Hamburg. Erste Schriftsteller lesen im Juni im Literaturhaus. Auch das internationale Harbour Front Festival soll im Herbst stattfinden.

Ob nun tatsächlich, wie Literaturlobbyisten und Kulturnostalgiker zunächst nicht müde wurden zu raunen, die Stunde des Buches schlug? Nicht ganz, darf man nach mehr als zwei Monaten Lockdown sagen. Wer kam bei all dem Ausnahmezustandbohei schon ernsthaft zum Lesen? Man schaffte ja nicht einmal mehr Netflix.

Die Buchhandlungen hatten ja eh lange zu und haben jetzt schon länger wieder auf, allein, es kommen viel weniger Kunden. Von vereinzelt bis zu 80 Prozent Umsatzeinbußen ist die Rede. Und dann stellte der NDR beschämenderweise auch das „Bücherjournal“ ein, also die langgedienteste Literatursendung im deutschen Fernsehen.

Literaturhaus vor Wiedereröffnung, Planungen für Harbour Front laufen

Jetzt gibt es endlich gute Nachrichten: Das Literaturhaus macht wieder auf. Rainer Moritz und sein Team fahren die Hamburger Heimat für gepflegte Literatur nach der jetzt erfolgten Erlaubnis aus der Kulturbehörde wieder hoch. Los geht es im Juni. Das gilt auch für die Veranstaltungen des in den Räumen des Literaturhauses angesiedelten Literaturzentrums.

Und, auch das ist trotz aller Vorbehaltlichkeit mehr als erfreulich: Die Planungen für das am 9. September beginnende und bis zum 18. Oktober laufende Harbour Front Literaturfestival laufen auf Hochtouren. Geplant sind zwischen dem 9. und 15.9. auch etliche Veranstaltungen in der Elbphilharmonie.

Maximal 40 Besucherinnen und Besucher sind zugelassen

Der literarische Wiedereröffnungsabend am Schwanenwik wiederum ist am 3. Juni. Er ist in der Reihe „Dichter in Hamburg“ dem Schriftsteller Joachim Maas (1901-1972) vorbehalten. Nach den Vorgaben der Kulturbehörde sind für diese Veranstaltung wie für alle folgenden maximal 40 Besucherinnen und Besucher zugelassen.

Es gibt ein detailliertes Hygienekonzept, das vom Gesundheitsamt geprüft wird. „Das heißt, wir legen den Zollstock an, messen Abstände aus, skizzieren einen Saal- und Wegeplan und entwickeln ein neues Ticketsystem. So wollen ihr allen Anforderungen gerecht werden und den Besuchern zugleich vermitteln, dass das Literaturhaus verantwortungsbewusst mit dieser besonderen Situation umgeht“, sagt Literaturhausleiter Moritz. Auch die Veranstaltungen des Literaturzentrums  kann man nur nach vorheriger Anmeldung besuchen.

Harbour Front Festival: viel geringere Einnahmen wegen Corona-Regeln

Auch beim Harbour Front Festival wird es stellenweise weitaus kleinere Veranstaltungen geben, als die Saalgröße sonst hergibt. Man rechne damit, sagt Harbour-Front-Co-Chefin Petra Bamberger, dass die Säle aufgrund der Abstandsregeln nur zu einem Viertel ausgelastet werden dürften. Was gleichbedeutend wäre mit 75 Prozent weniger Einnahmen durch Ticketverkäufe. Es werde keinen regulären Kartenvorverkauf geben und stattdessen die Möglichkeit, Tickets kostenfrei zu reservieren. Bamberger: „Erst wenn feststeht, dass wir die jeweilige Veranstaltung tatsächlich durchführen können, müssen die Tickets bezahlt werden.“

Denn das ist die Grundvoraussetzung, unter der das Festival genauso plant wie alle anderen Veranstalter: Niemand weiß, wie es an der Corona-Front in ein paar Monaten aussieht und wie ausgeprägt das öffentliche Leben sein wird. Bei Harbour Front ist man optimistisch, musste aber schon vor der Corona-Krise eine einschneidende Veränderung hinnehmen: Der Hauptsponsor, die Kühne-Stiftung, hat die Unterstützung des Festivals deutlich reduziert, was eine Verkleinerung des Programms zur Folge hat. Es wird im Juni bekannt gegeben.

Ausländische Autoren beim Harbour Front eventuell per Livestream

Gefasst sei man, erklärt Bamberger, auf große Herausforderungen bei der Veranstaltungsdurchführung. Lesungen mit namhaften ausländischen Autorinnen und Autoren sind geplant. Könnten aber etwa ausländische Autoren Quarantäne-bedingt nicht anreisen, „werden wir möglicherweise Autorin oder Autor von zu Hause digital auf Leinwand zuschalten, während Moderator und deutscher Sprecher live im Saal anwesend sind“.

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Im besten Falle wird beim diesmal im übrigen von der Elbphilharmonie übernommenen Ticketing zügig nachgesteuert, sprich: Es werden mehr Tickets in den Verkauf gegeben als zunächst geplant. Auf der anderen Seite ist das Festival gegen Lesungsausfälle nicht versichert. Mit den Mitwirkenden sei vereinbart, dass bei Nichtstattfinden von Veranstaltungen keine gegenseitigen Ansprüche bestehen. „Ansonsten sind wir, wenn tatsächlich nur 25 Prozent der ursprünglich kalkulierten Ticketeinnahmen erzielt werden respektive das Festival gar ganz abgesagt werden muss, auf Unterstützung der öffentlichen Hand angewiesen“, sagt Bamberger unmissverständlich.

Literaturhaus: Mit der Soforthilfe "die ersten Klippen umschifft"

Die Veranstaltungsorte — sie sind bei Harbour Front oft charmant und auch mal kleiner — sind dieselben wie immer. Abgänge gibt es freilich bei den Kooperationspartnern zu verzeichnen. So wird Buchmessen-Ehrengast Kanada in diesem Herbst sein Gastland-Programm spürbar kürzen. „Was wir sehr bedauern, weil wir einige schöne Veranstaltungen geplant hatten“, sagt Bamberger. Die seit Beginn des Festivals vor zwölf Jahren bewährte Zusammenarbeit mit den Kulturinstituten Frankreichs und Spaniens werde überdies aus finanziellen Gründen eingeschränkt. 


Und wie sieht es finanziell beim Literaturhaus aus? Durch eine frühe unbürokratische Hilfe der Behörde für Kultur und Medien wurde ihm eine Sonderzuwendung zuteil. Sie half, so Rainer Moritz, „die ersten Klippen etwa durch Einnahmeverluste bei den ausgefallenen Abitursveranstaltungen zu umschiffen“. Klar sei aber, „dass wir auf Dauer keine Veranstaltungen durchführen können, bei denen höchstens 40 Besucher Einlass finden“. Das würde zu einer ernsten finanziellen Schieflage führen. Im Literaturhauscafé war seit Februar ohnehin kein Restaurantbetrieb möglich. Ein Wasserschaden musste behoben werden. Im Juni wird das Café, das wie die gesamte Gastronomiebranche unter der Coronagegenwart leidet, voraussichtlich seinen Betrieb wieder aufnehmen.

Planungen für das Programm sind weitgehend abgeschlossen

Für sein eigenes Literaturhausprogramm, in dem seit dem 11. März insgesamt rund 50 Veranstaltungen ausfallen mussten, hat Moritz im ersten Monat der Wiederaufnahme die alte Planung — mit unter anderem der Verleihung des Kirsten-Boie-Preises am 16. Juni — übernommen, aber auch Literaturabende neu- und umterminiert. So liest am 4. Juni der Bergedorfer Arzt Alexander Rösler aus seinem Roman „Unter Kitteln“, und am 25. Juni wird die im April im Rahmen des „High Vortage“-Festivals ausgefallene Lesung von Ingo Schulze nachgeholt.

Die Planungen bis zum Jahresende sind laut Moritz weitgehend abgeschlossen, bis dahin werden einige weitere ausgefallene Frühjahrstermine nachgeholt. Und zwar innerhalb der vom Netz der Literaturhäuser ins Leben gerufenen Kampagne „Zweiter Frühling“. Sie will dafür sorgen, dass die Corona-gecrashten Titel aus dem März, April und Mai in den Mittelpunkt rücken — damit die zunächst ausgebliebene Aufmerksamkeit durch die spätere Bühne aufgewogen wird.

Next Book Please: der Literaturpodcast von Abendblatt

Was letzteres angeht, versuchte das Literaturhaus zuletzt übrigens sein Mögliches. Es podcastete (gemeinsam mit dem Abendblatt) mit „Next Book Please“ und streamte täglich Lesetipps auf der Literaturhaus-Homepage. Außerdem wurde ein Schreibwettbewerb initiiert. Moritz glaubt, dass „die Menschen in den letzten Wochen ernsthafter als sonst darüber nachgedacht haben, was für sie wichtig ist“. Bücher hätten dabei sicher eine Rolle gespielt, „vor allem haben viele gemerkt, dass digitale Angebote nicht das ganze Leben sind und dass Liveerlebnisse mit ‚richtigen‘ Menschen durch nichts zu ersetzen“.