Wedel. Das Ernst Barlach Museum zeigt 350 Fotografien. Zu sehen sind viele nackte Frauen und viel Glamour. Ein Bild erkennt man sofort.

Es wird sich gerekelt, geküsst, gefeiert, gefummelt, oh, und es wird geraucht. So wunderschön wie bei Catherine Deneuve mit tiefem Blick in ihr noch jugendliches Dekolleté oder so keck wie ein Playboy-Bunny auf einem New Yorker Balkon. Nackte Pos, pralle Brüste, aufreizende Posen. Erotik pur, wohin man blickt, verteilt auf 350 Fotografien (und das Ernst Barlach Museum hat nur 420 Quadratmeter Fläche).

„Helmut Newton“ ist eine hedonistische Bilderschau, die den weltberühmten, nicht unumstrittenen Mode- und Aktfotografen zu seinem (theoretisch) 100. Geburtstag ehrt. Helmut Newton, der am 31. Oktober 1920 in Berlin als Helmut Neustädter zur Welt kam, eigentlich Zeitungsreporter werden wollte und Mitte der 1950er-Jahre begann, für die australische Vogue zu arbeiten, starb 2004 84-jährig. Hinterlassen hat er ein Werk, das Mode-, Werbe- und Schönheitsindustrie so geprägt hat wie kaum ein anderer (Kollege Peter Lindbergh folgt übrigens mit einer Retrospektive in diesem Sommer).

"Best of Helmut Newton" in Wedel

Elizabeth Taylor, „Vanity Fair“, Los Angeles, 1989.
Elizabeth Taylor, „Vanity Fair“, Los Angeles, 1989. © Helmut Newton Estate, courtesy Helmut Newton Foundation | © Helmut Newton Estate, courtesy Helmut Newton Foundation

Krönung seines Werkes ist der Bildband Sumo, herausgegeben im Jahr 2000 von seiner Frau June Newton, ebenfalls Fotografin, und Verleger Benedikt Taschen. Es ist das „Best of Newton“: 40 Jahre stilprägende Fotografie. Bildmotive, die so aufwändig inszeniert wurden wie ein Filmset. Jeder hat schon mal eines seiner Bilder in einem Hochglanzmagazin gesehen; man erkenne ein Newton-Bild sofort, so US-Vogue-Chefin Anna Wintour. Die 35 Kilogramm schwere Nullnummer mit 450 von Newton autorisierten Fotoprints stellte einst den Rekord als „schwerstes, größtes und teuerstes Buch des 20. Jahrhunderts“ auf: Bei einer Auktion in Berlin am 6. April 2000 kam es für damals 620.000 D-Mark unter den Hammer.

Diese Abzüge werden nun, dank einer Kooperation mit dem Taschen Verlag und der Helmut Newton Foundation, in Originalgröße in Wedel präsentiert. „Die Ausstellung ist das begehbare Buch“, sagt Direktor Jürgen Doppelstein, der zwei der raren Exemplare von privaten Leihgebern bekam. Sie liegen in der Ausstellung, gut gesichert, jeweils auf einem silbernen Podest des Designers Philippe Starck.

Sexistisch, rassistisch, faschistoid – Helmut Newton, Spross einer jüdischen Fabrikantendynastie, war höchst umstritten. Alice Schwarzer stieß sich nicht nur an den Bildern, die Frauen ihrer Meinung nach als Sexobjekte zeigen. Eine Fotografie, die zwei Models mit Schäferhunden zeigt, empfand sie als Rückbesinnung auf das allzu Deutsche. Es gab nicht wenige Kritiker, die in Newton einen Frauenfeind sahen.

Newton wehrte sich gegen Sexismus-Vorwürfe

Dabei liebe er die Frauen. „Es gibt nichts, was ich mehr liebe“, hat er mal gesagt. Fakt ist, dass Newton alles vor der Linse hatte, was im 20. Jahrhundert schön, talentiert und mondän war: Paloma Picasso und Francoise Sagan, Elizabeth Taylor und Ava Gardner, Claudia Schiffer und Twiggy, Marianne Faithfull und Grace Jones. Letztere sagt in Gero von Boehms zu sehendem Filmtrailer zu „The Bad and the Beautiful“ den allercoolsten Satz: „Er war irgendwie pervers. Aber das ist okay, denn ich bin es auch.“

Das Ernst Barlach Museum in Wedel.
Das Ernst Barlach Museum in Wedel. © Ernst Barlach Museum

Nach der fulminanten Karl-Lagerfeld-Schau „Visions“, die mehr als 20.000 Besucher anzog, soll nun Helmut Newton der nächste Publikumsmagnet werden. „Wir hoffen, dass wir Corona trotzen können, dass die Menschen sich in unser Museum trauen und diese großartigen Werke sehen“, so Direktor Doppelstein. In Schleswig-Holstein gilt: eine Person auf zehn Quadratmeter Fläche. „Sollte es zu Wartezeiten kommen, dürfen die Besucher gerne bei uns im Garten Platz nehmen.“ Die Ausstellung ist nicht in Themen unterteilt, setzt sich nicht mit der Rezeptionsgeschichte auseinander, kommentiert nicht.

Dabei wäre die Frage durchaus interessant, mit welchem Blick die Menschen in den 1970er-Jahren diese Bilder gesehen haben und wie wir heute – nach den Sexismus-Debatten Aufschrei und MeToo – damit umgehen. Sehen die „Big Nudes“, die berühmten Damen, splitterfasernackt auf High Heels, wirklich stark und selbstbewusst aus, oder empfindet man sie als entblößt, wie sie die Hände vor ihre Scham halten? Was macht diese opulente Nacktheit mit einem?

Von den porträtierten Männern ist keiner nackt

„Helmut Newton konnte sich in den Betrachter hineinversetzen, er spielte mit dessen Erwartungen“, so Doppelstein. Da reckt eine Dame im Pelzmantel kämpferisch die Arbeiterfaust nach oben, sieht man eine Schaufensterpuppe fast vom Balkon fallen, wird eine Nackte von einem Krokodil halb aufgefressen. Auch schön: Ein Model im Fendi-Abendkleid posiert in einem Strandbad, und niemand schaut hin.

Ausstellung in Wedel: Von den Männern, die Helmut Newton porträtierte, ist keiner nackt.
Ausstellung in Wedel: Von den Männern, die Helmut Newton porträtierte, ist keiner nackt. © dpa | Georg Wendt

Es ist oft das Absurde, Befremdliche, Voyeuristische (des Betrachters), das ihn offenbar gereizt hat. „Man kann sagen, dass es sexistisch ist. Man kann aber auch sagen, er hält der Gesellschaft einen Spiegel vor“, so Model Nadja Auermann. Auf der lichtdurchfluteten Empore des Museums sind Newtons Schwarz-Weiß-Porträts männlicher Berühmtheiten versammelt: Luciano Pavarotti, Yves Saint Laurent, Andy Warhol, Anselm Kiefer, John Malkovich. Keiner von ihnen ist nackt.

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