Hamburg. Das Internationale Sommerfestival findet statt – mit reduziertem Programm, Freiluft-Vorstellungen und Künstlern in Quarantäne.

Als der Schweizer Künstler Yan Duyvendak im vergangenen Jahr mit András Siebold sprach und ihm ein Stück vorschlug, an dem er schon eine Weile saß, reagierte der Leiter des Internationalen Sommerfestivals zögerlich. Das Thema des Performers war doch arg abwegig: „Er wollte was zu Pandemien machen“, erzählt Siebold. 2019, eine Ewigkeit her!

Im Sommer 2020 ist es schon eine Nachricht, dass das Internationale Sommerfestival auf Kampnagel überhaupt stattfinden wird. Als eines von ganz wenigen Live-Kunst-Festivals, weltweit. Yan Duyvendak ist auch dabei, es hat sich herausgestellt, dass sein Interesse so abwegig nicht war: „Virus“ heißt seine Arbeit, am 19. August feiert sie auf Kampnagel Deutschlandpremiere. Angekündigt als das „Stück der Stunde“.

Schutzmasken mit dem Logo des Festivals auf Kampnagel

„Special Edition“ steht auf der grellpinken Schutzmaske, das Accessoire des Jahres gibt es nun also auch mit Logo des Internationalen Sommerfestivals. Und eine Spezialausgabe ist es zwangsläufig, was das Festival-Team in den vergangenen Wochen und Monaten auf die Beine gestellt hat: „Wir haben bestimmt vier verschiedene Festivals skizziert“, erzählt András Siebold, der sich immer wieder von ursprünglichen Ideen und Vorhaben trennen musste.

Eine große Eröffnungsproduktion mit australischen Ureinwohnern? „Es war schnell klar, dass das nicht mehr machbar ist. So ging es uns mit vielem.“ Sie freue sich, dass András Siebold „trotzdem nie aufgegeben“ habe, sagt Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard und verspricht ein „sicheres Festival“. Man wolle „das perfekte Experimentierfeld“ dafür sein, dass Zuschauer sich beim Zuschauer-Sein wieder entspannen können.

Siebolds Seitenhieb auf andere Bühnen: "so viel langweiliges Zeug"

„Veranstaltungen, in denen Menschen nebeneinander stehen und schwitzen, die wird es wohl erst wieder geben, wenn wir einen Impfstoff haben“ vermutet Siebold; die Club-Konzerte, bislang stets unverzichtbarer Teil der Festivalstimmung, können demnach so nicht stattfinden. „Im digitalen Raum verschwinden“ will auf Kampnagel aber auch niemand.

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Wobei das Digitale natürlich dennoch seinen Raum erhält – einen angemessenen, wie Siebold mit einem Seitenhieb auf andere Bühnen betont: „Wir haben da so viel langweiliges Zeug gesehen in den letzten Wochen, dass wir uns gedacht haben: Wir müssen schon deshalb was online machen, um zu zeigen, dass das besser geht.“ So ist zum Beispiel eine Arbeit des angesagten Wiener Performancekollektivs Nesterval im Programm. Ursprünglich sollte Nesterval ein leerstehendes Gebäude irgendwo in Hamburg bespielen, nun ist ein interaktives Stück auf der Videokonferenz-Plattform Zoom geplant, „Der Willy Brandt-Test“, eine Uraufführung zur Zukunft der Sozialdemokratie.

Produktionen mit echtem, anwesenden Publikum

Aber vor allem soll es Produktionen geben, die analog passieren, vor physisch anwesendem Publikum, entweder in den weitläufigen Kampnagel-Hallen, im öffentlichen Raum der Stadt oder im lauschigen Avant-Garten, der – gutes Wetter vorausgesetzt – mehr noch als in den vergangenen Jahren zum Herz des Festivals wird.

Auf drei Freiluft-Bühnen und in zahlreichen weiteren Installationen sind mehr als 50 Veranstaltungen geplant, „verschiedene Stimmungen, so dass sich jeder wohlfühlt“. Der Zugang allerdings ist auch unter freiem Himmel beschränkt: Es werden Garten-Tickets verteilt, die „Schutzgebühr“ beträgt drei Euro, die Abstandsregeln gelten selbstverständlich auch hier. Mehr Personal soll dabei helfen, das Publikum im Zweifel daran zu erinnern.

Premieren-Ensemble geht gemeinsam in Quarantäne

Eröffnet wird das Sommerfestival am 12. August in der großen Kampnagelhalle k6 mit einer Produktion von Florentina Holzinger, die hier schon zum fünften Mal zu Gast sein wird. Ihre erwartbar radikale Arbeit trägt den sehr grundsätzlichen Titel „Tanz“ und soll „Hochkultur, Humor und Horror“ vereinbaren, angekündigt ist ein „überhöhter Porno-Dreh im Splatter-Style“, in dem auch die ehemalige und heute fast 80 Jahre alte Neumeier-Primaballerina Beatrice Cordua eine Rolle spielt.

Da die Abstandsregeln auf der Bühne, man ahnt es schon, nicht eingehalten werden können, wird das Ensemble vor der Premiere in die gemeinsame Quarantäne geschickt und außerdem auf Covid-19 getestet. Das Publikum soll ohnehin regelkonform platziert werden. 200 bis höchstens 230 statt 850 Plätze werden für alle Vorstellungen in der k6 belegt. Immer zwei Plätze bleiben zwischen den Zuschauern frei. „Man muss sich beim Kartenkauf vermutlich schon beeilen, weil die Kapazitäten nicht so groß sind“, rät Siebold.

Kampnagel mit reduziertem, aber wirkenden Programm

Das Programm ist reduziert, hat aber einen spürbaren Wirkungsradius: Neben den Gruppen Gob Squad und Ligna ist unter anderem der britische Comedy-Performer Kim Noble zu Gast (Eichhörnchen-Fantasien spielen bei ihm eine kuriose Rolle), auf dem Programm steht eine Weltpremiere des koreanischen Künstlers Jaha Koo, und es entsteht ein neues Stück der Choreografin Marlene Monteiro Freitas aus Portugal. Mit großem Ensemble, aber streng coronagerecht geprobt. „Mal – Embriaguez Divina“ beschäftigt sich mit dem Bösen schlechthin und soll von Hamburg aus auf Welttournee gehen können.

Internationales Sommerfestival 12.-30. August, Programm unter www.kampnagel.de/sommerfestival