Hamburg. Regisseurin Katrin Gebbe über ihren neuen Film „Pelikanblut“, Dreharbeiten in Bulgarien und Zukunftspläne.

Vor einem Jahr war auch in Sachen Kino noch vieles ganz anders. Das Filmfest Hamburg etwa konnte in gut besuchten Kinos gefeiert werden. Die renommierteste Auszeichnung des Festivals, der Douglas Sirk Preis, ging dabei 2019 an Nina Hoss, die gleich in zwei Filmen zu sehen war: „Pelikanblut – Aus Liebe zu meiner Tochter“ und „Das Vorspiel“. Das dramatische „Pelikanblut“, den Regisseurin Katrin Gebbe inszenierte, erlebte seine Deutschland-Premiere damals im beinahe ausverkauften Saal 1 des Cinemaxx Dammtor – das klingt heute schon beinahe utopisch. Der Film sollte eigentlich im März in die Kinos kommen, aber dann warf Corona alles über den Haufen.

Die Regisseurin erzählt von Wiebke, (Nina Hoss) einer jungen Frau, die mit ihrer Adoptivtochter Nikolina (Adelia-Constance Giovanni Ocleppo) auf einem Reiterhof lebt und sich sehnlichst ein zweites Kind wünscht. Schließlich kann sie Raya (Katarina Lipovska), ein weiteres Mädchen, adoptieren. Doch Raya ist wild und aggressiv und treibt Wiebke an den Rand des Wahnsinns.

Thriller mit Horror-Elementen

Im Gespräch erinnert sich Katrin Gebbe, die an der Hamburg Media School (HMS) studiert hat, wie sie auf die Idee zu diesem ungewöhnlichen Film kam, der wie ein Thriller daherkommt, aber auch Horror-Elemente transportiert.

Als sie für ihr Regiedebüt „Tore tanzt“ recherchierte, mit dem sie anschließend zahlreiche Preise gewann, stellte sich ihr die Frage: Wo kommt das „Böse“ eigentlich her? „Wird man damit geboren, entsteht es als Folge von Erfahrungen, die man als Kind macht? Ist das ,heilbar‘? Ich habe dann den Dokumentarfilm ,Child Of Rage‘ gesehen; er erzählt von einem Mädchen, das so traumatisiert war, dass es wiederum andere traumatisiert hat. Sie war klein, niedlich und beschützenswert, doch gleichzeitig emotional kalt. Sie hatte Freude daran, ihre Quälereien zu schildern.“ Kurz darauf wurde das Kind von einer aufopferungsvollen Adoptivmutter aufgenommen, und diese wahre Geschichte hatte ein Happy End: „Später ist aus dem Mädchen dann eine Krankenschwester geworden. Mich hat das sehr berührt“, so Gebbe.

Regisseurin Katrin Gebbe.
Regisseurin Katrin Gebbe. © DCM | DCM

Ihre Hamburger Produzentin Verena Gräfe-Höft fand dann auch noch einen Artikel über einen besonders schwierigen russischen Jungen. „Da merkten wir: Das scheint es öfter zu geben. Die Frage für die von Nina Hoss gespielte Adoptivmutter lautet in unserem Film: Wie weit wird sie gehen, um dem Kind zu helfen?“

Die Zusammenarbeit mit einem kleinen Mädchen,d as kein Deutsch spricht

Der Film wurde komplett in Bulgarien gedreht. Das osteuropäische Land ist gar nicht mal so selten Schauplatz von großen Hollywood-Produktionen und besitzt daher gute Filmcrews. Das hat Gebbe überrascht. Aber wie arbeitet man als deutsche Regisseurin mit so einem kleinen Mädchen, dessen Sprache man nicht spricht? „Wir haben vorher ein sehr großes Kinder-Casting gemacht. Dabei fiel uns Katarina auf. Sie war putzig, superselbstbewusst und hatte eine große Spielfreude. Ihre Mutter Simona hatte ein eigenes Kindertheater und arbeitete als Kinder-Coach. Es hat viel Spaß gemacht und war trotzdem enorm kindgerecht. Wir sind nachmittags schwimmen gegangen und waren reiten.“

Manchmal haben haben sie Kati für ihren heftigen deutschen Text einfach eine harmlosere bulgarische Übersetzung gegeben. „Sie hatte also den Ausdruck von Wut in sich, aber mit einer völlig anderen Motivation. Dadurch konnten wir sie schützen. Wir haben sehr darauf geachtet, sie nicht zu überfordern.“

Voller Lob für Nina Hoss

Voll des Lobes ist Gebbe für die Leistung ihrer Hauptdarstellerin. „Nina hat sehr mitgeholfen und auch mal Faxen gemacht. Es war fantastisch, mit ihr zu arbeiten. Sie war angstfrei, offen und neugierig. Sie hat auch vertraut, hatte keine Allüren. Man kann mit ihr wahnsinnig weit gehen. Ihr ist es gelungen, eine vielschichtige Mutter jenseits von allen Klischees zu spielen.“

Die Publikumsreaktionen fielen bisher unterschiedlich aus. „Es gab Lob für unsere Experimentierfreude“, berichtet Gebbe. Andere Zuschauer waren wohl irritiert. Gebbe erinnert sich an eigene Film-Erfahrungen: „Als ich als Jugendliche zum ersten Mal ,A Clockwork Orange‘ von Stanley Kubrick gesehen habe, konnte ich damit nicht viel anfangen und war fasziniert zugleich. Ein Dozent von mir hat ihn später im Pädagogikunterricht minutiös analysiert. Da ist mir ein Licht aufgegangen, und ich habe den Film als Kunstform begriffen. Für mich ist das einer meiner Schlüsselfilme.“

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Katrin Gebbe hat einmal gesagt, sie wolle harte, ungewöhnliche Filme machen. Wie ist sie mit dieser Einstellung bei der „Tatort“-Folge „Fünf Minuten Himmel“ klargekommen, den sie vor vier Jahren inszeniert hat? „Das ist mir tatsächlich sehr schwergefallen. Ich fand es aber toll, so etwas mit Heike Makatsch machen zu können. Es war ein anderes Arbeiten. Das Team und ich wurden relativ spät dazugeholt. Der Krimi wendet sich an ein deutschsprachiges Publikum. Wenn ich selbst etwas schreibe, hoffe ich, dass mein Film über Ländergrenzen hinausgeht. Es würde mich freuen, wenn ich in Zukunft nicht immer alles nur selbst schreiben müsste. Aber es ist schwierig, Drehbücher zu finden, die genau die eigene Sprache sprechen“, sagt sie.

Mit Produzentin Verena Gräfe-Höft möchte Gebbe weiter zusammenarbeiten. Die beiden, die sich an der HMS kennengelernt haben, entwickeln gerade eine Mini-Serie, für die die Regisseurin die Drehbücher schreibt. Und sie hat ein weiteres Projekt in der Pipeline, über das sie aber noch den Mantel des Schweigens breitet und nur einen Zipfel rausschauen lässt: „Es ist etwas Größeres, über das ich aber im Moment leider noch nicht reden kann.“

„Pelikanblut – Aus Liebe zu meiner Tochter“ ab 24.9. in den Kinos