Hamburg. SPD und Grüne zeigen im neuen Koalitionsvertrag auf, wie der Hamburger Senat die Clubkultur auch im Freien stärken will.
Zur Sonne drängt doch alles, wenn sie in Hamburg mal scheint. Gerade jetzt in Pandemiezeiten sind es wohl Open-Air-Konzerte, die bei weiterhin geschlossenen Clubs wieder ein wenig mehr Musik in der Stadt spielen lassen. Das Knust zum Beispiel hat den Lattenplatz am Neuen Kamp direkt vor der Clubtür. Am 1. Juli startet dort die wöchentliche Reihe „Knust Acoustics“ mit jeweils drei Bands, zum zehnten Geburtstag jedoch in der „Corona-Edition“: Die Kapazität wird auf 150 Plätze beschränkt, die Gäste werden registriert, der Eintritt von 5 auf 15 Euro erhöht.
Allerdings sind erprobte und zugelassene Open-Air-Flächen für Konzerte und andere Veranstaltungen in Hamburg rarer, als viele denken mögen. Eigentümerfragen, Umweltvorschriften, Anreisemöglichkeiten, Fluchtwege, Brand- und Lärmschutz machen die Auswahl eng. Umso erstaunlicher ist ein Punkt, auf den sich SPD und Grüne bei ihren Koalitionsverhandlungen im Vertragsabschnitt „Musikmetropole Hamburg“ geeinigt haben: „Die Koalitionspartner setzen sich dafür ein, den Clubs für gemeinschaftliche Aktionen zur finanziellen Abmilderung des jährlichen Sommerlochs eine geeignete Freiluftveranstaltungsfläche zur Verfügung zu stellen.“
MS-Dockville-Gelände dürfte am besten geeignet sein
Zu hören ist von verantwortlicher Seite, dass solch eine Fläche noch dieses Jahr bespielt werden könnte. Das spricht für ein bereits erprobtes Areal. Am besten dürfte das MS-Dockville-Gelände geeignet sein. Die Infrastruktur, die durch das Dockville-Festival und weitere Veranstaltungen wie Artville, Spektrum und Vogelball am Reiherstieg Hauptdeich in Wilhelmsburg in den vergangenen Jahren geschaffen wurde, ist ideal. Denkbar, aber abgelegen wären auch die Halbinsel Entenwerder, der Ballin Park auf der Veddel oder der Neuhöfer Strand, wo in den vergangenen Jahren das Futur 2 Festival und zahlreiche Open-Air-Technopartys stattfanden. Der Großmarkt dürfte wohl aus Lärmschutzgründen ausscheiden, der Parkplatz vor dem Volksparkstadion stünde zumindest nicht dauerhaft zur Verfügung, der Stadtpark hingegen ist Konzerte gewohnt.
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Spruchreif sei noch nichts außer der erklärten Absicht, dass eine „kurzfristige und möglichst unbürokratische Lösung“ gefunden werden soll. Generell möchten die Koalitionsparteien besonders für Veranstalter von kostenlosen Open-Air-Veranstaltungen den finanziellen und behördlichen Aufwand verringern.
Hamburgs Status als „Clubhauptstadt Deutschlands“ soll weiter ausgebaut werden
Auch wenn die Clubs derzeit noch geschlossen sind, fällt auf, dass sich der Koalitionsvertrag deutlich umfangreicher als in den vergangenen Jahren der Clubkultur und einigen ihrer seit vielen Jahren bestehenden Anliegen widmet. Hamburgs Status als international beachtete „Clubhauptstadt Deutschlands“ (aus Berliner Sicht vielleicht eine Einzelmeinung) soll weiter ausgebaut und durch das jährliche Reeperbahn Festival unterstrichen werden.
Bürgermeister Tschentscher stellt den Koalitionsvertrag vor:
Konkret dürfen die Clubs auf einen Ausbau des sogenannten Live-Concert-Account hoffen, der seit 2014 von der Stiftung zur Stärkung privater Musikbühnen Hamburg abgewickelt wird. Bislang konnten Musikclubs auf Grundlage der im Vorjahr an die GEMA entrichteten Vergütungen eine Förderung aus einem Topf mit einem jährlichen Budget von 250.000 Euro beantragen. Zusätzlich dazu soll ein Schallschutzfonds eingerichtet werden, um dringend benötigte Sanierungsmaßnahmen mitzufinanzieren. Clubs wie das Moloch im Oberhafenquartier mussten in den vergangenen Jahren schließen, weil die nötigen Schallschutzmaßnahmen finanziell schwer zu stemmen sind.
Seit vielen Jahren umstritten ist auch die Stellplatzabgabe: Neue Clubs mussten je nach Gewerbefläche eine entsprechende Zahl Pkw- und Fahrradstellplätze bereitstellen – oder eine Ausgleichszahlung von 10.000 Euro pro fehlendem Stellplatz (1000 Euro je Fahrradplatz) zahlen. Da aber die meisten Clubgäste mit dem ÖPNV unterwegs sind, will der Senat „für die Hamburger Clubszene in der Fläche ein HVV-Kombiticket und die Abschaffung der Stellplatzabgabe prüfen“. Sicherlich Stellplätze brauchen wird allerdings die seit Jahren von den Veranstaltern ersehnte Konzerthalle für 4000 Besucher, die der Senat, wie berichtet, am Bahnhof Diebsteich realisieren will.
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Das Clubkombinat als Sprecher für mehr als 110 Hamburger Musikspielstätten freut sich „außerordentlich über die Berücksichtigung der Kultur- und Kreativszene Hamburgs im Koalitionsvertrag. Dies verdeutlicht die hohe Relevanz in unserer Stadt und ist sinnbildlich für unsere Gesellschaft. Kunst und Kultur ist lebenswichtig, sie machen unser Leben lebenswert und sind identitätsstiftend. Wir schätzen und begrüßen die Unterstützung der Hamburger Politik somit sehr. Es ist ein starkes Zeichen aus der Musikhauptstadt Hamburg.“
Was ist erlaubt, was nicht? Fragen an den Bürgermeister
Andrea Rothaug von der Interessenvertretung der Musikerinnen und Musiker RockCity Hamburg e.V. hätte mehr erwartet. Sie vermisst Konkretes zu den Themen Innovation, Internationalisierung, Diversität und Gleichberechtigung in der Musik sowie das in der aktuellen Krise brennende Thema des Kulturprekariats: „Dabei wurde gerade in Zeiten der Krise sehr deutlich, worin genau die Mängel bestehen“, erklärt sie. „Da wir aber wissen, dass wir einen Kultursenator haben, der notfalls zubeißt, sagen wir einmal mehr: Wir hoffen das Beste!“
Hoffnung ist das Thema der Stunde. Um eine Musikmetropole weiter zu fördern, muss in den kommenden Monaten auch etwas von ihr übrig bleiben.
Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde
- Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
- Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
- Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
- Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
- Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden