Hamburg. Für Intendantin Karin Beier ist die erste live gestreamte Vorstellung ein Experiment. Großer Andrang auf die Karten.

Zumindest an einer Position bleibt der Spielplan, wie er ist: Die Schauspielhaus-Premiere von Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ an diesem Sonnabend findet statt, auf der großen Bühne. Nur wird das Publikum nicht wie sonst im Theatersaal sitzen, Parkett und Ränge bleiben leer. Die Inszenierung von Heike M. Goetze wird eine Geistervorstellung: live gespielt und gestreamt für 1000 angemeldete Zuschauer (so viele, wie es Plätze gibt). Der Andrang war größer. Das ist auch für die Intendantin Karin Beier ein Experiment.

Sie sind eigentlich kein Fan von Streaming-Vorstellungen auf dem Bildschirm. Was war der Grund, dass Sie sich – anders als beim letzten Lockdown – nun doch dafür entschieden haben?

Karin Beier: Sie haben schon recht, grundsätzlich bin ich keine Freundin davon. Das Wichtigste am Theater ist doch auch das kollektive Erleben. Wir haben die Sehnsucht, dieses auch in der Tiefe zu erleben, nicht nur bei sportlichen Events wie zum Beispiel beim Fußball-Public-Viewing. In einer Zeit, in der uns das gerade entzogen wird, versuchen wir natürlich, etwas von dem zu bewahren, was Theater unbedingt auch ausmacht: den Live-Moment. Wir wollen wirklich Geistervorstellungen spielen, live vor leerem Zuschauerraum, also eigentlich wie beim Fußball. Das Signal „Wir spielen weiter“ ist wahnsinnig wichtig und hat ja auch etwas Tröstliches. Das wird man nun zwar nicht gemeinsam wahrnehmen, sondern alleine im Wohnzimmer, aber trotzdem mit allem, was an Unberechenbarem möglich ist. Man kann ja nicht vor- oder zurückspulen, es findet im Moment statt.

Musste die Inszenierung für das Streaming bearbeitet werden?

Karin Beier: Der Abend ist nicht auf ein Streaming hin konzipiert. Die Regisseurin Heike Goetze kann sich nicht auch noch Kameraeinstellungen überlegen, sie hat auch während der letzten Probentage auf das Live-Geschehen geblickt – und nicht auf einen Monitor.

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Wer übernimmt das für sie?

Karin Beier: Unsere Videoabteilung! Die Kolleginnen und Kollegen sind ja bei den Proben dabei. Sie sind mit drei oder vier Kameras unterwegs und haben auch einen eigenen künstlerischen Instinkt. In der letzten Kurve werden sie das natürlich mit der Regisseurin besprechen.

Wird es weitere Geistervorstellungen geben?

Karin Beier: Möglicherweise! Aber eine Premiere live zu streamen ist natürlich etwas ganz Besonderes. Wir gehen auch ein gewisses Risiko ein, zum Beispiel technische Probleme zu bekommen, aber ich bin sehr froh darüber, dass wir es zumindest versuchen!

Wie hat das Ensemble auf die Idee reagiert?

Karin Beier: Der Wunsch zu spielen ist unheimlich groß. Täglich kriegen wir das natürlich nicht hin – auch weil wir in dieser Lockdown-Situation weiterhin verstärkt mit der Kurzarbeit umgehen müssen. Es wird sicherlich reizvoll sein, das über eine gewisse Zeit zu machen. Es wird eine neue Erfahrung für uns und die Schauspieler und Schauspielerinnen sein, so einen Abend konsequent vor leerem Raum zu spielen. Das Produktionsteam war anfangs zögerlich, weil der Abend natürlich eigentlich anders entwickelt wurde, aber dass sich nun alle darauf eingelassen haben, finde ich schon ziemlich gut. Wir denken auch darüber nach, weitere Inszenierungen zur Verfügung stellen, vielleicht „Ivanov“? Ich finde es auch ein bisschen aufregend, eine Kamera mit auf die Bühne zu schicken, so dass man auch mal etwas aus einem anderen Blickwinkel sieht. Das macht doch Spaß! Es fühlt sich auch im Theater ganz anders an, wenn man sagt: „Heute Abend findet eine Vorstellung statt“. Als wenn man nur probt, um die Produktionen „auf Eis“ zu legen.

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  • Warum ist die Streaming-Premiere eigentlich kostenlos?

    Karin Beier: Zunächst einmal wegen der Kurzfristigkeit der Idee. Ob es bei weiteren Streamings kostenlos bleibt, werden wir sehen.

    Wird es, beispielsweise via Twitter oder Instagram, ein moderiertes, gemeinsames Gucken geben? So dass die Zuschauer womöglich live kommentieren könnten, was sie sehen?

    Karin Beier: Nein. Das macht man ja auch während einer Vorstellung nicht. Ich weiß nicht, ob das schön wäre, wenn es währenddessen Reaktionen gäbe. Wir sind jetzt erst einmal glücklich, wenn wir das hinkriegen, ich meine: ohne große technische Pannen. Auch die Kritiker sitzen schön bei sich zu Hause. Und können ein Glas Wein zur Vorstellung trinken, was sie sonst bei uns nicht dürften. (lacht) Oder eine Flasche Wein!

    Wo gucken Sie persönlich denn? Im Theater?

    Karin Beier: Ja, im Theater. Aber vielleicht nicht im Saal. Wahrscheinlich setze ich mich mit der Regisseurin heike Goetze in meinem Büro vor den Computer und gucke die Premiere so, wie sie auch die Zuschauer erleben.