Hamburg. Legendäre Inszenierungen von John Neumeier und aus Hamburger Theatern gibt es auch für den Bildschirm. Eine Auswahl.

Es sind harte Zeiten für Freunde der Bühnenkunst. Vor allem für viele Theater- und Ballettfans zieht sich die Zeit bis zum (voraussichtlichen) Start der nächsten Saison geradezu endlos. Die Serien bei Netflix, Amazon Prime und Co. sind auf Dauer jedenfalls kein Ersatz. Doch es gibt eine Zwischenlösung: Das Angebot an DVDs aus Ballett und Theater ist zwar nicht eben üppig, aber es gibt einige besonders gelungene Exemplare.

Das Hamburg Ballett zum Beispiel bietet einige Klassiker wie John Neumeiers legendäre Kreation „Nijinsky“, aber auch die aktuelle, im Sommer 2018 uraufgeführte Produktion „Beethoven-Projekt“. In ersterem verkörpert der hochvirtuos tanzende Alexandre Riabko Vaslav Nijinsky, jene große tragische Figur der Ballett-Welt. Nach der Ausbildung in St. Petersburg stieg er zum Star der Ballets Russes in Paris auf. Sein Stil wurde wegweisend für den modernen Tanz, sein Leben endete tragisch im Wahnsinn. Episodenhaft nähert sich die Choreografie der zerquälten Persönlichkeit Nijinskis an.

John Neumeier mit St. Michaelis Chor auf DVD

Im „Beethoven-Projekt“ begeistert der sprungstarke Aleix Martínez als gebeutelte Künstlerseele. In der Abendblatt-Premierenkritik hieß es: „Die ganze Atmosphäre ist traumartig. In seinem fragenden Gesichtsausdruck formen sich Ideen zu Notenlinien, zu Klängen, gleiten in seine Finger, die er immer wieder rhythmisch bewegt.

Er bleibt nicht allein in diesen Szenen, die eher einem visuellen Gedicht als einer konkreten Erzählung ähneln. Wie in einem Fellini-Film wird er von schattenartigen Figuren, Fantasien und Ängsten heimgesucht.“

Ebenfalls verfügbar ist John Neumeiers Signaturstück „Matthäus-Passion“ zur Musik von Johann Sebastian Bach, ein Live-Mitschnitt aus dem Jahre 2005 mit unter anderem dem St. Michaelis-Orchester und dem St. Michaelis Chor.

Zeitlose Thalia-Klassiker sind verfügbar

DVD-Aufnahmen aktueller Inszenierungen gibt es von den Hamburger Stadttheatern zwar nicht, aber einige zeitlose Klassiker. So ist die legendäre Inszenierung von Friedrich Schillers „Die Räuber“ des über viele Jahre am Thalia-Theater wirkenden Regisseurs Nicolas Stemann weiterhin verfügbar.

Alexander Simon, Philipp Hochmair, Felix Knopp und Daniel Hoevels bilden darin, in Hemd und Wollpullunder kämpferisch „Freiheit“ ausrufend, einen furiosen vierköpfigen Räuber-Chor, der den Schiller-Text als ausuferndes Wortkonzert gibt. Stemann inszeniert den Schiller-Text als kluges, faszinierendes Sprachspiel um Identitätssuche unter den ungleichen Brüdern Franz und Karl Moor. Außerdem mit dabei: Maren Eggert und Christoph Bantzer.

Ebenfalls ein legendärer Thalia-Klassiker und wiederum von Friedrich Schiller: „Maria Stuart“ in der Regie von Stephan Kimmig. Susanne Wolff und Paula Dombrowski glänzen darin als schottische Königin Maria Stuart und ihre englische Amtskollegin Elisabeth.

Ein offener Betonbunker von Bühnenbildnerin Katja Haß wird zum Labor, in dem die beiden Herrscherinnen als moderne Hofstaat-Managerinnen zu einem erbitterten Duell um Macht und Rache antreten. Sehenswert.

Fernsehfilm für Edgar-Selge-Fans

Edgar Selges furioser Monolog „Unterwerfung“ nach dem polarisierenden Roman von Michel Houellebecq ist zwar nicht in der Karin-Beier-Inszenierung, aber als Fernsehfilm von Titus Selge erhältlich.

In dem experimentellen TV-Film spielen neben Edgar Selge Schauspielhaus-Dauergast Matthias Brandt und Ensemblemitglied Bettina Stucky. Ideal für all jene, die an Selge-Entzug leiden. Dauert auch nur sportliche 90 Minuten.

„Medea“ mit monumentalem Bühnenbild

Weitere bei Kritik und Publikum geschätzte Inszenierungen aus der Konserve waren beim Hamburger Theater Festival, das 2020 leider komplett ausfällt, in den vergangenen Jahren zu Gast. Dazu zählt etwa Michael Thalheimers Version des Euripides-Mythos „Medea“. Thalheimer begann seine erfolgreiche Theaterkarriere mit dem seinerzeit skandalträchtigen „Liliom“ am Thalia Theater und erwarb sich einen Ruf als erbarmungsloser Stücke-Sezierer.

Inzwischen arbeitet er regelmäßig am Deutschen Schauspielhaus. „Medea“ entstand vor einigen Jahren am Schauspiel Frankfurt mit einer überragenden Constanze Becker als Rächerin und Mehrfachmörderin aus Verzweiflung. Die Tragödie ist von Michael Thalheimer mit gewohnt unerbittlicher Härte in einem monumentalen Bühnenbild von Olaf Altmann umgesetzt.

Wie gemeißelt hallen hier die von Constanze Beckers Medea ausgestoßenen Sätze. Von Marc Oliver Schulzes Jason tief enttäuscht, bieten ihr, dieser Einzelkämpferin in der Verbannung, nur ein paar düstere Gitarren-Riffs von Bert Wrede Halt.

Sternstunden des Theaters und des Tanzes auf DVD

Ebenfalls beim Hamburger Theater Festival gastierte Simon Stones prominent besetzte, am Wiener Burgtheater entstandene Version von Henrik Ibsens „John Gabriel Borkman“ mit Martin Wuttke, Birgit Minichmayr und Caroline Peters.

Unermüdlich rieselt der Schnee auf die Bühne. Borkman (Martin Wuttke) tapert hier als Einsiedler-Kauz mit zotteligem Langhaar herum, nach einem Betrugsskandal auf Rehabilitierung hoffend. Minichmayr gibt mit Schleifpapierstimme seine ihren Frust im Alkohol ertränkende Frau Gunhild, Peters überzeugt als deren Schwester Ella.

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Sternstunden des Theaters und des Tanzes, die das Warten darauf, dass sich der Eiserne Vorhang wieder hebt, zumindest ein wenig verkürzen können.

Hamburg Ballett, John Neumeier: „Nijinsky“, C Major/Unitel, 28 Euro, „Matthäus-Passion“, Arthaus, 27 Euro, „Beethoven-Projekt“, C Major/Unitel, 21,95 Euro; Nicolas Stemann: „Die Räuber“, Theater Edition, 19,99 Euro; Stephan Kimmig: „Maria Stuart“, Harmonia Mundi GmbH/Eppelheim, 29,94 Euro; Titus Selge: „Unterwerfung“, Studio Hamburg Enterprises, 12,99 Euro; Michael Thalheimer: „Medea“, Theater Edition (Harmonia Mundi), 18,99; Simon Stone: „John Gabriel Borkman“, Die Theateredition (Naxos Deutschland GmbH), 4,99