Hamburg. “Wirtschaftlich ist das Schwachsinn“. Ein Gespräch mit zwei Hamburger Clubexperten über Wiedereröffnungen in Pandemiezeiten.
Während das Reeperbahn Festival ankündigt, mit „pandemiegerechten“ Konzerten im September 2020 zu planen, machen sich Hamburgs Livemusikclubs Gedanken: Wie können die derzeitigen Hygiene- und Abstand-Auflagen für Gaststätten und andere Kulturbetriebe auf den Cluballtag übertragen werden?
Zusammen mit Constantin von Twickel, künstlerischer Leiter des Kiez-Clubs Nochtspeicher und Clubkombinat-Vorstand, besuchten wir Booker Dirk Matzke im Knust an der Feldstraße.
Im Gespräch über Erfahrungen und Auswirkungen in der Corona-Krise wird klar, dass Livemusik in nächster Zeit in vielerlei Hinsicht nicht gewinnbringend sein wird. Trotzdem ist jeder Tag ohne Musik ein verlorener Tag für die beiden.
Wie haben Sie erfahren, was in der Corona-Krise auf Ihre Clubs zukommt?
Constantin von Twickel Ich war Anfang März im Urlaub, als Billy Bragg seine Lesung am 10. März bei uns absagte: „Da bahnt sich was an, ich bin Risikopatient, ich reise nicht mehr.“ Mit weiteren Absagen füllte sich mein Postfach, und so haben wir nach dem Konzert von Hodja am 12. März von uns aus den Club geschlossen, um jedes Gesundheitsrisiko zu vermeiden. Drei Tage später kam das allgemeine Veranstaltungsverbot.
Dirk Matzke Bei uns fing es schon im Februar an, dass die ersten Bands unsicher waren und ihre Shows für Mitte März „wegen Krankheit“ verschoben. Wir ahnten, dass sich was anbahnen könnte, haben die WCs aufgerüstet und Desinfektionsspender installiert. Damals haben wir die noch für 35 Euro bekommen, jetzt kosten die das Zehnfache. Ohne Inhalt. Und dann ging auch bei uns am 12. März die letzte Show über die Bühne, Hällas aus Schweden.
Da sind einige Tränen geflossen. Am 14. März wollte Ash noch unbedingt spielen, die Band war auch schon hier, aber da gab es schon wütende bis bedrohliche E-Mails, die die Absage forderten. Also haben wir uns mit der Band besprochen, das Licht ausgemacht, die Kühlschränke leer geräumt und abgeschlossen.
Aber damit ging das Chaos doch erst richtig los, oder?
Matzke Ich, als Asthmatiker und Maskenträger seit dem 17. März, war gleich mal zwei Wochen in Quarantäne, weil jemand aus meinem Umfeld infiziert war, und durfte sehr viele E-Mails beantworten. Diverse Agenturen und Managements lebten in einer völlig anderen Welt und wollten ihre Shows gemütlich um zwei Monate verschieben. Irre.
von Twickel Wir hatten für März, April und Mai über 100 Shows geplant, die wollten alle immer wieder neue Termine in einer Zeit ohne jegliche Planungssicherheit und Perspektive.
Matzke Schon für deutsche Bands ist so etwas wie ein neuer Tourplan derzeit nahezu unmöglich zu erstellen, von internationalen Künstlern ganz zu schweigen. Mit 20 Leuten im Tourbus durch acht Länder gondeln? Oder zumindest als Solist im Ford Transit? Absolut illusorisch.
von Twickel Dazu kommt, dass Hamburg, Berlin und Köln die einzigen Städte mit einem Rettungsschirm für Clubs sind. In anderen Städten befürchte ich viele Insolvenzen. Selbst wenn Musiker wieder reisen dürften, wo sollen die dann spielen?
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Wie haben die Käufer von Tickets für die ausgefallenen Konzerte in Ihren Clubs bislang reagiert?
von Twickel Erstaunlicherweise gab es extrem wenig Rückläufer bei unseren selbst veranstalteten Konzerten. 99 Prozent wollten ihre Tickets nicht umtauschen, weder für verlegte noch für komplett abgesagte Veranstaltungen.
Matzke Bei Eigenveranstaltungen war das bei uns auch so, das zeigt die große Nähe der Menschen zu dem, was wir machen. Wie es bei den Anmietungen von externen Veranstaltern aussah, kann ich nicht sagen.
Jetzt haben Sie auf lange Sicht keine Einnahmen mehr. Wie kann man das als Club und als Mitarbeiter verkraften?
Matzke Mit Kurzarbeit, mit Spenden und Patenschaften, mit Rettungsschirmen. Aber Stand jetzt ist der Herbst so nicht zu überleben.
von Twickel Die Fixkosten laufen ja weiter. Die Mieten werden uns zwar gestundet, aber letztendlich bauen wir so nur weiter Schulden auf.
Um aus Kommentaren in den Sozialen Netzwerken zu zitieren: „Selber schuld, wenn man keine Rücklagen aufgebaut hat.“
von Twickel Einige denken wohl, wir wären 80er-Jahre-Discobesitzer, mit einem Haus auf Malle und einem Porsche in der Garage, weil sich jeden Abend bei uns Hunderte Menschen wegballern. Nein, wir veranstalten Kultur und Livekonzerte, aus Leidenschaft, und dafür investieren wir alles, was wir haben und zahlen dafür sehr hohe Mieten. Wir zahlen Künstlersozialkasse, GEMA, Hotel, Gagen, Verpflegung, Strom, Wasser, Brandschutz- und Umweltauflagen, Technik, Reparaturen, Personal und Versicherungen. Mit kleinen Newcomerkonzerten verdienst du kein Geld. Aber wir leisten die Aufbauarbeit. Erst spielen sie bei uns, dann im Knust, dann in Freiheit und Sporthalle, und erst da wird das große Geld verdient, aber nicht mehr von uns.
Matzke Also ich habe zwei Porsche-Modellautos von Wiking.
von Twickel Da fällt mir ein: Ich hab dir noch einen mitgebracht heute. Jetzt hast du drei. Aber was Rücklagen betrifft: Die werden ähnlich wie bei Hartz IV mit den Geldern aus dem Rettungsschirm verrechnet. Genauso ist es mit etwaigen Einnahmen. Dennoch sind die Rettungsschirme momentan unsere Überlebensgarantie.
Matzke Wir leben eigentlich hauptsächlich von der Gastronomie. Aber bei sehr vielen Konzerten, besonders bei jungem Publikum, haben wir einen Getränkeumsatz von ein bis zwei Euro pro Person, aber drei Mann hinter dem Tresen. Da spiele ich nicht mal die Personalkosten mit ein.
Die Clubs
- Das Knust eröffnete 1976 an der Brandstwiete und zog 2003 an den Neuen Kamp 30 um. 22 Mitarbeiter und Aushilfen arbeiten im 500 Besucher fassenden Club. Betreiber ist Karsten Schölermann.
- Der Nochtspeicher eröffnete 2013 im ehemaligen Erotic Art Museum an der Bernhard-Nocht-Straße 69a. Sechs Festangestellte und 25 Mini-Jobber kümmern sich um bis zu 300 Besucher. Betreiber sind Daniel Zawistowski, Tina Uebel und Frank Hauswedell.
In Ihren und anderen Clubs wird derzeit an Ideen gearbeitet, in naher oder ferner Zukunft Konzerte unter Corona-Schutzmaßnahmen zu veranstalten. Wie könnte das aussehen?
Matzke Sitzen statt schwitzen. Das fängt schon beim Programm an. An Punk und Metal brauchen wir nicht zu denken. Wir haben das Knust in Quadrate eingeteilt, in denen jeweils zwei Menschen mit mindestens 1,50 Meter Abstand zu den nächsten Leuten sitzen. Dazu kommen markierte Zugänge zu Bars, Ausgängen und WCs, Desinfektionsmaßnahmen, ausreichend Abstand zur Bühne, Registrierung der Gäste und weitere Ideen. Je nachdem, was vom Gesundheitsamt genehmigt oder gefordert wird, würde so die Kapazität im Knust von 500 auf maximal 48 Gäste sinken.
von Twickel Im Nochtspeicher hätten wir so Platz für 50 statt 300 Besucher. Jeder Club braucht individuelle Konzepte, und die sind ganz nebenbei auch mit zusätzlichen Kosten verbunden.
Das kann sich doch nie rechnen, falls überhaupt Besucher Lust auf Konzerte unter solchen Umständen haben ...
Matzke Wirtschaftlich ist das völliger Schwachsinn. Ich bin bereits in einigen Kneipen gewesen, die unter entsprechenden Auflagen öffnen durften – das ist eine Katastrophe.
von Twickel Wir sind Subkulturen, und die suchen die Menschen eigentlich auf, um loszulassen, und nicht um reglementiert zu werden. Aber wir müssen darauf bauen können, dass die Gäste sich reglementieren lassen. Das widerspricht sich eigentlich. Aber falls trotz aller Vorkehrungen Ansteckungen passieren, kannst du den Club schließen und den Schlüssel wegschmeißen. Dann wirst du medial hingerichtet.
Warum wollen Sie sich das Öffnen unter Auflagen, die wirtschaftlich ruinös erscheinen, trotzdem zumuten?
Matzke Wir wollen Konzepte entwickeln, um den kommenden Winter irgendwie zu überstehen. Auf die Planungen der Politik will ich mich nicht verlassen. Denn egal, wie sich das mit Corona entwickelt: Auch 2021 wird grauenvoll werden. Aber was ist ein Leben ohne Kultur und Subkultur, was ist der Mensch ohne Begegnungen, und sei es mit Abstand. Ich spüre diese Sehnsucht nach diesem Lebenselixier, und deshalb habe ich, obwohl es mir derzeit wenig Mut macht, immer noch Spaß.
von Twickel Ich kenne ja viele Clubs, die Menschen dahinter und ihre Kreativität und Visionen: Die Kultur hat den Kampf angenommen.
Spendenkampagne
S.O.S. – Save Our Sounds heißt die noch bis zum 31. Mai laufende Spendenkampagne zugunsten bedrohter Musikspielstätten von Clubkombinat Hamburg und der Clubstiftung. Gespendet werden kann über das Crowdfunding-Portal Startnext und ein Konto des Clubkombinats. Bislang kamen mehr als 174.000 Euro zusammen.
Mehr Informationen zur Verwendung, Links und Kontodaten sind auf der Homepage des Clubkombinats zu finden: www.clubkombinat.de