Hamburg. Die Bar auf dem Hamburger Berg fürchtet wegen Corona um ihre Existenz, hat zwar ein Hygienekonzept – aber viele offene Fragen.

Wer in diesen Tagen ins Roschinsky's auf St. Pauli geht, dem fällt sofort auf, dass sich hier einiges verändert hat. Die komplette Theke der Bar auf dem Hamburger Berg ist in durchsichtiges Plexiglas eingehüllt und für Gäste gesperrt. Wer genau hinsieht, erkennt eine kleine Lücke, um Getränke abzuholen – versehen mit dem Hinweis "Bitte immer nur eine Person" und "No Dancing".

Dort, wo früher eine Tanzfläche war, sind jetzt acht zusätzliche Sitzgelegenheiten aufgebaut. Weitere Sitzbereiche für bis zu vier Personen sind ebenfalls durch Plexiglasscheiben voneinander getrennt. "Es ist jetzt ein völlig anderer Laden", sagt Barbara Wetzer von der PR-Agentur Rodrec im Gespräch mit dem Abendblatt.

Wetzer betreibt die Öffentlichkeitsarbeit für das Roschinsky's, das seit vergangenen Freitag nach einer neunwöchigen Corona-Pause wieder geöffnet hat. Seit Mittwoch vor einer Woche dürfen Eckkneipen, die eine Konzession für eine sogenannte „Schankwirtschaft“ besitzen, wieder Gäste empfangen. So auch das Roschinsky's.

Roschinsky's schickt Corona-Brandbrief an Senator

Doch schon wenige Tage nach der Wiedereröffnung zeichnet sich ab, dass die Bar erheblich unter den Corona-bedingten Auflagen der Hamburger Gesundheitsbehörde leidet. Um den Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten, lässt Geschäftsführerin Petra Kleis nur noch 51 Gäste in ihr Lokal, in dem bisher 200 Platz hatten. In der Folge betrug der Einnahmeverlust am für gewöhnlich so umsatzstarken Wochenende knapp 70 Prozent.

Die Kosten, vor allem die Miete, bleiben dagegen genauso hoch wie vor der Corona-Krise. Und so schickte das Roschinsky's einen Brandbrief an Finanzsenator Andreas Dressel (SPD).

Plexiglasscheiben trennen die Sitzbereiche im Roschinsky's auf dem Hamburger Berg.
Plexiglasscheiben trennen die Sitzbereiche im Roschinsky's auf dem Hamburger Berg. © Roschinsky's

Darin fordert die Bar, dass die Behörde sowohl die Miete als auch die laufenden Fixkosten wie Strom und Wasser übernehmen soll. Auch die Betreiber sollen finanziell unterstützt werden. "Es kann nicht sein, dass diese zur Zeit gezwungen sind, ihre Altersversorgung zu verbrauchen", heißt es in dem Schreiben, das dem Abendblatt vorliegt.

Roschinsky's: "Das ist Insolvenzverschleppung!"

Des Weiteren fordert das Roschinsky's eine Erstattung der Kosten für die Umbaumaßnahmen, um die behördlichen Auflagen zu erfüllen. So habe sich das Lokal unter anderem eine Gläserspülmaschine für rund 4000 Euro angeschafft, um Getränke in Gläsern auszuschenken. Denn die Sars-CoV-2-Viren werden erst ab 60 Grad abgetötet. Andere Kneipen wie Rosi's Bar, die ebenfalls keinen Geschirrspüler besitzen, sind deshalb bereits auf Pappbecher umgestiegen.

Finanzsenator Andreas Dressel (SPD).
Finanzsenator Andreas Dressel (SPD). © picture alliance/dpa

Außerdem benötige die Branche mehr Soforthilfe, schreibt das Roschinsky's an Finanzsenator Dressel. Kredite würden Bars, bei denen es im Gegensatz zu anderen Bereichen keine Aufholeffekte gibt, nicht weiterhelfen. "Kredite sind keine Lösung, sondern nur Insolvenzverschleppung", heißt es in dem Brandbrief.

Wie das Abendblatt erfuhr, lehnte das Roschinsky's aus diesem Grund auch eine vom Vermieter angebotene Stundung der Miete ab, da das Lokal befürchtet, die daraus entstehenden Schulden nicht wieder abbauen zu können.

Wird der Hamburger Berg für Autos gesperrt?

Als letzte Forderung nennt die Kneipe in dem Schreiben, den Hamburger Berg nachts in eine Fußgängerzone zu verwandeln, um die Straße für mehr Außengastronomie nutzen zu können – so wie beispielsweise auf der Großen Freiheit. Damit würden Anwohnern zwar Parkplätze genommen. "Aber unser Problem ist jetzt: Wie überleben wir?", sagt Barbara Wetzer.

Franz Klein, Präsident des Deutsche Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) Hamburg hält den Brandbrief der Bar für symptomatisch für die momentane Stimmungslage im Gastgewerbe: „Kaum ein Betrieb kann unter den jetzigen Regeln auskömmlich wirtschaften, für viele ist das ein Zuschussgeschäft.“ Klein befürchtet eine große Insolvenzwelle, wenn es nicht sehr bald staatliche Soforthilfen gibt: „Unsere Branche braucht keine Kredite, sondern nicht rückzahlbare Zuschüsse.“

Dehoga spricht von „verheerenden Auswirkungen“

Auch der Bundesverband des Dehoga spricht von „verheerenden Auswirkungen“, im April gehe es um Umsatzeinbußen von bis zu 90 Prozent gegenüber dem Vergleichsmonat 2019. „Das Gastgewerbe kämpft ums Überleben“, sagt Dehoga-Präsident Guido Zöllick: „Hunderttausende Arbeitsplätze sind in Gefahr.“ Nach wochenlangen Schließungen würden der Branche allein bis Ende April mehr als zehn Milliarden Euro Umsatz fehlen.

Erschwerend komme hinzu, dass es im Gastgewerbe keine Nachholeffekte gebe. Zöllick: „Verlorener Umsatz kann bei Wiedereröffnung nicht aufgeholt werden. Das Essen oder das Hotelzimmer, das heute nicht verkauft wird, kann nicht später verkauft werden. Wenn die Räumlichkeiten heute leer stehen, können in zwei Monaten nicht doppelt so viele Menschen darin übernachten, tagen oder feiern.“

Ein Rettungsfonds mit direkten Finanzhilfen sei daher überfällig: „Der muss jetzt kommen. Unbürokratisch und gerecht in der Ausgestaltung. Für kleine wie für große Betriebe. Es geht um die Zukunft der öffentlichen Wohnzimmer des Landes und den Erhalt der touristischen Infrastruktur.“

Bedenken auch bei anderen Hamburger Kneipen

Ähnliche Bedenken wie das Roschinsky's hatten auch andere Kneipen nach ihrer Wiedereröffnung im Gespräch mit dem Abendblatt genannt. So sorgt vor allem die unklare Regelung der Auflagen für Verwirrung auf St. Pauli. Viele Kneipen-Betreiber denken sich ein individuelles Hygienekonzept aus, ohne zu wissen, ob dies den Anforderungen der Behörde entspricht. "Es muss absolute Klarheit und Gleichheit bezüglich der Regeln und Auflagen geben", fordert das Roschinsky's – und erhält damit Unterstützung von anderen Bars.

Das Ehepaar Britta und Edgar Hees hat sich für seine Kneipe Tippel II auf St. Pauli ein detailliertes Hygienekonzept ausgedacht.
Das Ehepaar Britta und Edgar Hees hat sich für seine Kneipe Tippel II auf St. Pauli ein detailliertes Hygienekonzept ausgedacht. © Roland Magunia | Roland Magunia

"Das Schlimmste wäre für mich, wenn wir den Laden wieder dichtmachen müssen, weil wir eine Auflage nicht so umgesetzt hätten wie gewollt", sagt Britta Hees, die Ehefrau von Tippel-II-Betreiber Edgar Hees. "Man muss wissen, ob man es richtig macht oder nicht." Agnieszka Jauch von Mary's Treff ergänzt: "Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten soll, das ist das Problem."

Dressel antwortet auf Roschinsky's-Brandbrief

Die Gesundheitsbehörde erwidert, dass alle Regeln in der aktuellen Rechtsverordnung stünden. Und die Polizei? Die bietet ihre Hilfe an und verspricht, bei Kontrollen mit Augenmaß vorzugehen. „Es gibt einzelne Verstöße, die wir auch konsequent ahnden. Aber die meisten gehen verantwortungsvoll mit den Auflagen um, um nicht zu riskieren, dass die Öffnung der Gastronomie wieder infrage gestellt wird“, sagt Innensenator Andy Grote (SPD).

Für Finanzsenator Andreas Dressel reicht diese Strategie nicht aus. Seine Behörde muss sich nun Gedanken machen, wie einer existenzbedrohten Hamburger Barszene geholfen werden kann. Eine erste Antwort hat das Roschinsky's immerhin bereits erhalten. Darin kündigte Dressel an, sich melden zu wollen.

Mit Spannung erwartet die Branche nun, wie die Hilfen vom Bund und von der Stadt aussehen könnten. Bei einer Diskussion auf St. Pauli Anfang Mai mit Dragqueen Olivia Jones hatte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) spezielle Maßnahmen für Bars und Diskotheken in Aussicht gestellt. „Es bleibt ein Teil, wo es noch keine Lösung gibt“, sagte Tschentscher. Die Besucher in Clubs könnten etwa „unmöglich den Abstand wahren und mit Mundschutz tanzen“. Es sei deshalb „wahrscheinlich zusammen mit dem Bund noch ein gezieltes Hilfsprogramm“ nötig.