwischenkommt. „Regie interessiert mich insofern, als ich gerne aus einer Überblicksperspektive auf die Stücke schaue. Reflexion und Darstellung stehen da manchmal im Widerspruch.“
Corona in Hamburg, Deutschland und weltweit – die interaktive Karte
Hoevels ist jemand, der gerne mit vielen Kollegen die Bühne teilt – den der Theaterbetrieb aber auch manchmal nervt. „Ich bin überhaupt nicht anschlussfähig an viele Regisseure“, sagt er. „Es steht ja immer die Aufforderung im Raum, neutral, fit und bereit zu sein, alles abzudecken. Das bin ich bestimmt auch. Aber ich finde es wichtig, dass man spezifisch ist in seinem Interesse und seinem Können.“
Das derzeit geschlossene Schauspielhaus schmerzt unendlich
Der pandemiebedingte Infektionsschutz im Schauspielhaus lässt ihn nicht nur rauschende Kantinen-Nächte früherer Intendanten vermissen. Er verhindere auch eine „Ansteckung von Atmosphäre“. Und das derzeit geschlossene Schauspielhaus schmerzt unendlich. „Es ist fatal, denn das Theater ist ein Ort, wo man eine künstlerische Gegenerzählung gemeinsam mit anderen erfährt“, meint Hoevels. „Wenn da etwa die griechische Mythologie nicht mehr stattfindet, übernehmen Verschwörer wie QAnon. Nur viel schlechter geschrieben.“ Eine Livestream-Premiere kann diesen Schmerz nicht nehmen, aber zumindest ein wenig lindern.
„Geschichten aus dem Wiener Wald“ Livestream-Premiere Sa 7.11., 19.30, nur nach Anmeldung, Infos über geplante weitere Geistervorstellungen demnächst im Internet unter www.schauspielhaus.de