Hasselburg. Schleswig-Holstein Musik Festival zeichnete die Musik für sein Eröffnungskonzert im „Sommer der Möglichkeiten“ auf.

Ein Auto-Kennzeichen mit „KV 622“, wie das Nummernschild der Klarinettistin Sabine Meyer, so etwas fällt schon sehr in die Rubrik Klassik-Musiker-Insider-Spaß. 622 ist die Nummer im Köchelverzeichnis für Mozarts Klarinettenkonzert, und das ist so ziemlich das Allerheiligste für Menschen, die dieses Instrument öfter spielen. Meyer und ihr Mann Reiner Wehle, hier am Bassetthorn bei einem Mendelssohn-Stück ihr Partner, sind nun exotische Einzelfälle. Denn im Aufgebot der Musikerinnen und Musiker, die auf Gut Hasselburg (bei der dritten Wiese schräg rechts hinter Lübeck scharf links rein) das so nicht geplant gewesene Eröffnungskonzert des Schleswig-Holstein Musik Festivals 2020 vorab aufzeichnen, bläst ansonsten nichts und niemand.

Instrumente mit Saiten haben momentan den eindeutig besseren Ruf. Sicherheits-Abstände sind einfacher einzuhalten. Und Abstand ist der eigentliche Aufnahmeleiter in der Scheune, obwohl der tatsächliche Kollege mit kurzen Ordnungsrufen immer wieder daran erinnert, dass die luftig gesetzten Musiker des NDR Elbphilharmonie Orchesters nicht zufällig Dienst-Abendgarderobe tragen, obwohl alles sehr nach Landpartie ohne Kleiderordnung aussieht.

Cellistin Sol Gabetta kam aus der Schweiz

„Wir bringen die Band wieder zusammen!“? Fast. Weil für den „Sommer der Möglichkeiten“ nicht nichts passieren sollte, telefonierte man flott einige der früheren und den aktuellen Porträt-Künstler für diese Vorproduktion herbei, als All-Star-Bandbesetzung. Die jeweiligen Kalender waren ja alle total leergefegt, es ging einfach.

Schleswig-Holstein Musik Festival 2020: Programm, Konzerte, Musiker:

Der Mandolinist Avi Avital kam aus Berlin, der Harfenist Xavier de Maistre aus Monaco, Meyer und ihr Mann wohnen ohnehin in der Gegend, sie hat eine Professur in Lübeck. Cellistin Sol Gabetta kam aus der Schweiz, und weil die Geigerin Janine Jansen kurzfristig absagen musste, rückte mit wenigen Tagen Vorlauf der Cembalist Kristian Bezuidenhout auf der Besetzungsliste nach. Er reiste aus London an, der richtige Flügel – ein gut zur Beethoven-Cello-Sonate op. 69 passender Blüthner von 1856 – wurde in einer weiteren Hauruck-Auktion aus Freiburg herangekarrt.

„Das waren die richtigen Töne. Aber nicht zusammen“

Wäre die Akustik in der Konzert-Scheune ein Martini, wäre sie extra dry. Aber: egal. Der Wille zählt, wie alles gerade, und sowohl im NDR-Radio als auch in der 3sat-Version dürfte sich dieser Raum-Klang gut versenden. Immer zwischen den Takes werden die Hauptdarsteller schnell von einer maskierten Maskenbildnerin abgetupft, während eine freundliche Regie-Stimme aus dem Off das gerade Geleistete so knapp wie kompetent kommentiert. „Bei Takt 14 ist die Intonation komisch.“ Niemand lacht. Auch schön: „Das waren die richtigen Töne, aber nicht zusammen.“ Noch einmal also, bitte.

SHMF-Angebote:

  • Das Eröffnungs-Konzert, moderiert von Julia Westlake, wird am 5. Juli auf 3sat (20.15 Uhr) und auf NDR Kultur (20.05 Uhr) übertragen. Insgesamt wird es rund 100 Aktionen bis zum 30. August geben, darunter auch 31 Open-Air-Konzerte. Alle aktuellen Informationen unter www.shmf.de

Konzert-Atmosphäre kommt bei so viel Stück-Werk eher nicht auf, man produziert Einzel-Stücke und muss sich das Live-Flair denken. Es würde schon sehr helfen, dass nur einige wenige Menschen in der Scheune seien, wird Avital später erzählen, nachdem er eine Bearbeitung des a-Moll-Violinkonzerts von Bach in den Kasten gespielt hat. Was wohl auch meinen soll: Eine Kamera freut sich nicht zurück, die hat keine Seele und kann auch nicht lächeln oder applaudieren. Das größere Ganze passiert deswegen später im Schnitt. Mit jeder Runde wird das Ergebnis besser, man ist ja auch, obwohl ganz kurz vor den Sommerferien, nicht zum Spaß hier. Profis.

Der Mandolinist Avi Avital ergänzt das Programm um eine Bach-Bearbeitung.
Der Mandolinist Avi Avital ergänzt das Programm um eine Bach-Bearbeitung. © Axel Nickolaus

NDR-Chefdirigent Alan Gilbert und das gehobene Kammerensemble arbeiten das Opus-Pensum konzentriert ab. Für die Mittagspause hat die Gutsküche in einem Seitentrakt vorgesorgt. Zwischendurch taucht SHMF-Intendant Kuhnt ziwschen den Instrumentenkoffern und den Kameras in der Scheune auf, weil es noch ein Spezial-Konzert-Erinnerungsfoto geben soll. Der gebürtige Mainzer trägt, noch so ein kleiner Spaß am Rande, eine Mainzelmännchen-Maske und erzählt dem Besuch aus Hamburg, nicht ganz ohne Stolz, wie schnell wie viel in diesem Bundesland in den vergangenen Wochen musikalisch organisierbar war. Nicht auszuschließen also, dass das SHMF in den nächsten Wochen auch noch im – nach wie vor deutlich ruhigeren – Hamburg von sich hören lässt.

Entspannte Schullandheim-Atmosphäre

Unterdessen landregnet es ein wenig und lauwarm, niemand stört sich daran beim Beinevertreten in der Mittagspause. Auf der Treppe vor dem Herrenhaus widmete sich Gabetta ihrem Obstteller, bevor vor der nächsten Probe etwas Zeit für ein Kurzgespräch im Inneren ist. Würden nicht schnell diese Sätze fallen, die alle Musikerinnen und Musiker gerade seufzend sagen, es wäre enorm idyllisch hier. Es sei eine so spezielle Zeit, es habe die Zeit gegeben, sich selbst zu suchen, ganz anders in sich hineinzuhören. Auch mal Zeit mit der Familie zu verbringen. Aber die Sehnsucht nach richtigen Konzerten, die ist riesig.

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Sehr entspannt sind alle hier, man kennt sich schon, die Welt der Klassik ist eine kleine, oder man lernt sich schnell bei Gulasch und Nudeln kennen. Schullandheim-Atmosphäre, nur der halbkalte Hagebutten-Tee fehlt noch. Ein bisschen ist es wieder wie früher, in den allerersten, sympathisch verpeilten Festival-Sommern, als das Durchwuseln das Regeln und das Einfach-mal-Loslegen noch zentrale Teile der SHMF-DNA waren. Als vieles tatsächlich ging, egal,wie. So ist es jetzt wieder. Nur, leider, unter ganz anderen Vorzeichen.

Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

  • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
  • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
  • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
  • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
  • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden