Hamburg. Mišel Matičević spielt die Hauptrolle im Kinofilm „Exil“. Erfahrungen mit Rassismus hat er auch im eigenen Leben gemacht.
Mišel Matičević zählt zu den wenigen deutschen Schauspielern, die sehr physisch spielen. In seinem neuen Film „Exil“, der gerade angelaufen ist, ist er dagegen einmal ganz zurückgenommen zu erleben. In Visar Morinos Film spielt er einen Gastarbeiter, der sich wegen seiner südosteuropäischen Herkunft überall gemobbt sieht.
Hamburger Abendblatt: Herr Matičević, Sie sind eigentlich ein sehr körperlicher Schauspieler. In „Exil“ spielen Sie dagegen einmal ganz zurückgenommen. War das der besondere Reiz für Sie?
Mišel Matičević: Es ist komisch, viele schießen sich darauf ein. Und sehen nicht, wie viele verschiedene Charaktere ich spiele. Meine „unphysischste“ Rolle hatte ich – und das ist schon 15 Jahre her – in „Das Gelübde“ von Dominik Graf. Ich habe Brentano gespielt, habe dafür extra 20 Kilo abgenommen. Da war gar kein Körper. Ich wollte den auch ganz vergeistigt spielen.
Ich habe das nicht negativ gemeint. Es gibt ja nicht viele Schauspieler im deutschen Kino, die physisch spielen können.
Da muss ich widersprechen. Mir fallen da einige ein. Ronald Zehrfeld etwa oder Albrecht Schuch. Da gibt’s echt nicht nur mich. Aber ich nehm’s mal als Kompliment.
In „Exil“ spielen Sie einen Mann, der sich ständig wegen seines Migrationshintergrundes gemobbt fühlt. Regisseur und Drehbuchautor Visar Morina hat damit eigene Erfahrungen verarbeitet. Aber ist da auch etwas von Ihrer Persona eingeflossen? Wie oft ist es Ihnen wie Ihrer Filmfigur ergangen, dass Leute Ihren Namen falsch aussprechen?
Dass der Name nicht richtig ausgesprochen wird, passiert heute noch. Und das ärgert mich auch. Er ist nicht ganz einfach, das verstehe ich. Aber man kann ja auch fragen, wie man das ausspricht. Im Deutschen gibt es über dem O oder dem U Pünktchen, das macht was mit den Buchstaben. Und im Kroatischen ist über dem S und C ein Haken, das macht auch was. Darüber könnte man zumindest nachdenken (der Name wird Mischell Matitschewitsch ausgesprochen, d. Red.).
Haben Sie anfangs oft Rollenangebote mit Migrationshintergrund erhalten? Landet man da automatisch in einer Schublade?
Ich habe das Glück, dass ich nicht schwarzhaarig bin. Aber doch: Es ging öfter in Richtung Balkan/Ostblock, aber bei Weitem nicht so häufig und so vehement, wie das meine türkischen Kollegen erleben.
Wie war das in der Berliner Gropiusstadt, wo Sie aufgewachsen sind? Hat man Sie da anders behandelt?
Als ich 16 war, hat meine Mutter klugerweise die deutsche Staatsbürgerschaft für mich beantragt, sodass ich nicht nach Jugoslawien zur Armee musste. Wer da als gebürtiger Jugoslawe mit 18 in Urlaub gefahren ist, den hat man sofort dabehalten und für zwei Jahre eingezogen. Als ich dann in dem Alter war, ist dort gerade der Krieg ausgebrochen, ich wäre da voll reingerutscht. Das hat es uns auch leichter gemacht, weil wir dann nicht mehr jedes Jahr zur Ausländerpolizei und zum Konsulat mussten. Aber klar, als Kind habe ich das oft erfahren. Lehrer haben mir oft gesagt, ich sei hier nur Gast und solle mich gefälligst benehmen. Ich habe auch mitbekommen, wie meine Eltern als dreckige Ausländer beschimpft wurden. Aber ich möchte darüber eigentlich nicht mehr reden.
Wieso nicht?
Ich verstehe, dass die Fragen wegen des Films jetzt wieder hochkommen. Aber ich habe die schon so oft beantwortet. Ich finde, das hört sich auch alles larmoyant an, was ich gar nicht sein will. Ich habe das für mich abgehakt. Ich wollte das nicht auf mir sitzen lassen und bin deshalb ein trotziges Kind geworden. Ich musste deshalb jetzt auch nichts abrufen und auf meine Figur übertragen. Das ist ein Teil von mir, aber hier geht es um die Rolle. Da will ich nicht stattfinden. Was immer ich spiele, ich will das immer neu erfinden. Manchmal klappt‘s. Aber ich selbst will mich raushalten. Ich wäre sonst langweilig in Rollen.
Wollten Sie dann womöglich die Rolle erst gar nicht spielen, weil Sie schon kommen sahen, dass wieder dieselben Fragen kommen?
Solche Gedanken mache ich mir gar nicht. Ich lese einfach ein Drehbuch, und entweder es packt mich, oder es langweilt mich. Ich verlasse mich da total auf meinen Instinkt. Wenn der Spieltrieb, das Kind in mir losgeht, dann muss ich das machen. Sonst wäre das verschwendete Zeit, für mich und alle anderen. Dieses Buch hat mich aber sofort gepackt. Weil man lange nicht weiß, wie real das ist. Wird Xhafer wirklich gemobbt, oder ist das nur Einbildung, weil er schon gar nichts anderes erwartet?
Immer wieder gibt es rassistische Anschläge, immer wieder brandet die Diskussion auf, wie fremdenfeindlich Deutschland ist. Nach George Floyd hat das noch mal ganz andere Dimensionen angenommen. Wie sehen Sie das? Haben die Deutschen ein Problem?
Ich weiß, vielen wird nicht passen, was ich jetzt sage, aber ich bin müde von diesen ganzen Diskussionen. Ich verstehe nicht, dass weiße, dumme Rassisten immer noch so drauf sind. Meine Mutter hat mich so erzogen, dass ich Respekt vor jedem habe, egal wo der/die/das andere herkommt und welche Hautfarbe oder Religion der-/die-/dasjenige hat. Deshalb ermüden mich diese Diskussionen. Dadurch entsteht so ein Aktionismus, womit man diesen Idioten viel zu viel Raum gibt. Wir haben doch wirklich andere Probleme in der Welt.
Sind Filme wie „Exil“ dann zumindest dafür gut, dass man über sein Verhalten anderen gegenüber noch einmal genauer nachdenkt?
Schön wär’s schon. Es bringt die Menschen sicher zum Nachdenken. Aber verändern? Das bezweifle ich doch. Ein Angriff von Außerirdischen, das würde uns vielleicht zusammenschweißen. Aber selbst diese Erfahrung, die wir alle weltweit mit Corona machen mussten, hat uns nur wenige Tage zusammengehalten.
Sie haben mit Dominik Graf schon früh Serien wie „Blackout“ und Im Angesicht des Verbrechens“ gedreht. Lange bevor hier der große Serienboom losging. Ist Serie das neue Kino? Und ist das klassische Kino am Ende – gerade jetzt, beschleunigt durch Corona, wo alle nur noch Netflix schauen?
Das kann ich nicht glauben. Kino hat immer noch diese Faszination und Magie, wenn viele Menschen in einem Saal dasselbe auf der Leinwand verfolgen. Da kann ein Bildschirm noch so groß sein, das wird er nie erreichen. Serie ist toll, wir sind alle beschäftigt, es gibt neue, innovative Erzählformate. Aber das Kino wird nie aussterben. Es hat Video überlebt. Es lässt sich auch dadurch nicht unterkriegen.
Viele Schauspieler sagen: Ich mache Serien fürs Bankkonto und Kino für den Ruf.
Ach, das ist doch Bullshit. Das ist fast so arrogant wie in den Neunzigern, als viele – ich nenne jetzt keine Namen – meinten, sie machen nur Kino, kein Fernsehen. Oder diese Theaterschauspieler, die sich zu fein für Kino oder Fernsehen waren. Das ist unfassbar dumm. Aber dieses Schubladendenken ist leider typisch deutsch. Das findest du in anderen Kulturkreisen nie.
Sie waren in den 90er-Jahren auch am Berliner Ensemble und am Deutschen Theater zu erleben. Warum spielen Sie nicht mehr Theater?
Das hat sich so ergeben. 1999 hatte ich meine erste Kinohauptrolle. Schnell ging dann nur noch eins, da habe ich mich eben für Film entschieden. Es kommen aber immer wieder Anfragen. Wenn das eine tolle Herausforderung wäre und alles passen würde, würde ich sofort zusagen, schon wegen des Premierentags. Der ist eine unfassbare nervliche Anspannung. Ich habe mir wirklich vor jeder Premiere in die Hose gemacht, ich bin da immer fast gestorben. Dann gehst du raus, und alles läuft plötzlich. Nur für diesen Moment würde ich das wieder machen: Den Rest könnte man ja einlesen (lacht). Ich beneide Kollegen, die beides hinkriegen. Aber das sind auch die wirklichen Stars.
Sich selbst würden Sie nicht als Star bezeichnen?
Sandra Hüller ist ein Star. Oder Jens Harzer. Weil sie mühelos zwischen diesen Kunstformen wechseln können.
Mit Sandra Hülle spielen Sie in „Exil“, mit Harzer in „Babylon Berlin“. Ist man eigentlich stolz, in solch einer Prestigeserie mitzuwirken, die sich auch im Ausland verkauft?
Geil ist es schon. Aber stolz? Mit Stolz tu ich mich schwer. Ich habe mich damals bei „Im Angesicht“ gefreut, mit Dominik zu drehen, und jetzt bei „Babylon Berlin“ mit diesen drei „Verrückten“, Tom, Henk und Achim. Stolz können nur Volker Bruch und Liv Lisa Fries sein. Die tragen die Serie. Ich freu mich aber, ein Teil davon zu sein.