Hamburg. Julia Effertz ist „Intim-Koordinatorin“. Sie sorgt an Filmsets dafür, dass jeder auch will, was er oder sie da tut.

Es gibt Szenen im Film, da passt zwischen zwei Menschen kein Blatt Papier mehr – höchstens noch ein dünner Film aus Wasser und Salz. Solche körpernahen Momente können heikel sein, im richtigen Leben wie im Kino und beim Fernsehen. Damit es dabei nicht zu Missverständnissen kommt, gibt es den in Deutschland noch relativ unbekannten Beruf der Intim-Koordinatoren. Eine von ihnen ist Julia Effertz, gelernte Schauspielerin und Literaturwissenschaftlerin – und die erste Frau in Deutschland, die in diesem Beruf arbeitet. In einem Vortrag beim Filmfest Hamburg über „Intimität vor der Kamera“ stellte Effertz sich und ihre Arbeit vor.

Mit Harvey Weinstein hat das durchaus zu tun: Der amerikanische Filmproduzent, der wegen seiner jahrelangen sexuellen Übergriffigkeit mittlerweile in Haft sitzt, war 2017 Auslöser der #MeToo-Bewegung, in der sich belästigte und missbrauchte Frauen zu Wort meldeten. In der Folge entstand, insbesondere im US-amerikanischen und angelsächsischen Bereich, das neue Berufsbild der Intim-Koordinatoren.

Psychische Verletzungen vermeiden

Auch Julia Effertz plädiert dafür, dass Koordinatoren in intimen Situationen beratend herangezogen werden, wie das bei Kampf- oder Tanzszenen längst selbstverständlich ist. Es gehe darum, Verletzungen zu vermeiden – und zwar nicht nur die der körperlichen Art. Intimkoordinatoren seien Vermittler zwischen Produktion, Regie und Schauspielern. Sie können „Nacktklauseln“ aushandeln, ein Vetorecht für die Schauspieler einführen und darauf drängen, dass alle Absprachen schriftlich festgehalten werden. Dabei geht es nicht allein um Sexszenen, sondern auch um so intime Vorgänge wie Küsse, Geburten und Umarmungen.

Julia Effertz sprach im Cinemaxx über ihre Arbeit.
Julia Effertz sprach im Cinemaxx über ihre Arbeit. © Marcelo Hernandez

„Intime Szenen sind gefährlich“, glaubt Effertz. Es gehe um Macht und um das Verhältnis von Einwilligung und Zwang. Man müsse sicherstellen, dass man in diesen Szenen Menschen nicht an Stellen berührt, an denen sie verletzt werden können. Man dürfe nicht vergessen, dass 60 Prozent der Frauen irgendwann in ihrem Leben sexuellen Belästigungen ausgesetzt sind. Schauspieler jedoch könnten während der Arbeit in prekäre Situationen geraten und sich fragen: Darf ich jetzt wirklich „Nein“ sagen?

Arbeit in der Vorproduktion ist die halbe Miete

„Es ist ein Mythos der Kunst, dass Grenzenlosigkeit belohnt wird“, sagt Effertz. Die Arbeit in der Vorproduktion sei die halbe Miete, da könne man in Vorgesprächen mit den Schauspielern den Konsens absichern. Damit stemmt man sich letztlich auch gegen die Klischees „Jeder weiß, wie Sex funktioniert“ und „Jeder Schauspieler geht über seine Grenzen“. Als ein besonders negatives Beispiel erinnert sie an eine berüchtigte Szene aus „Der letzte Tango in Paris“.

Regisseur Bernardo Bertolucci und Hauptdarsteller Marlon Brando hatten abgesprochen, Hauptdarstellerin Maria Schneider in einer Szene zu „überraschen“, in der es um eine anale Vergewaltigung geht. Bertolucci gab später ein fragwürdiges Menschenbild zu Protokoll: „Maria sollte Wut und Erniedrigung fühlen und sie nicht spielen.“ Filmmogul Harvey Weinstein bestand im Film „Frida“ gegen den Willen seiner Hauptdarstellerin Salma Hayek auf einer lesbischen Liebesszene.

Szene darf nicht wichtiger sein als das Wohlergehen der Schauspieler

Effertz warnt nun vor solchen Überrumpelungen und vor Sprachlosigkeit. „Eine verletzte Seele sieht man nicht. Eine Szene darf nicht wichtiger sein als das Wohlergehen der Schauspieler.“ Sie hofft, dass die Intimitäts-Koordination ein Standard wird, wie es beispielsweise die Koordination in Kampf- oder Stuntszenen längst ist. Für sie ist das auch eine Generationenfrage. Früher habe man den Schauspielern an den entsprechenden Drehtagen schon mal gesagt: „Lasst euch etwas einfallen!“ Das hält sie für überholt. „Keiner wusste damals, wie man darüber redet. Wir müssen aber die Dinge beim Namen nennen und verwenden deshalb auch neutrale Bezeichnungen für Körperteile, benutzen keine Umgangssprache.“

Kim Basinger in „9 ½ Wochen“, „Hochglanzerotik“ hieß es.
Kim Basinger in „9 ½ Wochen“, „Hochglanzerotik“ hieß es. © picture alliance

Niemals, so die Koordinatorin, komme es am Set zum echten Geschlechtsverkehr, auch wenn bei einigen expliziten Filmen das Gegenteil vermutet wird. Meistens diene das nur dazu, den Film interessanter zu machen. Eine gute Choreografie sei die halbe Miete, damit keine Dinge passieren, die nicht passieren sollen. Dabei sollte stets eine dritte Person anwesend sein. „Die Schauspieler sollten vorher vereinbaren, wo sie sich anfassen lassen wollen – und wo nicht.“ Außerdem gibt es Hilfsmittel wie Aufklebe-Slips für Frauen und Suspensorien für Männer als „Sicherung“.

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Aufmerksame Zuhörerin der Veranstaltung war übrigens Eva Hubert. Die ehemalige Chefin der Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein arbeitet mittlerweile bei Themis, der Vertrauens-stelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt für Mitarbeiter in der Film-, Fernseh- oder Theaterbranche. In den vergangenen beiden Jahren, erzählte sie, hätten sich mehr als 500 Frauen und Männer an die Beratungsstelle gewandt, weil sie Hilfe benötigten. Nicht nur die Position der Intim-Koordinatorin scheint überfällig.