Hamburg. Reeperbahn Festival plant „pandemiegerechte“ Clubkonzerte. Musikspielstätten überlegen die nötigen Maßnahmen.

Bis zum 31. August sind Großveranstaltungen in Hamburg verboten. Damit wurde auch die Festivalsaison im Norden noch vor Beginn beendet, Elbjazz und Dockville planen bereits für 2021 mit den entsprechenden Gutschein- und Umtauschmaßnahmen für die Ticketbesitzer. Das Reeperbahn Festival, das vom 16. bis 19. September dieses Jahres über 900 Veranstaltungen für 50.000 Besucher in 100 Clubs, Bars und Bühnen präsentieren wollte, arbeitet aber weiterhin auf seine Durchführung noch in diesem Jahr hin.

Jetzt teilte Festival-Geschäftsführer Alexander Schulz mit, wie weit die „pandemiegerechten“ Planungen derzeit sind. Der Schutz und die Sicherheit von Besucherinnen, Partnern, Künstlerinnen und Mitarbeitern stünde „selbstverständlich“ nach wie vor an erster Stelle, „und es ist klar, dass die Lage nach wie vor sehr dynamisch und unberechenbar bleibt. Aber nach allem, was wir heute von den für uns zuständigen Behörden wissen, glauben wir an einen langsamen, behutsamen und geregelten Weg in eine neue Ära der Kulturpräsentation und Kulturwirtschaft mit und nach Corona.“ Diesen Prozess wolle man mit dem Reeperbahn Festival 2020 begleiten, mitgestalten und gemeinsam mit den Besucherinnen und Besuchern erleben, so Schulz.

Jede Spielstätte braucht individuelle Konzepte

Derzeit werden, abgestimmt mit den zuständigen Behörden, Szenarios erarbeitet, die ein Festival mit Abstands- und Hygienevorgaben und Sicherheit aller Beteiligten möglich machen sollen, mit individuellen Konzepten für sämtliche Spielorte, von der kleinen Musikbar über mittelgroße Clubs bis zu Konzerthäusern und Theatern.

Da die Vorbereitungen sich noch im Anfangsstadium befinden sollen, gibt es noch keine konkreten Beispiele, dazu ist ebenfalls noch nicht absehbar, wie sich die Pandemie mit ihren mittelbaren und unmittelbaren Begleiterscheinungen, Einschränkungen und Zwängen in Deutschland und international bis zum Herbst entwickeln wird. Nach jetzigem Stand scheint eine viertägige Kiezsause wie 2019 mit langen Schlangen vor engen, schlecht belüfteten Clubs mit 600 Konzerten von Hunderten, rund um den Globus anreisenden Bands und Branchenvertretern absolut illusorisch.

Planungen für jeden Fall der Fälle

Auch das Festival kündigt schon jetzt unabhängig von kommenden Entwicklungen Veränderungen an: „Die seit Verhängung der Maßnahmen gegen die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus gemachten Erfahrungen, Existenzfragen und Per­spektiven werden die Inhalte des Reeperbahn Festivals 2020 prägen. Wir erwarten fundamental veränderte Themenschwerpunkte“, erklärt Schulz. Er erwartet neben der erforderlichen deutlich geringeren Besucherzahl einen wesentlich höheren Publikumsanteil aus Europa und Deutschland, was auch für Künstler, Sprecherinnen und Partner gilt. „Der Umfang des Programm-Angebotes allerdings sollte sich nicht wesentlich verändern.“

Alexander Schulz, Gründer und  Geschäftsführer des Reeperbahn Festivals.
Alexander Schulz, Gründer und Geschäftsführer des Reeperbahn Festivals. © picture alliance

Das Festival dürfte in den kommenden Monaten laufend neu angepasst und bewertet werden, mit Planungen für jeden Fall der Fälle. Es gilt tagesaktuell Alternativen und Lösungen zu finden für ein gleichbleibend umfangreiches Programmangebot bei erwartbar weniger Besuchern. Das wird auch finanziell Auswirkungen haben: „Aufgrund der besonderen Gegebenheiten wollen wir die ökonomische Komponente beim diesjährigen Reeperbahn Festival komplett ausblenden“, so Schulz. In den ersten Jahren von 2006 an schrieb das Festival tiefrote Zahlen, trotzdem hat es sich als Europas größtes Clubfestival dauerhaft etabliert. Die 2019 vom Bund fest zugesagten Fördergelder von 20 Millionen Euro verteilt auf fünf Jahre versprachen zumindest vor der Corona-Krise Planungssicherheit bis 2024.

Besucherbeschränkungen durch Komplettbestuhlung

Aber auch das Festival 2020 braucht Bühnen: viele Clubs und Konzertbars, die von den finanziellen Folgen der Veranstaltungsverbote besonders stark betroffen sind. Die Sorge ist groß auf dem Kiez, dass viele Kulturorte (nicht nur auf St. Pauli) die nächsten Wochen und Monate nicht überleben werden. Unabhängig vom Reeperbahnfestival eruiert das Clubkombinat mit seinen 190 Mitgliedern, Musikspielstätten, Veranstaltern und Festivals Möglichkeiten und Zwänge für Wiedereröffnungen, ähnlich wie bei den Museen, Theatern, Kinos und Gas­tronomiebetrieben.

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Diskutiert werden Besucherbeschränkungen durch Komplettbestuhlung mit vorgeschriebenen Abständen, namentliche Registrierung der Gäste, markierte Zu- und Abwege und weitere Hygiene- und Distanzmaßnahmen und bauliche Veränderungen. Die Kapazität von Clubs könnte so auf 10 Prozent bis 30 Prozent der üblichen Besuchermenge sinken, bei erhöhtem Personalaufwand, steigenden Kosten und sinkenden Einnahmen durch mögliche (Alkohol-)Ausschankverbote und weitere Einschränkungen.

Das Beispiel Ischgl wirkt wie ein Damoklesschwert

Finanziell tragfähig scheint das kaum, und selbst wenn ein Club sich in dieser Form „pandemiegerecht“ aufstellt, garantiert das nicht, dass die erhofften Gäste überhaupt Karten für Konzerte dieser Art kaufen wollen. Hintergrundgespräche mit mehreren Clubbetreibern zeigten neben Optimismus auch durchaus Skepsis, sogar Überraschung angesichts der Ankündigung des „pandemiegerechten“ Reeperbahn Festivals. Die Clubs wollen und müssen schließlich auch das kleinste Gesundheitsrisiko für Gäste, Künstler und Personal vermeiden, das Beispiel Ischgl schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Kiez. Schon für Verstöße gegen derzeit geltende Abstandsregeln wird nicht der nachlässige Clubbesucher, sondern der Betreiber haften. Und egal was in einem Club passieren könnte, es würde in der Öffentlichkeit auf die Szene zurückfallen. Es herrscht Vorsicht und Zurückhaltung zwischen Millerntor und Nobistor.

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Diverse Variationen eines Reeperbahn Festivals 2020 sind also denkbar, aber nicht vorhersehbar. An die Vorschriften für Restaurants und Kinos angelehnte Maßnahmen sind ebenso realistisch (wenn auch für Konzertbesucher vielleicht noch schwer vorstellbar) wie – im schlimmsten Fall – eine Verlängerung des Verbots für Großveranstaltungen und damit doch eine Absage des Reeperbahn Festivals. Wobei das Reeperbahn Festival genau genommen keine Großveranstaltung ist, sondern ein Verbund von kleinen Veranstaltungen. Wird bis September weiter gelockert oder wird wieder mehr Distanz vorgeschrieben? Bereits gekaufte Tickets bleiben weiterhin gültig. Und das Reeperbahn Festival war immer ein Ort der Ideen und der Stars von morgen. 2020 wird es vielleicht ein Ort für die Ideen für ein Morgen mit Livekonzerten. Noch ist es ein Bühnenstrahler am Ende eines langen Tunnels.

www.reeperbahnfestival.com

Coronavirus: Verhaltensregeln und Empfehlungen der Gesundheitsbehörde

  • Reduzieren Sie Kontakte auf ein notwendiges Minimum und halten Sie Abstand von mindestens 1,50 Metern zu anderen Personen
  • Achten Sie auf eine korrekte Hust- und Niesetikette (ins Taschentuch oder in die Armbeuge)
  • Waschen Sie sich regelmäßig die Hände gründlich mit Wasser und Seife
  • Vermeiden Sie das Berühren von Augen, Nase und Mund
  • Wenn Sie persönlichen Kontakt zu einer Person hatten, bei der das Coronavirus im Labor nachgewiesen wurde, sollten Sie sich unverzüglich und unabhängig von Symptomen an ihr zuständiges Gesundheitsamt wenden