Hamburg. „Pathétique“, „Mondschein“ und „Appassionata“ in der Elbphilharmonie. Buchbinder absolvierte ein konzentriertes Programm.
Drei berühmte Beethoven-Klaviersonaten ohne Pause hintereinander, und das zweimal am selben Abend, solcher Art sind die Parforceritte, die die Umstände Bühnenkünstlern in diesen Zeiten abverlangen. Im Großen Saal der Elbphilharmonie ist in der ProArte-Reihe „Meisterpianisten Extra“ (kann man „Meister“ noch steigern? und wohin?) Rudolf Buchbinder angetreten, der stille Beständige seiner Fraktion. „Er ist doch immer schon da gewesen“, sagt eine Hörerin treffend.
„Pathétique“, „Mondschein“, „Appassionata“: Jede von ihnen steht für eine eigene Welt im Universum der beethovenschen Sonaten. Die Unterschiede werden sich im Lauf des frühen Abends noch zeigen.
Manches in den Presto-Läufen klingt vernuschelt
Der erste Akkord der „Pathétique“ lässt aufhorchen. Buchbinder teilt ihn so deutlich zwischen Bass und Oberstimmen, dass eine interessante Spannung entsteht. Dann allerdings geht es zunächst recht routiniert weiter. Der Pianist phrasiert natürlich, ohne Mätzchen. Theater ist nicht so seins offenbar.
Zu Beethoven scheint Buchbinder nicht wie das 19. Jahrhundert als zu einem Halbgott aufzuschauen. Er nähert sich ihm spürbar mit Respekt, aber nicht mit einer Werkfaszination, einer Ergriffenheit, die sich auf das Publikum übertrügen. Ein bisschen mehr Drama und Rhetorik dürfte es schon sein. Manches in den vielen Presto-Läufen klingt auch vernuschelt.
Buchbinder hat schon recht: Es ist nicht falsch, aus Beethovens Musik einfach Beethoven sprechen zu lassen, sie wirkt natürlich auch aus sich heraus. Aber als im Lauf der „Pathétique“ andere Farben hinzutreten und sich das Tempo hin und wieder etwas entspannt, da bekommt die Musik einfach eine andere Lebendigkeit.
Harmonische Abwege
Die „Mondschein“-Sonate gehört um ihres Beinamens und um des melancholisch versunkenen ersten Satzes willen zu den Allzeit-Schlagern der Rubrik „Die schönsten Melodien der Klassik“. Dafür kann sie aber nichts, und Buchbinders Spiel ist Meilen entfernt von jeder Kitschgefahr. Ganz diskret bleiben die Tempostauungen, mit denen der Künstler im ersten Satz die Begleittriolen bisweilen aufspannt. In sich gekehrt und beinahe kindlich klingt das Allegretto, über dem Finale, Presto agitato, hängen ein paar Klangwolken zu viel.
Nur vier Jahre liegen zwischen der „Mondscheinsonate“ und der „Appassionata“, doch mit ihr scheinen wir in der Romantik angekommen zu sein. Für einen Moment klingt der Steinway so samtig verhangen, als wäre er ein dackelbeiniger Blüthner. Weit zieht Buchbinder die Linien und spürt den harmonischen Abwegen nach. Nach dem ganzen Tremolo des ersten Satzes nimmt er die Hände auf die Knie, wo die Finger allmählich zur Ruhe kommen, und lässt den Schlussakkord ausschwingen.
Die Betonungsverschiebungen klingen wie reiner Jazz
Der Pianist ist jetzt spürbar auf Betriebstemperatur. Der langsame Satz, wie so oft bei Beethoven in Variationen, steckt voller berückender Charaktere: Die Betonungsverschiebungen klingen wie reiner Jazz, und ausgerechnet aus der glöckchenhellen Variation ohne Bass spricht eine Verzweiflung, die gerade mit ihrer Gefasstheit erschüttert. Und den komponierten Wutausbruch des letzten Satzes macht Buchbinder zum hochvirtuosen Schluss- und Höhepunkt dieses konzentrierten Programms.
Begeisterter Beifall, ein Satz aus Beethovens „Sturm“-Sonate als Edelzugabe, Ende der ersten Runde. Auf Buchbinder wartet noch eine zweite.